Mit Rossinis letzter Oper “Wilhelm Tell”, welche 1829 in Paris als Grand Opéra uraufgeführt wurde, haben sich die Bühnen Bern an ein ganz großes Werk herangewagt. Mit 11 Solistenpartien und vielen Chorauftritten stellt diese Oper für jedes Haus eine echte Herausforderung dar. (Rezension der Premiere v. 15.10.2022)
Der Freiheitskampf des Schweizer Nationalhelden Wilhelm Tell und seinen Genossen gegen die Habsburger ist seit der literarischen Vorlage von Friedrich Schiller weit herum bekannt und immer noch gilt die dramatische Schlüsselszene mit dem Apfelschuss als die Szene, welche jeder Schüler kennt. Rossini verwendet das Libretto von Étienne de Jouy und Hippolyte Bis. Die ursprünglich über vier Stunden dauernde Oper wurde hier in einer verkürzten Fassung aufgeführt.
Die Regisseurin Amélie Niermeyer zusammen mit dem Bühnenbildner Christian Schmidt haben den Versuch gewagt, diese Geschichte in unsere Gegenwart zu versetzen. Ein mutiges Unterfangen, besonders zum jetzigen Zeitpunkt, wo die Wahrnehmung der Menschen durch sehr bedrückende Ereignisse belastet ist.
Mit Videoprojektionen, Lichteffekten und einer sich manchmal etwas zu oft drehenden Bühne, entstehen spannende Bilder. Warum aber während der Ouvertüre, mehrmals der Vorhang sich hebt und senkt und kurze Einblicke auf die Bühne zulässt, erschließt sich wohl nicht vielen Zuschauern. Das die Ouvertüre zur Hälfte erst nach der Pause erklingt, ist ebenfalls ein gewagtes unterfangen. Besonders die ersten beiden Akte, sind trotz eindrücklichen Bildern eher verwirrend, da hier oft der Text und die Bilder zu weit auseinander trifften. Nach der Pause wird die Handlung klarer erkennbar. Stark ist die Szene mit dem Apfelschuss gelöst, welche mittels eines teilweise verschwommenen Fadenkreuzes die enorme Anspannung des Schützen vermittelt und für echte Spannung sorgt. Mit den Video-Projektionen von aktuellen Protestdemonstrationen und Kampfszenen, lässt sich die Handlung durchaus in die Grundstimmung unserer Zeit versetzen. Die Kostüme von Axel Aust passen gut zum Konzept der zeitversetzten Handlung.
Auf der musikalischen Seite kann Bern mit einigen Leistungen auf wirklich hohem Niveau aufwarten.
Der litauische Bariton Modestas Sedlevičius als Wilhelm Tell überzeugt mit einer kraftvollen Stimme. Anton Rositskiy begeistert mit seinem bis in die höchsten Höhen sicheren lyrischen Tenor und bietet ein starkes Rollenporträt.
Dass Bern mit der Südafrikanischen Sopranistin Masabane Cecilia Rangwanasha das große Los gezogen hat, ist den regelmäßigen Besuchern in Bern schon länger aufgefallen. Mit ihrem Rollendebut als Mathilde bot diese außergewöhnliche Sängerin eine weitere Glanzleistung auf ihrem Weg auf die großen Bühnen der Welt.
Mit Christian Valle als Walther Fürst, Andreas Daum als Melcthal und Matheus França, waren drei Bassstimmen zu hören, welche optimal besetzt waren. Die Sopranistin Giada Borrelli konnte mit Stimme und Spiel als „Tochter“ Jemmy begeistern. Die Tenöre Michal Prószyński als Rodolphe und Filipe Manu als Ruodi, Bariton Jonathan McGovern als Leuthold, sowie die Mezzosopranistin Claude Eichenberger als Hedwige, ergänzten das Ensemble mit ebenfalls überzeugenden Leistungen.
Eine Aufführung dieser groen Oper steht und fällt mit der Leistung des Chors, welcher bei diesem Werk eine zentrale Rolle spielt und viele Auftritten hat. Was Chorleiter Zsolt Czetner mit dem Chor und Extrachor der Bühnen Bern erarbeitet hat, ist ein Hörgenuss und verdient, besonders gelobt zu werden.
Das Berner Symphonieorchester bot unter der engagierten Leitung des jungen Dirigenten Sebastian Schwab eine rassige Wiedergabe dieser herrlichen Musik. Stellenweise müsste allerdings die Lautstärke, insbesondere bei den großsen Chorszenen, etwas reduziert werden, um mit der Größe des Raums besser zu harmonieren.
Man kann den Besuch dieser nicht sehr oft gespielten Oper jedem Opernfreund empfehlen, zumal man gerade im musikalischen Bereich einige sehr erfreuliche Entdeckungen erleben wird.
- Rezension von Marco Stücklin / Red. DAS OPERNMAGAZIN-CH
- Bühnen Bern / Stückeseite
- Titelfoto: Bühnen Bern/Guillaume Tell/Foto @ Tanja Dorendorf
Sehr gute Inszenierung und musikalische tolle Leistung!
Allerdings ist die Lautstärke zum Teil etliche dB zu hoch und reicht für empfindliche Hörorgane bis an die Schmerzgrenze —> warum muss in der Klassik auch der gleiche Fehler wie in anderen Sparten der sog. „Musik“?
Das Auseinandernehmen der überaus gelungenen Ouvertüre finde ich eher fragwürdig.
Freundliche Grüsse aus Köniz
Peter Reck