Opernhaus Zürich: „Die tote Stadt“ – Premierenbericht

Opernhaus Zürich/DIE TOTE STADT/ Ensemble/Foto: Monika Rittershaus

Erich Wolfgang Korngold’s Talent als Komponist wurde schon erkannt, als er noch ein kleiner Junge war. Er konnte sich schon sehr früh über grosse Erfolge erfreuen. Bereits im Alter von 11 Jahren wurde dem als Wunderkind Gefeierten die grosse Ehre zuteil, seine Komposition des pantomimischen Balletts „Der Schneemann“ an der Wiener Hofoper aufführen zu dürfen. Der große Erfolg liess ihn zu einem Liebling der Aristokratie werden. Es folgten Klaviersonaten, eine Ouvertüre und eine Sinfonietta, welche von vielen der damaligen großen Dirigenten aufgeführt wurden. Auch mit seinen Opern war Korngold sehr erfolgreich und avancierte in Deutschland und Österreich neben Richard Strauss bald zu den meistgespielten Opernkomponisten. Sein größter Erfolg war die Oper „Die tote Stadt“, welche 1920, Korngold war damals erst 23 Jahre alt, in Hamburg und gleichzeitig auch in Köln ihre Uraufführung erlebte. (Rezension der Premiere v. 21. April 2025)

 

 

Als 1934, während der Zeit des Austrofaschismus, von Max Reinhard die Einladung kam, in Hollywood für den Film „Midsummer Night‘s Dream“ die Filmmusik zu arrangieren, begann Korngold‘s Karriere als Filmmusik-Komponist. Immer wieder verbrachte er dann die Winterzeit in Kalifornien. Von 1935-1946 verfasste er die Musik für 19 Filme und gewann damit 2 Oscars. 1938 musste er als Jude dauerhaft in den USA bleiben. Dank seines guten Rufes und seiner Verbindungen gelang es ihm, auch seine Familie und seine Eltern in die USA nachziehen zu lassen. Ab 1946 wandte er sich wieder vermehrt der klassischen Musik zu, aber mit seinen Kompositionen gelang es ihm nicht mehr, an die früheren Erfolge anzuknüpfen. Die Zeiten hatten sich geändert und er geriet in Vergessenheit. Erst 1972 begann mit der Neuauflage seiner Werke in Amerika eine Renaissance seiner Musik. Im Jahre 2003 brachte das Opernhaus Zürich bereits eine Produktion dieser Oper.

Opernhaus Zürich/DIE TOTE STADT/Björn Burger und Evelyn Herlitzius/ Foto: Monika Rittershaus

Als Handlung dient die dramatische Geschichte des trauernden Paul, der seine Frau Marie verloren hat und seither sein Heim in einen Tempel der Erinnerungen verwandelt hat, wo jeder Gegenstand an die Verstorbene erinnert. Sein Freund Frank versucht, ihn von diesem Kult zu lösen. Paul begegnet auf der Strasse einem Mädchen, welches Marie so ähnelt, dass er sie zu sich nach Hause holt. Ihr Name ist Marietta. Mit Hilfe von allerlei Gegenständen wie einem Halstuch oder eines Instruments Maries, will er durch sie Marie‘s Bild lebendig erhalten. Aber Marietta kann das alles nicht nachvollziehen, was immer wieder Streitigkeiten zur Folge hat. Schließlich verlässt sie ihn mit dem Hinweis, er wisse ja wo er sie finden kann, falls er sie wiedersehen wolle.

Paul ist zwischen seinen Gefühlen hin- und hergerissen. Auf der Straße begegnet er Frank, der damit prahlt, er besitze den Schlüssel zu Mariettas Haus. Seit dann sind die beiden Rivalen.

Vor dem Haus wird gefeiert und Paul erkennt unter den Menschen auch Marietta, welche mit Männern am Flirten ist. Er will dies unterbinden und es kommt erneut zu einem großen Streit. Der Grund seiner Leidenschaft für Marietta ist einzig, weil er in ihr Marie wiederzufinden hofft. Trotzdem will er Marietta nicht verlieren und fügt sich ihrem Wunsch, sie nur um ihrer selbst zu lieben. Dies gelingt jedoch nicht, weil Paul sie weiterhin mit Marie vergleicht. Die Auseinandersetzungen eskalieren und Marietta macht sich über die „Reliquien“ von Marie lustig. Das Drama endet damit, dass Paul in rasender Wut Marietta umbringt.

