Wer ist die Schönste im ganzen Land? – La Cenerentola! Rossinis „Aschenputtel“ als Casting Show am Stadttheater Klagenfurt

Stadttheater Klagenfurt/ LA CENERENTOLA/Ensemble/Foto (c) Arnold Pöschl

Die Geschichte des Aschenputtel, das in anderen Fassungen durch Zauberei, bei Rossini durch ihr unschuldiges, gütiges Wesen ihrer sie unterdrückenden Familie entfliehen kann, um zur auserwählten Braut des Prinzen zu werden, ist allseits bekannt. Die an ihren Zauberspiegel gerichtete Frage der eitlen Königin gehört hingegen in die Welt eines anderen Märchens, und doch wird „La Cenerentola“ in Klagenfurt als Geschichte erzählt, in der jede äußere Schönheit, künstliche Selbstdarstellung und alle Fantasien von Ruhm und Glanz erblassen müssen angesichts der unverstellten Güte und unprätentiösen Authentizität von Angelina. (Rezension der Vorstellung v. 22. März 2025)

 

Von der Tellerwäscherin zur Prinzessin?

Während Angelina als Tellerwäscherin in einer Großküche schuften muss, beschäftigen sich ihre Stiefschwestern Clorinda und Tisbe lieber mit der Bespielung ihrer Social-Media-Kanäle, für die ein erheblicher Aufwand an Selbstoptimierung zu betreiben ist. Jede Tätigkeit der beiden, ob Kleidungswahl oder Sportübungen, wird gefilmt und gepostet, alles dient der Selbstdarstellung und Konstruktion einer künstlichen Persona, die mit der tatsächlichen Person sogar wenig zu tun haben kann, solange sie nur nach außen ein gutes Bild abgibt. Dabei scheinen die Schwestern jedoch nie mit sich zufrieden zu sein: die Haare sitzen nicht, die Sportübung ist zu schwierig, um sie korrekt und obendrein elegant auszuführen, das Licht fällt doch etwas zu unvorteilhaft auf das Gesicht. Diese Unzufriedenheit führt jedoch nicht zu einer grundlegenden Hinterfragung ihrer Prioritäten, sondern wird an Angelina ausgelassen, die allein die gesamte Arbeit erledigen muss, von Stiefschwestern und -vater abschätzig behandelt wird und sich nur durch die Geschichte eines Königs, der eben nicht Schönheit und Beliebtheit wählte, sondern Unschuld und Güte, trösten und aus ihrer beschwerlichen Lage wegträumen kann. Der Kontrast zwischen der Küche mit einer nie enden wollenden Menge an dreckigem Geschirr, in die Angelina verbannt ist, und der künstlichen Scheinwelt, die Clorinda und Tisbe krampfhaft aufrecht zu erhalten versuchen, könnte stärker nicht sein. Regisseur Bernd Mottl wählt diesen als Ausgangspunkt seiner Inszenierung und spielt in ihr mit Schein, Show und vorgetäuschtem Glamour, wodurch die Aschenputtel-Geschichte zu einer facettenreichen Reflexion von Authentizität wird, die in der Märchenvorlage wie in der Oper selbst durch die Figurengestaltung oder das Spiel mit Verkleidung und Rollentausch bereits angelegt ist, hier aber um heutige Diskurse und Probleme ergänzt wird, ohne auf das für dieses Werk notwendige Maß an Komik und Witz zu verzichten.

Alidoros Casting Show als Test

Stadttheater Klagenfurt/ LA CENERENTOLA/B. Hansky, Ensemble/Foto (c) Arnold Pöschl

