
Joana Mallwitz ist nicht nur die neueste Chefdirigentin (Männer mitgemeint) der Hauptstadt, sondern auch die vielbeschäftigste. Drei aufeinanderfolgende Wochen leitet sie das Konzerthausorchester in ebenso vielen verschiedenen Programmen. Nach dem umjubelten Saisonauftakt mit den ersten Symphonien von Prokofiev, Weill und Mahler, standen in dieser Woche Britten, Beethoven und die deutsche Erstaufführung des Violinkonzertes von Donnacha Dennehy mit Augustin Hadelich als Solisten auf dem Programm. (Besuchtes Konzert am 7. September 2023)
Das Wasser, unser Lebenselixier – und das verbindende Element der ersten Hälfte des Programms von Joana Mallwitzs zweitem Konzert als musikalischer Chefin des Konzerthausorchester. Während in Dennehys Violinkonzert die sanfte Sehnsucht nach der Schönheit der Natur durchklingt, zeigen Benjamin Brittens „Four Sea Interludes“ als erstes Stück des Abends die raue Seite des Elementes, das nicht nur Leben gibt, sondern es auch nimmt.
Perlend und quellwasserklar, mit großer Transparenz zeichnet das Konzerthausorchester die ersten Sätze der Zwischenspiele aus Brittens bekanntester Oper „Peter Grimes“. Mit ebenso klaren, teils kantig wirkenden Gesten animiert Mallwitz die Musiker:innen. Ihre Betonung liegt dabei vor allem in den ersten beiden Teilen auf der Sanft- und Schönheit der Komposition. Die dunklen Untertöne hingegen finden kaum Gehör. Zurückhaltung scheint das Stück zu kennzeichnen. Fast wirkt es wie ein Abtasten zwischen Mallwitz und dem Orchester, das seiner neuen Chefin noch nicht ganz folgen will. Auch wenn die Dirigentin im dritten Satz feine Steigerungen schafft, wird es auch im finalen „Sturm“ nie klanggewaltig-tosend. Das ist alles gut durchdacht und zur Perfektion getrieben, aber eindrückliche Stimmungsbilder entstehen vor dem inneren Auge leider kaum.

Ganz anders im zweiten Satz des Violinkonzertes von Donnacha Dennehy, gespielt von Augustin Hadelich. Ein Hauch von Meeresbrise, die glitzernde Spiegelung der hinter den Wolken durchbrechenden Sonne auf der Oberfläche des Wassers scheint man förmlich zu hören, wenn Hadelich mit langgezogenen Linien silbrig-glänzende Klangfäden durch die Philharmonie spinnt. Hier fließt das Wasser, während sich die Hörer:innen in die pastorale Weite der schottischen Landschaft träumen. Ganz im klanglichen Gegensatz dazu steht der einleitende Kopfsatz, währenddessen zu Beginn die Finger des Solisten im Höchsttempo über die Violinsaiten tanzen. Ebenso das rhythmisch markante Finale. Tapfer behauptet sich Hadelich mit leuchtend-spannungsreichem Ton gegen den spektrisch-sphärischen Orchesterklang, der insbesondere im ersten Satz von Obertonreihen gekennzeichnet ist. Trotzdem schafft der Geiger vor allem in der Kadenz eine große emotionale Verbindung, die dennoch leider nicht über teilweise Längen des Violinkonzertes des irischen Komponisten aus dem Jahr 2020 hinwegtäuschen kann.
Während in der ersten Hälfte bei Orchester und Dirigentin noch noble Zurückhaltung herrschten, geht es in der zweiten Hälfte stürmisch los. Alle Reserviertheit scheint wie weggeblasen, als die ersten Töne von Beethovens Symphonie Nr. 7 erklingen. Fast rasend stürzt sich das Konzerthausorchester in das Getümmel – und die Chefdirigentin mittendrin. Mal hockend zurückhaltend, dann springend-faustballend und plötzlich wieder zaghaft mit kleinsten Fingerbewegungen formt Mallwitz den Klang. Wer dabei dank des Gastspiels in der Philharmonie das Glück hat seitlich oder hinter dem Orchester zu sitzen, dem ist es vergönnt auch in das ausdrucksstarke Gesicht der Dirigentin zu blicken und ihre kleinen Gesten zu erspähen. All das wirkt aufregend und zeugt von großer Dringlichkeit. Wie ausgewechselt scheint auch das Orchester im Vergleich zum Auftakt des Abends. Das begeistert und doch wünscht man sich ab und an den Blick unter die schön-polierte Oberfläche.
Aufhorchen lässt der rau-gedämpfte Klang der Bässe im zweiten Satz. Tastend, kaum den Zuschauerraum erreichend verhallen sie im Orchesterklang. Mehr will man davon, aber schon kommt die rasante Klangschönheit zurück. Im Presto schließlich fordern die hohen Tempi ihre ersten Tribute, so mancher Orchestereinsatz wirkt verhetzt und verhaspelt. Details gehen im Dickicht verloren. Fast wünscht man sich, dass Orchester und Dirigentin den gleichen Beethovenschen Tanz noch einmal nach mehr gemeinsamer Erfahrung angehen. Am Ende gibt es – wie schon vor einer Woche beim Saisonauftakt im heimischen Konzerthaus – dennoch aufbrausenden Applaus. Es ist ein glänzend-aufregender Beginn einer Partnerschaft, der Lust auf mehr macht.
- Rezension von Svenja Koch / Red. DAS OPEWRNMAGAZIN
- Konzerthaus Berlin
- Titelfoto: Musikfest, Joana Mallwitz, Konzerthausorchester Berlin (Foto: Martin Walz)