
Oft sind es nicht die weithin bekannten, großen Häuser, sondern die mittleren und kleineren Bühnen, an denen man selten gespielte Opernkostbarkeiten entdecken kann. Ein solches Juwel ist auf jeden Fall die Neuproduktion von Samuel Barbers erster Oper Vanessa am Theater Magdeburg. Das Libretto dazu verfasste Barbers Lebensgefährte Gian Carlo Menotti, inspiriert von Blixens „7 Gothic Tales“. Die Premiere geriet zu einem großen Erfolg für alle Beteiligten und für das Theater Magdeburg. (Rezension der Premiere vom 19.1.2019)
Gian Carlo Menotti und Samuel Barber erzählen die Geschichte von Vanessa, die zusammen mit der alten Baronin, ihrer Mutter, und ihrer Nichte Erika in einem Herrenhaus, hoch im verschneiten Norden lebt. Hier wartet sie seit zwanzig Jahren auf die Rückkehr ihres ehemaligen Geliebten, Anatol. Doch es ist dessen Sohn, der schließlich Vanessas Warten ein Ende bereitet. Nachdem er erst Erika verführt hat, verlobt er sich mit Vanessa, mit der er letztlich nach Paris zieht. Nun ist es Erika, die zurückbleibt und wartet. Wie zuvor ihre Tante, alle Bilder und Spiegel verdeckend, um den Moment regelrecht „einzufrieren“. Worauf sie wartet bleibt offen. Ebenso erfahren wir nie was mit Erikas Eltern geschah oder warum die alte Baronin nie mit ihrer Tochter und später auch nicht mehr mit ihrer Enkelin spricht. Doch sind diese Lücken und Brüche nicht wirklich von Bedeutung, denn die Geschichte ist dennoch stimmig und die Tatsache, dass der ewig währende Schnee menschliche Kälte und innere Leere symbolisiert, ist mehr als deutlich.

Dafür sorgt auch Samuel Barbers vielschichtige Musik. Das Werk wurde zu Recht einmal als „American Grand Opéra“ bezeichnet, nicht allein wegen der Herkunft des Komponisten und des Ortes der Uraufführung von 1958, der Metropolitan Opera. Vieles erinnert an alte patriotische Songs, ein wenig auch an klassische Musicals. Und dann aber sind da auch viele Anlehnungen an Richard Strauss und Erich Korngold. Die Brüche und Lücken entstehen aber hauptsächlich durch die oft im Sprachrhythmus komponierten Passagen, wenn das Orchester das gerade Gesungene wiederholt. Und dadurch, dass Arien ähnliche Stücke abrupt aufzuhören scheinen.
Regisseurin Karen Stone weiß mit diesen Brüchen und Lücken perfekt umzugehen. Die offenen Fragen lässt sie offen, lässt so Raum es einfach hinzunehmen oder eigene Ideen zu entwickeln. Den Stil der Musik verarbeitet sie perfekt in ihrer Personenführung. Sie lässt uns die Stimmung der Protagonisten, die in der Musik zu hören ist, sehen und nachfühlen, weil ihre Personen normale Menschen bleiben. Menschen mit Problemen und Geheimnissen, aber alles andere als bloße Fantasieprodukte.
Ulrich Schulz schafft dazu mit seinen Bühnenbildern und Kostümen ein wunderschönes, die Kälte des Winters in der Welt und den Seelen der Figuren, unterstützendes Ambiente. Es gibt eine Plattform für die Wartenden, die an einen Aussichtsturm denken lässt. Darüber thront eine Kuppel, mal offen, mal mit projektierten Bildern, die jedem Dom gerecht werden würden. Und die scheinbar ins Nichts führende Treppe auf der linken Bühnenseite, vermittelt den Eindruck sie würde nie enden. Die Kostüme würden in die große Zeit Hollywoods passen, lassen an die Diven der damaligen Epoche in ihren meist tragischen Rollen, denken.
Alles passt, ist stimmig, bildet ein Ganzes. Dies gilt auch für die Akteure auf der Bühne alle, vom Opernchor des Theaters Magdeburg, über Frank Heinrich (ein Diener), Paul Sketris (Nicolas), Roland Fenes als quirliger, in einer kleinen Szene darstellerisch, wie gesanglich brillierender „alter Doktor“ bis hin zu den vier Hauptdarstellern.
Da ist zum einen Ks. Undine Dreißig als fast nur schweigende alte Baronin. Dreißig ist jeden Zoll eine Grande Dame, beherrscht und alle beherrschend: stumm präsent, singend in den Bann ziehend.

