
Credits: Staatsoper Unter den Linden / Marcus Ebener
Beethoven konnte nichts mit dieser Oper anfangen, sie war ihm zu frivol. Was Mozart und da Ponte aus den Figuren und Versatzstücken der Commedia dell´ Arte – zwei Paare, Verkleidungen, der alte Philosoph, die durchtriebene Zofe – gemacht haben, ist allergrößte Kunst. Sie ist in ihrer Aussage zeitlos, und im Setting eines Badeorts 1969 erkennt man die Aktualität. Marc Minkowski entfaltete mit der Staatkapelle Berlin, dem Staatsopernchor und einem hervorragenden Ensemble mit flotten Tempi die frivole Komödie vom Partnertausch der Paare Guglielmo und Fiordiligi sowie Dorabella und Ferrando in der Berliner Staatsoper. Es ist ein Mirakel, wie Mozart und da Ponte ein so zeitloses Werk schaffen konnten, das erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt und ins Kernrepertoire aufgenommen wurde. Uraufführung war am 26. Januar 1790 in Wien, Berliner Erstaufführung am 3. August 1792, Premiere dieser Neuinszenierung war im Oktober 2022 und Wiederaufnahme in neuer Besetzung am 11. Oktober 2025. (Besuchte Vorstellung v. 23. Oktober 2025)
Vincent Huguet, Jahrgang 1978, französischer Opernregisseur, hat CosÌ fan tutte o sia la scuola degli amanti – So machen´s alle oder die Schule der Liebenden an den Anfang seiner 2021 mit Daniel Barenboim erarbeiteten Mozart-da Ponte – Trilogie gesetzt. Stilsicher hat er erkannt, dass dieses Werk so überzeitlich und so libertinär ist, dass erst die Hippies der 68-er, also junge Leute, nach Jahrhunderten der Prüderie, Romantik und Bigotterie einen solchen Partnertausch gewagt hätten, lässt es also im Jahr 1969 spielen. „Figaros Hochzeit“ spielt 20 Jahre später und zeigt die langweilig gewordene Ehe des Schürzenjägers Almaviva, und „Don Giovanni“ 2019 den Tod des alten Womanizers. So zieht sich der sexuell aktive Mann als roter Faden durch die Trilogie, während die Frauen erobert und später fallen gelassen werden.
Die Handlung spielt in einem Mittelmeerbad – im Hintergrund der Vesuv – mit vielen leicht bekleideten Hippies um die beiden Schwestern Fiodiligi und Dorabella. Der desillusionierte Rationalist Don Alfonso wettet mit den jungen Verliebten Guglielmo und Ferrando, dass ihre Verlobten Fiordiligi und Dorabella nicht treu sein würden. Angeblich plötzlich zum Militärdienst eingezogen sind sie auf einmal weg, und die beiden Schwestern grämen und langweilen sich, da kommen zwei albanische Exoten mit langen Haaren und Bärten und machen ihnen intensiv den Hof.

Guglielmo, dem temperamentvolleren und von sich selbst überzeugteren Bewerber um die Gunst der abenteuerlustigeren Schwester gelingt es als erstem, die angebetete Dorabella rumzukriegen, während Ferrando bei der skrupelbehafteteren Fiordiligi erst dann deutlich mehr Engagement zeigt, nachdem er erfahren hat, dass seine Dorabella schon mit Guglielmo handelseinig geworden ist. Dann allerdings ist kein Halten mehr. Auch Fiordiligi erliegt schließlich Ferrandos Verführungskünsten, Ferrando knöpft sich, während er seinen Sieg über Fiordiligis Zaudern verkündet, die Hose zu, und es haben sich binnen eines Tages zwei neue Paare gefunden, die auch gleich die Ehe schließen wollen. Die Ereignisse werden beschleunigt durch die abgefeimte Despina, die ohnehin die Liebe als interessanten Zeitvertreib auffasst und als Quacksalber verkleidet die angeblich aus Gram vergifteten abgewiesenen Verehrer heilt und am Ende des zweiten Akts den Notar spielt, der die Eheverträge ausgefertigt hat. Kurz bevor diese unterzeichnet sind, erscheinen plötzlich die ursprünglichen Liebhaber wieder auf der Bildfläche- große Betroffenheit und Ratlosigkeit bei den Damen! Der Glaube an ewige Treue der Liebenden ist ins Mark erschüttert.