Bald zeigt sich nämlich, dass Alidoro hier nicht nur Philosoph und Lehrer des zum Heiraten gezwungenen Don Ramiro ist, sondern auch eine Art Casting Director, der eine Mischung aus Dating Show und Schönheitswettbewerb aufzieht, um die in seinen Augen richtige Frau für den Prinzen zu finden und beiläufig allen Involvierten eine Lehre zu erteilen. Diese hat neben den Stiefschwestern auch Don Magnifico bitter nötig, denn seine Unzufriedenheit angesichts seiner bescheidenen Lebenssituation wird durch eine zu große Neigung zum Alkohol und der Gier nach Geld und Ansehen immer weiter verblendet, keinesfalls aber verbessert. Er versteigt sich mehr und mehr in völlige Fehleinschätzung seiner Lage und schafft es trotz redlichen Bemühens nicht, die Quintessenz seines Traums, dass nämlich auch geheuchelte Schmeicheleien und ein verstaubter Anzug nicht darüber hinwegtäuschen können, wie sehr er schlichtweg ein Esel ist, richtig zu deuten. Alle drei, Clorinda, Tisbe und Magnifico, springen jedoch sofort darauf an, als der Prinz angekündigt wird – und das Brautwerben beginnt. Dabei bemerken sie nicht nur nicht, dass der Prinz mit seinem Diener die Rollen getauscht hat, sondern auch das völlig übertriebene, macho-artige Gehabe des verkleideten Dandini, der an dieser Rolle in bewusst geschmackloser Überziehung den größten Spaß zu haben scheint, kommt ihnen weder seltsam noch abstoßend vor. Clorinda und Tisbe biedern sich an und bereiten sich aufgeregt für den Ball im Schloss des Prinzen. Angelina hingegen schenkt dem „Prinzen“ keine Aufmerksamkeit, denn das erste Zusammentreffen mit Ramiro, der als vermeintlicher Diener von ihren Stiefschwestern abschätzig behandelt wird, ließ sofort ein Feuer entfachen, das beide nicht mehr löschen können. Das alles scheint von Alidoro klug durchdacht gewesen zu sein, und er wäre ein schlechter Casting Director, wenn er sich nicht, nachdem sein offizieller Einwand, es müsste doch noch eine dritte Tochter geben, nicht von Erfolg gekrönt war, persönlich der Wahl und Vorbereitung der Cenerentola widmen würde. Unterstützt von einem Team an Stylisten will er die von Anfang an als Siegerin des Wettbewerbs auserkorene Frau für den Ball einkleiden, doch hier zeigt sich bereits ihr entscheidendes Wesensmerkmal: Sie muss, will sich aber nicht verkleiden, jede Form von Selbstinszenierung und Überstülpung einer falschen Identität widerstrebt ihr. Sie will sie selbst, authentisch sein und nicht erst jemand gänzlich anders Gearteter werden, um vermeintlichen Erfolg zu haben bei einem Prinzen, der, nach ihrem Wissensstand, alles verkörpert, was sie bei ihren Schwestern beobachten konnte und abstößt, sondern stattdessen wohl eigentlich nur auf den Ball, um dort dessen „Diener“ wieder zu begegnen.

Von Cenerentola… zu Cenerentola!

Des Casting Directors Plan geht auf, das Werben der Schwestern eskaliert zunehmend und nimmt beinahe groteske Züge an, Don Magnificos alles andere als herrlicher Charme steigt durch ein heftiges Gelage im königlichen Weinkeller zu neuer Peinlichkeit auf, die Anwesenheit einer der Cenerentola verdächtig ähnelnden Fremden sorgt für beunruhigende Verwirrung und die Sache mit dem Prinzen kommt nun doch allen zunehmend seltsam vor, denn seine Entscheidung lässt auf sich warten. Als dieser letztlich Don Magnifico seine wahre Identität enthüllt, ist bei diesem fast eine gewisse Erleichterung zu merken, dass dieser prollige Typ nicht der künftige Bräutigam einer seiner Töchter sein soll. Dennoch verwirrt und empört macht er sich mit diesen auf den Heimweg, zwar allmählich etwas skeptisch, aber immer noch hoffnungsvoll erwartend, dass diese seltsame Aktion doch noch zum ersehnten Ziel führen wird. Es scheint also alles etwas aus dem Ruder, für Alidoro jedoch genau nach Plan zu laufen. Die verkleidete Angelina überreichte dem „Diener“ zur Wiedererkennung noch einen Armreif und als dieser später in seiner wahren Existenz als Don Ramiro in Magnificos Großküche erscheint, entdeckt er sofort, dass es dieselbe ist, in die er sich zuvor schon verliebt hatte und an der ihn ihr niederer Stand keineswegs stört, denn auch ihn drängt es nach Wahrhaftigkeit, und diese ist in echter Liebe eben mehr zu finden als in strategischer Planung des Königshauses oder allem äußeren Schein. Sie wiederum stört es nicht, dass er ein Prinz ist, denn sie fühlt sich von ihm so gesehen und angenommen, wie sie ist. Als die Gewinnerin des Wettbewerbs auserkoren wird, das heißt, die beiden heiraten, zeigt sich erneut, dass es nicht auf Reichtum, Glanz, schöne Kleider oder Perfektion ankommt, sondern auf die Annahme der eigenen Person wie jener des anderen, in dessen liebenden Blick man schauen und sich selbst als gemeint erkennen darf. So bleibt Angelina Cenerentola, in ihrer gewohnten Kleidung statt des unauthentischen Brautkleides, aber auch in ihrem ihr eigenen Wesen, das in seiner Güte selbst jenen verzeihen kann, die sie zuvor missachtet haben. Und womöglich liegt in jenem Verzeihen tatsächlich ein Funke von Rache, denn trotz seines grausamen Handelns und verblendeten Denkens entschuldigt und angenommen zu werden, macht eine größere Demütigung, im Sinne einer Lehre von Demut, spürbar als jede Verurteilung oder Verstoßung.

