Giuseppe Verdi’s „Il Trovatore“ im Gran Teatre del Liceu / besuchte Vorstellungen am 17. und 18. Juli 2017
Birgit Kleinfeld war für DAS OPERNMAGAZIN in Barcelona dabei
Barcelona, die Stadt, in der Operngrößen wie Alfredo Kraus, Montserrat Caballé, José Carreras, Placido Domingo und noch viele, viele andere zuhause waren oder sind, ist an sich schon ein Traum(-ort), den ich nun endlich erleben konnte. Es ist eine Stadt die Musik, Kunst,Geschichte und Lebenslust regelrecht zu atmen scheint. Auch mein lang gehegter Wunsch: Ein Besuch im traditionsreichen Opernhaus „Gran Teatre del Liceu“, erfüllte sich. Zwei Bränden war das Gebäude seit seiner Eröffnung am 4. April 1847 ausgesetzt. 1861 wurden dabei zwar Bühne und Zuschauerraum zerstört, doch stand einer neuerlichen Eröffnung ein Jahr später nichts im Wege. Der Brand vom 31. Januar 1994 zerstörte das Haus beinahe vollständig. Nach anfänglichen Streitigkeiten wurde jedoch endlich der Wiederaufbau des Hauses beschlossen, finanziert durch die neugegründete „Fundació del Gran Teatre del Liceu“.
Von außen wirkt das Theater relativ klein, da dessen Haupteingang Teil einer mehrteiligen Front ist. Drinnen jedoch, ist jeder mit einer romantischer Theaterseele sofort gefangen von der Atmosphäre eines „echten“ Theaters, wie es sein soll: einem aus mehreren Rängen bestehendem Halbrund, bei dem die Farben Weiß und Gold, und roter Samt dominieren. Derart eingestimmt auf einen besonderen Abend, eingelullt von Sprachen, deren Worte man nicht versteht, von Lachen, klirrenden Gläsern und verschiedenen, doch meist angenehmen Gerüchen, lässt es sich gut auf den Moment warten, wenn das Licht erlischt, die Stimmen verklingen, der Vorhang sich hebt, die Vorstellung von Verdis „Il Trovatore“ endlich beginnt.
„Il Trovatore“ erzählt auf verwirrende Weise die Geschichte von Graf Luna und dem Troubadour Manrico, die beide Leonora lieben, die sich jedoch längst für Manrico entschieden hat. Nur die Zigeunerin Azucena weiß um das geheime Band zwischen dem Adligen und dem Aufständischen: sie sind Brüder. Denn der Säugling, den sie damals, um die Hinrichtung ihrer Mutter zu rächen, ins Feuer warf, war ihr eigenes Kind und nicht der jüngere Sohn des alten Grafen. Als Luna Azucena gefangen nimmt um sie als Strafe für die damalige Tat auf den Scheiterhaufen zu verbrennen, eilt ihr Ziehsohn Manrico ihr zu Hilfe und wird bei diesem Versuch selbst gefasst. Das veranlasst Leonore dazu, dem Werben des Grafens scheinbar nachzugeben um den wahrhaft Geliebten retten zu können und gleichzeitig ihrem eigenen Leben durch Gift ein Ende zu setzen. Erst nach ihrem Tod und Manricos Hinrichtungstod, erfährt Luna von Azucena die Wahrheit und erkennt entsetzt: „ Er! Welches Entsetzen! Und ich lebe noch!“
Regisseur Joan Anton Rechi zeigt diese Geschichte aus Sicht des Malers Francisco de Goya, der als stumme Rolle immer wieder als Beobachter agierend, verkörpert von Carles Cantu. Im Hintergrund der Bühne werden jene Bilder von Goya, die die Schrecken der Inquisiton zeigen, von PROJECT 2 (Sergio Gracia) zusammengestellt, gezeigt. Die Kostüme von Mercè Paloma/ Núria Cardoner scheinen von Goyas Portrait Arbeiten inspiriert und seinen Werken entliehen. Auch die Lichtregie von Albert Faura trägt dazu bei, dass viele Szenen wie ein Goya Gemälde anmuten. Ansonsten verzichtet Rechi auf allzu moderne, innovative Einfälle, sondern setzt auf klassische Umsetzung, die den Augen des Zuschauers schmeichelt.