Emilie Renard ist eine entzückende, Mitleid erregende, Erika. Sie berührt mit jeder Geste und vollzieht so die Entwicklung vom jungen Mädchen zum einsamen Abbild ihrer Tante. Allein die Bewegung, wenn sie sich den Pelzmantel Vanessas anzieht, hat zusammen mit der Musik und dann deren Schweigen, etwas sehr Tiefgehendes. Der Klang ihres Mezzos ist jugendlich, sanft in lyrischen Momenten. Kraftvoll, wenn es um Leidenschaft, Wut und Verzweiflung geht. Dabei ist die Stimme stets scheinbar mühelos und auf jeden Fall sicher geführt.
Seiner mühelos sicher ist sich auch der von Tenor Richard Furman dargestellte Anatol. In dieser Inszenierung ein ignoranter und arroganter Typ, der sich selbst seine eigene Sonne ist. Herrlich, wie Furman dieses – irgendwie doch anziehende – charmante Ekel verkörpert. Manch einer möchte ihn angesichts seines Verhaltens Erika gegenüber schütteln und beschimpfen. Was kein schlechter Beweis für Furmans Überzeugungskraft ist. Auch stimmlich meistert er diese komplexe Partie mit Bravour, mag es hier und da auch leichte Schwierigkeiten in den extremen Höhenlagen geben, so sind diese doch unbedeutend.
Ganz und gar nicht nicht unbedeutend ist die Rolle der Vanessa. Noa Danon verleiht ihr all den traurigen Glamour, die Verzweiflung, aber auch die fest mit Anatol verknüpfte Lebensgier, die diese Partie braucht. Es geht unter die Haut, wie sie sich ihm erklärt, als sie den jungen noch für den alten Anatol hält. In der Verlobungsszene dann erinnert sie, ganz in Weiß, auch optisch an eine Scarlett O’Hara. Eine Figur, deren Seelenleben ja auch von Selbsttäuschung geprägt ist. Danon zeigt in dieser Szene, perfekt die rückläufige Entwicklung der Vanessa: Die gealterte wartende Frau ist nun, zumindest in diesem Augenblick, das glückliche junge Mädchen, das sie immer sein wollte und zum Schluss gereift, aber dem Schicksal anderer gleichgültig gegenüber, mit dem Geliebten nach Paris zu gehen. Stimmlich ist Danon der dramatische Sopran, die tragische Heroine, wie man sie in jeder Oper egal ob von Verdi, Strauss oder Wagner liebt. Sie schmettert ihren Mitspielern und dem Publikum die hohen wie tiefen Töne, auf angenehme Weise, nur so um die Ohren. Kann aber Gehör und Seele auch umschmeicheln, mit weichem Strahlen, schönem Piano.

Mehr als nur abgerundet wird dieser Abend durch die Leistung der Magdeburgischen Philharmonie unter der Leitung von Svetoslav Borisov. Einfühlsam und nuanciert untermalen, nein, begleiten sie das Geschehen auf der Bühne. Das beinahe heitere Vorspiel zur Verlobungsszene, verführt in seiner trügerischen Leichtigkeit, fast zum Mitsingen. Das Vorspiel zum Finale dann, klingt sehnsuchtsvoll und nimmt auf klangschöne Weise das Ende schon vorweg.
Das Ende nach dem Ende, war schier ohrenbetäubender Jubel, der von Füßetrampeln unterstützt wurde. Dieser Abend entließ dann mit dem Gefühl, wie schön unbekannte Opern aus der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhundert sein können und dass sich ein Besuch der Oper „Vanessa“ am Theater Magdeburg auf jeden Fall lohnt.
- Rezension der Premiere vom 19.1.2019 von Birgit Kleinfeld/Redaktion DAS OPERNMAGAZIN
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- Titelfoto: Theater Magdeburg/VANESSA/Noa Danon, Undine Dreißig, Emilie Renard, Roland Fenes, Richard Furman/ Foto ©Andreas Lander und alle weiteren Fotos @ Andreas Lander