Eine Inszenierung über Selbstinszenierung – und Authentizität

Stadttheater Klagenfurt/ LA CENERENTOLA/T. Niboro, W. Zelinka, L. Coppens/Foto (c) Arnold Pöschl

Bernd Mottl ist es mit dieser zwar bunten, schrillen, aber stets betont überzeichneten und dadurch auch ironischen Inszenierung gelungen, die märchenhafte Geschichte der Cenerentola im Lichte angesichts von Social Media, verschiedenen Shows, der generellen Selbstinszenierung, die doch oft nichts anderes ist als die Leugnung oder gar Flucht vor dem eigenen Selbst in ein äußeres, vermeintlich besseres Bild, heute relevanter Fragen zu Authentizität und Wahrheit im Streit mit Verstellung und Trug zu erzählen. Dabei handelt es sich um keine neuen Erkenntnisse, doch diese müssen bei der Erzählung eines Märchens auch nicht zwingend gefunden werden, liegt in jenem doch meist eine allgemein gültige, oder zumindest nachvollziehbare, Lehre zugrunde. Die Vergegenwärtigung gelingt auf humorvolle Weise durch Anspielungen an typische Elemente der Influencer-Welt, an aktuelle Filmveröffentlichungen – so liegt etwa beim Aerobic-Workout der Gedanke an „The Substance“ nahe, ein Film, der letztlich ähnliche Aussagen wie diese Cenerentola vermitteln möchte – oder mit dem Outfit des Prinzen und Angelina im Albtraum heimsuchenden Masken von Schönheitsoperationen entstellter Gesichter an gewisse Designer, die seit kurzem im Rahmen einer Fernsehshow auch fragwürdige Modebewertungen vornehmen. Lebendig wird diese Produktion durch die ausgezeichnete dramaturgische Gestaltung (Markus Hänsel), in der alle Beteiligten mit Spielfreude und charakterlicher Authentizität agieren. Eine nicht nur den Effekt einer Show verstärkende, sondern auch die gesamte Aufführung bereichernde, unterhaltsame Ergänzung stellt das fünfköpfige Tanzensemble, choreographiert von Christoph Jonas, dar, auch der stimmlich sehr ausgewogene und gestalterisch variable Herrenchor und -extrachor des Stadttheaters fügt sich gut in die dynamische Darbietung. Die häufige choreographische Einbindung des Sängerensembles führt gelegentlich zu Unterbrechungen der Figurengestaltung und Handlung, die zwar ebenso durchaus unterhaltsam sein können, aber nicht immer notwendig wären.

Lebendige Gestaltung in rasanten Tempi

Stadttheater Klagenfurt/ LA CENERENTOLA/M. Macchioni, D. Baştar/ Foto (c) Arnold Pöschl

Gesanglich bietet dieser Abend eine insgesamt erfreuliche, darstellerisch fein ausgewogene und charakterlich in allen Rollen passende Präsentation dieser in ihrer musikalischen Komplexität nicht zu unterschätzenden Oper. Die Rolle der Titelfigur verkörpert Dilara Baştar, die über ein erstaunlich breites Register verfügt und vor allem mit sattem, dunkel gefärbtem Klang in den tiefen wie auch den elegischeren Passagen überzeugt; doch auch die feinen, höheren Töne setzt sie mit Sicherheit. Besonders im zweiten Akt klingt Baştar Stimme kraftvoll auf, einzig in den virtuosen Koloraturen und Fiorituren wirkt sie etwas zu groß und schwer, um die für diese Partie nötige Leichtigkeit und Präzision zu erreichen. An ihrer Seite ist Matteo Macchioni als Don Ramiro, der einen äußerst liebenswürdigen Prinzen abgibt und mit seinem strahlenden, nur gelegentlich etwas zu metallischen Tenor große artikulatorische Flexibilität hören lässt. Wilfried Zelinka, bereits durch die seit Herbst laufende Produktion in Graz erprobt, verkörpert Don Magnifico auf beeindruckende und, der Rolle gemäß, durchaus abstoßende Weise. Besonders in den beiden großen Arien überzeugt er mit präziser Artikulation und emotionsreicher Interpretation, ohne je an stark fundiertem und lebendigem Klang einzubüßen. Andrew Nolen als Alidoro bietet weiche, samtene Töne, geht jedoch leider häufig etwas unter, was besonders angesichts der Tatsache schade ist, dass seiner Figur in der Konzeption der Inszenierung eine doch zentrale Bedeutung zukommt. Die beiden Schwestern, Clorinda und Tisbe, werden von Tahnee Niboro und Linsey Coppens dargestellt, beide verkörpern den Charakter der wenig sympathischen Stiefschwestern, die nach allem, was glänzt, greifen, das wahre Gold aber nicht erkennen, sehr eindrücklich. Vor allem zu Beginn ist die Intonation nicht immer präzise, in den Rezitativen und Ensembles bessert sich dies jedoch und führt zu strahlenden, gut gestalteten Tönen. Der Höhepunkt des Ensembles ist Bernhard Hansky als Dandini mit einer hervorragenden, unterhaltsamen Verkörperung des Dieners, der die Rolle des Prinzen bis ins Extrem treibt und genießt. Zudem kann er gesanglich vollends überzeugen, sowohl in den getragenen Arien mit warmem, fließendem Klang als auch besonders in den Belcanto-Passagen, in denen er eine höchst flexible, zu feiner Artikulation fähige Stimme, viele gestalterische Facetten und einen stets präsenten Klang an den Tag legt.