Für den akustischen Genuss sorgen zwei, nicht nur namentlich, völlig unterschiedliche Besetzungen.
Am ersten Abend (17.7.) sorgten Artur Ruciński (Luna), Kristin Lewis (Leonora) und Marco Berti (Manrico) und Marianne Cornetti (Azucena) für wahre Begeisterungsstürme des Premierenpublikums. Der in Warschau geborene Bariton Ruciński ist ein „knallharter“ Luna. Dies gilt für seine Darstellung, wie auch für seine scheinbar mühelos geführte Stimme, die kraftvoll metallisch von einem großem Volumen zeugt. Er ließ mit keiner Geste, mit keinem Ton, einen Zweifel daran, dass er um die Macht des Adels weiß. Sein Luna nimmt sich einfach, was er will, wirft Leonora mit einer abfälligen Geste, ohne zu zögern weg, nachdem sein augenscheinlich, ausschließlich körperliches, Verlangen gestillt ist. Die Amerikanerin Kristin Lewis, debütierte als in Manrico verliebte Gräfin Leonora am Liceu. Auch ihre Bühnenpräsenz besticht eher durch Selbstsicherheit und beherrschte Kühle, als durch weiblich romantische Verliebtheit. Ihrem volltönenden Sopran fehlte es jedoch an Sicherheit in den Höhen, die besonders in ihrer Auftrittsarie „Tacea la notte placida“ scharf und schrill klangen.
Gleicht Luna in dieser Inszenierung einem von Goya gemalten adeligen Herrschern und Leonora der bekleideten Maya, so wirkt Manrico wie dem Selbstporträt des jungen Goyas. Schon Marco Bertis (Manrico) off- Scene- Arietta „Deserto sulla terra …“ machte neugierig und überzeugte darstellerisch, als leidenschaftlicher Revolutionär, wie auch stimmlich. So blieb es dann auch vom ersten Ton bis zum letzten gehypten „ All’armi!“ in der Stretta „Di quella pira …“ . Das dieser Ton ein wenig kurzatmig wirkte, liegt zum Teil, sicher auch an der ihm stets beigemessenen zu großen Bedeutung und an den von Publikum in diese beiden, kleinen Silben gesetzten Erwartungen.
Auch die Darstellung von Marianne Cornetti, der dritten Amerikanerin im Bunde, als Azucena, war geprägt von Leidenschaft und authentischer Bühnenpräsenz. Sie gehört zu den Sängern, die sich nicht scheuen, Schmerz durch hörbares Stöhnen zu äußern und so, ohne dem eigenen Gesang zu schaden, Gefühle lautmalerisch zu unterstreichen. Auch mit ihrer Gesangsstimme hat sie unzählige Ausdrucksmöglichkeiten, die sie gekonnt nutzte.
Kommen hier und da zu Recht auch sehnsuchtsvolle Erinnerungen an Fiorenza Cossotto und Elena Obraztsova und deren charismatischen Tiefen hoch, so schadet sich, wer zurückschaut, doch nur selbst, weil er nicht genießen kann, was Cornetti an zwei aufeinander folgenden Abenden zu bieten hat. Denn das ist viel Gutes.
Sie war neben der in Barcelona geborenen Maria Miró, als Inez, die einzige Protagonistin, die bei der Premiere, wie auch der zweiten Vorstellung auf der Bühne stand. George Petean (Luna), Tamara Wilson (Leonora) und Piero Pretti (Manrico) wurden zwar nicht mit dem selben frenetischen Beifall belohnt, wie ihre Kollegen vom Vorabend, doch es scheint wirklich angemessen, dass sie für das Projekt „Liceu a la Fresca“ ausgewählt worden. Bei dieser Veranstaltung wurde die Aufführung „Il Trovatore“ (21.7.) auf Großbildschirmen in 166 Gemeinden in ganz Spanien und Andorra und auch im spanischen Fernsehen übertragen.
