
Mit einem Ballettabend, welcher mit zwei choreografischen Uraufführungen und einer schweizerischen Erstaufführung einen spannenden Rückblick auf die 1920er-Jahre bot, begeisterte das Ballett Zürich mit einer großartigen Leistung. (Rezension der Vorstellung v. 20.01.2024/Premiere)
Den Auftakt des Ballettabends machte „For Hedy“ der australischen Choreografin Meryl Tankard, welche zum ersten Mal am Opernhaus Zürich wirkte. Als 1926 George Antheil, das „enfant terrible“ der amerikanischen Musikszene, sein „Ballet mécanique“ zur Uraufführung in Paris brachte, spaltete diese Komposition die Meinung des Publikums. Dies ist auch heute noch durchaus nachvollziehbar. Es gilt als Schlüsselwerk der Moderne. Die der Choreographie zugrundeliegende Klangwelt, wo Schlagzeug, Propellersausen, Sirenen und Martinshörner sowie ein Klavier zum Einsatz kommen, wirkt auch heute noch irritierend. Ursprünglich sollten 16 mechanische Klaviere synchron eingesetzt werden, was jedoch nicht gelang. In der gezeigten Fassung spielte der Pianist Guy Livingston live auf der Bühne den anspruchsvollen Pianopart, welcher zuweilen jedoch durch das übrige Getöse übertönt wurde.
Meryl Tankard und die Bühnenbildnerin Magda Willi, sowie die Kostümdesignerin Bregje van Balen haben bei dieser Inszenierung die Filmdiva Hedy Lamarr in den Mittelpunkt gestellt und sie mit effektvollen Gesten und Posen, wie es damals üblich war, auftreten lassen. Hedy Lamarr wurde damals als „schönste Frau der Welt“ vermarktet. Lamarr hatte mit Antheil versucht, die Klaviere in Einklang zu bringen und hatte durch die weitere Forschung das Frequenzsprungverfahren erfunden.
Die Klangkulisse wird mittels diverser Lautsprecher im Zuschauerraum verbreitet. Um Lamarr herum entwickelt sich in rasanter Folge ein Chaos aus herumeilenden, schreienden und kriechenden Figuren. Ein wildes Durcheinander, das schwer zu fassen ist. Das Bühnenbild fasziniert durch eine raffinierte Beleuchtung und Videoprojektionen.

Die zweite choreografische Uraufführung war „Rhapsodies“ des südafrikanischen Choreografen Mthuthuzeli November, basierend auf George Gershwins berühmter „Rhapsody in Blue“, welche vor genau hundert Jahren 1924 uraufgeführt wurde.
Mit beeindruckenden Schrittfolgen und schier unglaublicher Beweglichkeit wird jede Facette dieser Komposition virtuos tänzerisch umgesetzt und uns die uns dauernd umgebende Hektik vor Augen gehalten. Spannend dabei ist November‘s originelle Idee, mit einer eigenen Komposition von Naturgeräuschen Gershwin‘s Musik zu durchbrechen und so eine Verbindung zu seiner afrikanischen Heimat herzustellen. Die Beleuchtung und das Bühnenbild harmonieren hervorragend.
Die beiden Pianisten Robert Kolinsky und Tomas Dratva spielten auf den beiden Flügeln virtuos.
„Les Noces“, 1923 in Paris uraufgeführt, war das dritte Werk des Abends. Es bot eine interessante Begegnung mit einer Arbeit von Bronislawa Nijinska, der Schwester des berühmten Tänzers Vaslav Nijinski. Nijinska war eine allseits bekannte Tänzerin und wichtige Choreografin ihrer Zeit. Lange stand sie im Schatten Ihres Bruders und erst später wurde Ihre Bedeutung für die Ballettwelt gebührend gewürdigt. Ihre Choreografie von „Les Noces“, basierend auf Igor Strawinskys „Le Noces“ gilt als eines der wichtigsten Werke des 20. Jahrhunderts und war an diesem Abend zum ersten Mal in der Schweiz zu sehen. Einstudiert wurde das Werk durch Christopher Saunders.

Die tänzerische Interpretation des Werkes zeigt eine alles andere als eine glückliche Hochzeit. Es fasziniert durch die kantig stampfenden, harten Körperbewegungen, welche sich unentwegt zu neuen, fast architektonisch wirkenden Gruppierungen formieren. Hier wird von den Tänzer/innen höchste Präzision gefordert. Die Kostüme und das Bühnenbild stammen von Natalia Gonchearova und die Lichtgestaltung von John B. Read. Diese Aufführung von Strawinskys Komposition bedingt einen unüblichen Aufwand, sind doch im Orchestergraben nebst Pauke und diversen Schlagzeugen auch vier Flügel platziert.
Die vier Pianisten Robert Kolinsky, Tomas Dratva, Kateryna Tereshchenko und Lidiia Vodyk, die Zürcher Sing-Akademie, einstudiert von Florian Helgath und die vier Gesangsolisten, Flavia Stricker, Dominika Stefanska, Christopher Willoughby und Aksel Daveyan, alle Mitglieder des Internationalen Opernstudios, sowie der Bassist Yves Brühwiler boten unter der Leitung von Sebastian Schwab eine mitreißende Aufführung.
Ganz bewusst wird hier auf die Nennung einzelner Solisten des Ballett Zürich verzichtet. Was an diesem Abend geboten wurde, war Ballett und Tanztheater auf höchstem Niveau und soll als eine tolle Gesamtleistung aller Beteiligten, inklusive der Tänzer des Junior Balletts gewürdigt werden.
Das Publikum zeigte sich begeistert und geizte nicht mit Bravorufen. Diesen Ballettabend sollte man sich nicht entgehen lassen.
- Rezension von Marco Stücklin / Red. DAS OPERNMAGAZIN-CH
- Opernhaus Zürich / Stückeseite
- Titelfoto: Ballett Zürich/TIMEKEEPERS/Les Noces/Foto: Gregory Batardon