Wurde die gesamte Oper auch in weniger als einem Monat komponiert, sollte daraus nicht geschlossen werden, es würde sich um ein unausgereiftes Stück handeln. Die Partitur lebt von rasanten Tempi, die sich stets noch weiter steigern, und großer dynamischer Varianz, die immer eine hohe Lebendigkeit und großen Witz bewahren muss. Dies gelingt dem Kärntner Sinfonieorchester unter Johannes Braun auf ausgezeichnete Weise. Dirigent und Orchester haben sicht- und hörbar Spaß an diesem Werk und besitzen die nötige Energie, um ebensolche auf das Publikum zu übertragen. Die dynamischen wie artikulatorischen Kontraste sind fein ausdifferenziert, es bleibt durchwegs aufregend und voller Esprit, nie kommt Langeweile oder Aussaglosigkeit auf. Im Letzten könnte, besonders in den Streichern, die Artikulation noch präziser, spritziger sein, doch ist dies auch eine Frage der Interpretation, die hier fein und elegant gewählt, durchaus in flotten Tempi gehalten, aber nicht bis in jedes Extrem ausgereizt ist. Insgesamt ergibt sich eine musikalisch aufregende Aufführung im guten Zusammenklang aus Orchester und Sängerensemble.

La Cenerentola ossia La Veridicità in Trionfo

Es wäre kein Märchen, wenn es am Ende, nach all den Irrungen und Wirrungen, nicht gut ausginge, und so trüge auch Rossinis Cenerentola nicht den Untertitel „Der Triumph der Güte“, wenn sich das Schicksal des von Angelina anfangs besungenen Königs nicht für sie selbst bewahrheiten würde. Das Entscheidende ist jedoch noch vor ihrer Güte ihre Authentizität, ihre Unverstelltheit selbst in der vorübergehenden Verstellung, aber auch jene des Prinzen, der wirklich sie sieht und nichts auf äußeren Schein gibt. Es ist somit auch ein Triumph der Liebe, der am Ende dieser Oper steht und nicht möglich wäre, wenn es nicht Menschen gäbe, die von Selbstdarstellung, Äußerlichkeiten, Geld und Macht absähen, um den anderen so, wie er ist, anzunehmen und zu lieben. Der dabei in einer Inszenierung bestehenden Gefahr, in reinen Kitsch zu verfallen und somit erneut unauthentisch zu werden, wird in Klagenfurt nicht erlegen, stattdessen gelingt es Bernd Mottl, die märchenhafte Geschichte auf bekannte Weise, aber in neuem Gewand und mit Konzentration auf einzelne, heute besonders relevante Aspekte zu erzählen, dabei durchaus Tiefgang zu erreichen, aber nie den beinahe übermütigen Witz dieses Werks zu verlieren. Die Umsetzung der Handlung als Show wirkt gerade deshalb überzeugend, weil in dieser bereits durch ihre Anlage das Showhafte hinterfragt und untergraben wird, indem es zwar benützt wird, um die dafür anfälligen Personen zu involvieren und somit zum gewünschten Ergebnis zu gelangen, aber zugleich das- oder vielmehr diejenige gewinnen lässt, die sich jeder Show entzieht. Vereint mit schwungvollem Orchesterklang und durchwegs solidem Sängerensemble, aus dem einzelne besonders hervorstechen, ergibt sich eine Cenerentola, die zwar den Charakter eines Märchens, eine gewisse Lehre zu beinhalten, bewahrt, dies aber nicht so übermächtig werden lässt, dass das amüsante Vergnügen, von dem dieses Melodramma giocoso lebt, verdeckt würde.

 

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