Die Geschichte von Peer Gynt ist die Geschichte eines Phantasten und Ich-Suchenden, eines kleinen Jungen, der ein großer Junge sein will. Wer bin ich und wer möchte ich sein, ist die Kernfrage dieser Geschichte und gleichzeitig die Schilderung eines Seelendramas. Henrik Ibsen liess sich in seinem Werk von den Trollen und Feenmärchen des norwegischen Schriftstellers Christen Asbjørnson inspirieren. Die Geschichte wurde ursprünglich als Lesedrama geschrieben. Die Handlung findet an verschiedensten Orten, von den Bergen Norwegens, der Wüste Marokkos, dem Reich der Trolle, oder einem Irrenhaus in Kairo statt. (Aufführung v. 21. Mai 2022)
Durch seinen Erfolg ermutigt, wandte sich Ibsen 1874 an den Komponisten Edvard Grieg, mit der Bitte, für die Bühnenfassung des Stücks eine passende Musik zu komponieren. Grieg war von der Idee begeistert. So entstand das musikalische Werk „Peer Gynt Suite“, welches sich großer Beliebtheit erfreut.
In der Ballettversion von Edward Clug, welche 2015 für das Slowenische Nationalballett Maribor geschaffen wurde, erleben wir eine geniale tänzerische Umsetzung des Werkes, wo alle Höhen und Tiefen des ewig Suchenden in Bewegung umgesetzt werden. Die Choreographie wirkt märchenhaft und vermittelt alle Stimmungslagen zwischen humorvoll, nachdenklich bis hin zu traurig. Dies gelingt hervorragend beispielsweise beim Tod der Mutter am Ende des ersten Teils, wo mit wenigen Mitteln eine fühlbar bedrückte Stimmung erzielt wird.
Das Bühnenbild von Marko Japelj ist auf minimalistisch ausgelegt, um nicht von der tänzerischen Interpretation abzulenken. Die fantasievollen Kostüme hat Leo Kulaš entworfen.
Mit einfachen Elementen werden die Zuschauer zu den verschiedenen Handlungsorten hingeführt. Die Einsamkeit des Rastlosen ist spürbar. Die einzige Frau, welche bis zum Schluss auf ihn wartet, ist Solveig. Auf seiner Reise begegnen ihm die Drollprinzessin und eine orientalische Schönheit. Doch stets ist er getrieben und kommt dabei auch in eine Irrenanstalt in Kairo, bis ihn sein Weg zurück zu Solveig führt. Aber diese ist inzwischen alt geworden und erblindet. An dieser Stelle erleben wir nochmals einen ergreifenden Moment, wenn die beiden sich wieder begegnen. Symbolhaft trägt Solveig dabei die Last ihres Hauses auf ihrem Rücken.
Für diese Choreographie wurden zwei zusätzliche Gestalten erfunden, welche Peer Gynt zu den Schlüsselelementen der Handlung hinführen. Wir sehen an seiner Seite eine Todesgestalt, welche Peer vor gefährlichen Situationen fernhält, denn es war noch nicht seine Zeit, um ins Jenseits hinüberzuschreiten. Peer versucht, sich seiner zu entledigen, was ihm immer wieder gelingt, aber letztlich kann er ihm doch nicht entrinnen. Das zweite Wesen neben Peer ist ein weißer, skurril gestalteter Hirschbock mit zwei Krücken, über den er seiner Mutter erzählt, er sei auf ihm geritten. Damit wird Peer‘s Fabulierkunst symbolisiert.
In der besuchten Vorstellung debütierten die meisten Tänzer/innen der größeren Rollen.
Als Peer Gynt erlebte man Esteban Berlanga, welcher mit beeindruckender Beweglichkeit und viel Ausdruck alle Stimmungen hervorragend darstellte. Den Peer begleitenden Tod tanzte und spielte Matthew Knight sehr eindrücklich. Jesse Fraser als Hirsch fesselte das Publikum mit seiner Eleganz. Francesca Dell’Aria als Solveig und Mélanie Borel als Mutter Åse berührten die Zuschauer mit Ihrer starken Bühnenpräsenz. Als Braut Ingrid und Bräutigam Mads Moen waren Irmina Kopaczynska und Kevin Pouzou zu erleben.
Auch wenn an dieser Stelle nicht alle beteiligten Tänzer/innen namentlich erwähnt werden können, muss dennoch einmal mehr die großartige Qualität des Ballett Zürich und des Junior Balletts hervorgehoben werden. Einer derart starken Ensembleleistung darf man höchstes Niveau in der Ballettwelt attestieren.
Eine besondere Bereicherung dieser Produktion stellt die Orchesterbegleitung dar. Edward Clug hat für diese Choreographie weitere Kompositionen von Edvard Grieg zugezogen. So erklingt Musik aus dem Streichquartett Nr. 1, Konzert für Klavier und Orchester, Lyrische Stücke und Norwegische Tänze. Dieser kunstvolle Einbezug weiterer Kompositionen verleiht dem Gesamtwerk einen erhöhten Charakter.
Unter der Leitung von Victorien Vanoosten, boten die Philharmonia Zürich und der Pianist Andrian Oetiker eine hervorragende Leistung. Der Zusatzchor der Oper Zürich und SoprAlti, ergänzten diesen außergewöhnlichen Ballettabend aufs schönste.
Das Publikum bedankte sich für diese Aufführung mit viel Begeisterung und Bravorufen. Ein Erlebnis!
- Rezension von Marco Stücklin / Red. DAS OPERNMAGAZIN-CH
- Ballett Zürich / Stückeseite
- Titelfoto: Ballett Zürich/PEER GYNT/Foto @ Gregory Batardon