Korngold und sein Vater hatten das Libretto gemeinsam geschrieben und wollten der Geschichte ein positives Ende geben. Paul erwacht und stellt fest, dass alles nur ein Traum war und dass Marietta noch lebt. Dieser Schluß wird bei Zürcher Inszenierung weggelassen.

Der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov hat auch das Bühnenbild für seine Inszenierung entworfen. Er lässt die Handlung in einem kühlen, erhöhten Gebäude spielen, welches einen Einblick in Paul‘s Wohnung mit spartanischer Einrichtung gewährt, was die Verlassenheit und Hoffnungslosigkeit der Situation zum Ausdruck bringt. Durch die Fenster sieht man wie in einem Gemälde von Dennis Hopper, die agierenden Sänger und Sängerinnen. Vor dem Haus ein kahler Platz mit einer Drehbühne, welche für die Straßenszenen zusätzlich eine nüchterne Stimmung erzeugt. Tcherniakov eröffnet die Aufführung mit einem Prolog, in welchem aus der Erzählung von Fjodor Dostojewskis „Die Sanfte“ rezitiert wird. Damit will er seinen Verdacht äußern, dass Marie möglicherweise nicht eines natürlichen Todes gestoben ist, sondern dass Paul‘s Narzismus und sein Besitzanspruch sie schließlich zum Suizid getrieben haben.

Die Kostüme stammen von Elena Zaytseva, die Lichtgestaltung von Gleb Filshtinsky und das Video von Tieni Burkhalter.

In jedem Akt erscheint Marietta als eine andere Figur. Das mag zunächst irritieren, soll aber gemäß Tcherniakov die Suche Pauls nicht nach einer seiner Ehefrau ähnlichen Frau, sondern einer Frau, auf welche er das Verhaltensmuster seiner verstorbenen Gattin übertragen kann. So entsteht ein Porträt von Paul, welcher getrieben ist von Suche und Verzweiflung.

Die musikalische Seite dieser Aufführung zieht einen von Anfang an in den Bann.

Opernhaus Zürich/DIE TOTE STADT/Eric Cutler/Foto: Monika Rittershaus

Die Besetzung kann mit einigen Rollendebüts aufwarten. Der amerikanische Tenor Eric Cutler als Paul singt die überaus fordernde Rolle höhensicher und mit großer Textverständlichkeit und überzeugt auch durch sein Spiel.

Nicht zum ersten mal singt die Sopranistin Vida Miknevičiūtė die Partie der Marie. Es gelingt ihr bestens, sich bei dieser Inszenierung in die geforderten drei verschiedenen Mariettas zu verwandeln. Mit großer Stimme, welche zwar zum Vibrato neigt, gestaltet sie diese anspruchsvolle Rolle mit grossem Einsatz.

Björn Bürger ist eine Idealbesetzung für die Partie des Frank. Mit seinem noblen Bariton verleiht er dieser Rolle Eleganz und begeistert in jeder Hinsicht. Ein Highlight ist seine Arie „Mein Sehnen und Wähnen“. Weitere Rollendebüts boten Evelyn Herlitzius  als Brigitta, die Freundin der verstorbenen Marie, Rebeca Olvera als Juliette, Daria Proszek als Lucienne und Nathan Haller als Victorin. Raúl Gutiérrez als Gaston, Álvaro Diana Sanchez als Graf Albert und Irina Das als Marie. Sie alle vereinten sich zu einem Ensemble welches diese Aufführung zu einem musikalischen Genuss machte.

Die Leitung der Philharmonia Zürich hatte der Schweizer Dirigent Lorenzo Viotti inne, welcher das Orchester straff führte und aufblühen ließ. Das riesig besetzte Orchester überzeugte auch in den leisen Passagen und man fühlte sich förmlich in diese sehr intensive Komposition hineingezogen.

Das Publikum ließ sich äußerst konzentriert auf diese Aufführung ein und spendete am Ende der Aufführung einen für Zürich außergewöhnlich langen Applaus für die Gesamtleistung diese Abends. Wer die Gelegenheit hat, sollte sich diese Aufführung ansehen.

 

  • Rezension von Marco Stücklin / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Opernhaus Zürich / Stückeseite
  • Titelfoto: Opernhaus Zürich/DIE TOTE STADT/Eric Cutler und Vida Miknevičiūtė/ Foto: Monika Rittershaus
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