Zu behaupten, der Besetzung des zweiten Abends (18.7.) würde es gelingen,das Gefühl zu vermitteln,man sehe eine ganz neue Oper, wäre Opernhaft übertrieben. Und doch …
Diese beiden Aufführungen zeigten einmal mehr, wie lebendig Theater ist, wie sehr es von den Menschen auf der Bühne lebt. Denn die Alternativbesetzung ist da „herzberührend“, wo die erste eher auf den Intellekt abzielte. So mag Ruciński vielleicht die größere Stimme besitzen, doch die von Petean ist wärmer, weicher, schöner. Durch Modulation, durch Vibrato, vermag er Gefühle stimmlich auszudrücken. Er gehört zu jenen, die neben einer hervorragenden Technik auch mit ihrer Seele singen. Sein „Tace la notte!“ Ist voller Kraft und doch gleichzeitig von sanftem Sehnen.
Auch, oder vielleicht deshalb, benötigt er keine pathetischen Gesten. Seine Stärken liegen im Kleinen, im Eindringlichen. Wenn Leonora ihn, weil sie ihn für Manrico hält, umarmt, ist da kein Triumph, sondern einfach ein Schauder. Schickt er Leonora, nachdem sie sich ihm hingab er sie sich nahm, fort, ist da keine Verachtung: Er gibt sie frei, mit der gleichen Geste, mit der Ruciński sich ihrer entledigte. Ähnliches gilt für Tamara Wilson aus Arizona als Leonora. Ihr gelingt es bereits in ihrer Auftrittsarie und mehr noch in ihrer großen Szene im vierten Akt : „In quest’oscura notte ravvolta / D’amor sull’ali …“ augenscheinlich ohne Mühe, das berühmte Gänsehautfeeling zu erzeugen. Zartheit und Dramatik, fast gehauchte und doch gut hörbare Piani, dass alles umfasst ihre Stimmpallette. Ihre Leonora wirkt herzlich, entschlossen Manrico stets zu lieben, sich für ihn zu opfern und doch nicht von blinden Hass gegen Luna erfüllt.
Anders als bei Marco Berti, dauert es ein wenig länger, bis ihr Manrico, (Piero Pretti), der zweite Debütant in dieser Aufführungsserie, überzeugt. Schon in Hamburg 2015, als er den Edgardo in Donizettis Lucia sang, brillierte er zwar mit einer lauten, in der schwierigen Akustik der Staatsoper tragenden Stimme, lies es aber an leisen Tönen fehlen. Ähnlich auch hier am Liceu, doch dann mit seinem „Ah si ben mio …“ im dritten Akt überraschte er mit sanften Tönen und war der vermaledeite letzte Ton auch nicht 100% rein, so doch fast „blitzsauber“, wie einige Kollegen es gerne nennen. Außerdem bewies er auch mehr Atem. Ach, warum, nehmen wir Opernbesucher solche Kleinigkeiten immer so wichtig? Ist es nicht die Gesamtleistung, die stimmen sollte?
Das tat sie an beiden Abenden. Und nicht nur bei den Protagonisten, sondern auch bei den Nebenrollen, beim wirklich beeindruckenden Chor und der Leistung des Orchesters unter der Leitung von Daniele Callegari. Ihm gelingt es an den „Gassenhauerstellen“ wie der „Stretta“, oder dem „Zigeunerchor“, das richtige Maß an Dramatik und den, für diese Stücke so beliebten „Ramtamdam“-Rhythmus zu finden.
Fazit: Das Liceu setzt nicht auf Masse in der Auswahl seiner Produktionen, doch auf Qualität in den Besetzungen. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall. Mehr als nur einer …
- Rezension von Birgit Kleinfeld
- Titelfoto: El Gran Teatre del Liceu, a la Rambla de Barcelona / Foto @ Quelle: Eigenes Werk/Urheber: Enfo (Wikipedia)
- Produktionsfotos @ Gran Teatre del Liceu Barcelona / ® A Bofill