Am Ende klärt Don Alfonso alles auf, man verzeiht einander und tröstet sich damit, dass es doch alle so machen: CosÌ fan tutte. Die ursprüngliche Konstellation wird einfach wieder hergestellt, ohne große Konsequenzen zu ziehen. Es war La scuola degli amanti – die Schule der Liebenden. Die Musik sagt mehr als im Libretto steht, nämlich, dass die neuen Paare Dorabella und Guglielmo sowie Fiordiligi und Ferrando viel besser zueinander gepasst hätten. Nach einem großen Verzeihungsensemble ist scheinbar alles wieder gut. Aber Mozart hat in beiden Fällen die erotische Anziehung, die dazu führt, dass sie die Kontrolle über ihr Verhalten verlieren, sehr anschaulich auskomponiert, und Huguet siedelt diese Szenen auf einem schwankenden Boot an, das in gefährliche Schieflage gerät. Da Ponte und Mozart erweisen sich in ihrer Trilogie als perfekte Exegeten sexuell-erotischer Anziehung und ihrer fatalen Konsequenzen.
Dirigent Marc Minkowski, am Hammerklavier Markus Appelt mit vielen Anspielungen, schlagen Funken aus der reifen Mozart-Musik mit zahlreichen wundervollen Ensembles, der von Gerhard Polifka einstudierte Chor macht in Hippie-Kostümen bella figura.
Strippenzieher war Arttu Kataja als noch recht junger Don Alfonso, tatkräftig unterstützt von Adriane Queiroz als Despina und vom als Hippies verkleideten leicht bekleideten Statistinnen und Statisten, die Strandleben à la Ibiza vormachten. Despina verkündete die Philosophie, der Weggang der Freunde sei die Chance, andere Männer auszuprobieren, noch bevor Don Alfonso sie in seine Pläne einweihen konnte. Die leichtlebige, flotte Dorabella (Ekaterina Chayka-Rubinstein) ließ sich schnell auf einen Seitensprung mit dem schlanken, attraktiven und temperamentvollen Hippie (Carles Pachon) ein, der ihr den Hof machte, denn ihr richtiger Partner Ferrando war ja auf dem Schlachtfeld. Die Verkleidung mit langhaarigen Perücken und Schnurrbärten wurde nicht durchschaut, das ist die Schwachstelle des Plots, aber wir sind hier im Theater, und es ist eine frivole Komödie.
Deutlich tragischer nahm Evelin Novak als Fiordiligi die Situation wahr. Ihre exaltierte Arie: Come scoglio immoto resta, einer Penelope würdig, die die unverschämten Freier abweist, ist mit ihren großen Sprüngen und Koloraturen ein Paradestück für lyrische Koloratursoprane, mit dem die Primadonna tief beeindruckte. Mit: Per pietà, ben mio, perdona verarbeitete sie ihre Affinität zum exotischen Ferrando und ihre Gewissensbisse gegenüber ihrem Verlobten Guglielmo. Doch auch sie fiel dem unwiderstehlichen Werben des feurigen Ferrando schließlich zum Opfer – kein Wunder, denn seine Stimme ist reines Gold. Siyabonga Maqungo gestaltete diesen sensiblen Romantiker als ernsthaft durch die Untreue seiner Braut verletzten, ja durchaus sogar eifersüchtigen und rachsüchtigen Verlobten. Maqungo als Ferrando macht die schwere Kränkung des Betrogenen deutlich, dessen Vertrauen auf die Treue seiner Liebsten so schnell enttäuscht wurde. Sein Tradito, schernito dal perfido cor ging mir an die Nieren. Das ist halt Mozart, die Tragik in der Komödie. Die Musik sagt, der Partnertausch habe sich für Fiordiligi und Ferrando durchaus gelohnt, denn beide hätten dadurch ihre wahre Liebe erst gefunden. Umso frustrierter ist man, dass sich die ursprünglichen Paare wieder finden.
Der Besuch der Berliner Staatsoper ist per se ein Erlebnis. Schon das von 2010 bis 2017 aufwändig barrierefrei restaurierte Haus ist ein Schmuckstück. Normale Repertoireaufführungen, bei denen vier der Solopartien aus dem Ensemble besetzt sind, haben hier Festspielqualität. Die Inszenierung des französischen Regisseurs Vincent Huguet versetzt das Stück in die Gegenwart, überspielt die sozialen Ungleichheiten, und plötzlich erkennt man sich selbst und andere wieder, und jungen Zuschauerinnen und Zuschauern geht es nicht anders, weil Mozarts Musik Verliebtheit, Verführung und Begehren so unnachahmlich perfekt ausdrückt.
- Rezension von Ursula Hartlapp – Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Staatsoper Berlin / Stückeseite
- Titelfoto: Staatsoper Berlin /Cosi fan tutte/ Foto: Matthias Baus (Foto der Premiere Oktober 2022)