Opernfestspiele mit Nachspielzeit: „Die Frau ohne Schatten“ an der Bayerischen Staatsoper

Bayer. Staatsoper München/FRAU OHNE SCHATTEN/Foto @ W. Hoesl

Am Tag des Finalspiels der Fußball-Europameisterschaft der Frauen sollten auch die diesjährigen Münchner Opernfestspiele mit Richard Strauss Opus magnum „Die Frau ohne Schatten“ zu ihrem glanzvollen Abschluss geführt werden. Erst wenige Tage zuvor wurde Nina Stemme nach ihrer Darstellung der Färbersfrau zur Bayerischen Kammersängerin ernannt. Sie gilt als die mitunter bedeutendste hochdramatische Sopranistin der Gegenwart. Bedauerlicherweise musste Kammersängerin Stemme ihre Teilnahme am Saisonfinale des 31. Juli aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig zurückziehen – wodurch sich der Opernvorhang der Staatsoper erst zwei Stunden später heben konnte: Um 19 Uhr, anstelle der am Spielplan veranschlagten 17 Uhr! (Rezension der Vorstellung v. 31. Juli 2022)

 

 

„The Show must go on” lautete das Motto von Opernintendant Serge Dorny. Kurzerhand ließ dieser mit der finnischen Sopranistin Miina-Liisa Värelä die einzig adäquate Auswechselspielerin dieser Partie direkt aus Helsinki einfliegen. Trotz Polizeieskorte vom Münchner Flughafen ins Opernhaus ließen die Flugpläne kein rechtzeitiges Eintreffen der Färbersfrau um 17 Uhr zu. Miina-Liisa Värelä ist eine der wenigen Sängerinnen weltweit, die die Rolle ungestrichen in gesamter Länge im Repertoire führen. Mit diesen Voraussetzungen und ihrer kurzfristigen Anreise wurde sie natürlich sogleich „woman of the match“. Erst im Frühjahr diesen Jahres verkörperte Värelä unter der musikalischen Leitung von Sebastian Weigle die Färberin – ebenfalls ohne Striche – an der Oper Frankfurt. Beide überzeugten sogleich als eingespieltes Team, so dass in Väreläs Stimme weder Ermüdungserscheinungen vom Flug noch eine Nervosität aufgrund ihres Hausdebüts spürbar waren. Sie beeindruckte in ihrer Partie mit glühend-leuchtender Sopranstimme, gefüllt von Leidenschaft und Wärme. Väreläs Interpretation der Färberin war nicht der hochdramatische Brünnhilde-Verschnitt oder das keifende Weibsbild, wie man es andernorts so häufig erlebt. Vielmehr verkörperte die Finnin eine Färbersfrau, die schicksalsträchtig und missverstanden von ihrer Umgebung in einem tristen Leben voll unerfüllter Sehnsüchte verdorrt.

Mit Camilla Nylund als Kaiserin stand ihr eine Ausnahmesopranistin des Strauss-Fachs zur Seite, die derzeit in immer größere dramatische Rollen hineinwächst. Während Nylund zuletzt als Isolde am Opernhaus Zürich debütierte (und brillierte), werden in Kürze sämtliche drei Brünnhilden des Ring-Zyklus folgen. Indem sie ihre Stimme schlank, fast schon etwas zurückhaltend führte, charakterisierte Nylund zunächst eine Kaiserin voll Neugierde und Verletzlichkeit. Im dritten Akt wuchs die Sopranistin über sich hinaus. Sie übte sich in Selbstüberwindung und bewies damit, zu welch ungeahnt hochdramatischen Sprüngen und vokal kontrollierten Ausbrüchen ihre Stimme in der Lage war. Es blieb kein Zweifel, dass Nylund mit dieser außerordentlichen Leistung auch die heroischen Wagnerfiguren glücken werden!

Auf den Opernbühnen der gesamten Welt gilt Michaela Schuster seit über zwei Jahrzehnten als Personifikation par excellence von Strauss sonderbarer Figur der Amme. Ihre Darstellung dieser Partie wird – im positiven Sinne – zunehmend exzentrischer. Als Amme kann Schuster derzeit niemand das Wasser reichen, denn auch hinsichtlich Mimik und Gestik hat sie sich diese Rolle in jeder Silbe erarbeitet. Mit ihrem kraftvollen Mezzo-Organ ließ sie insbesondere in den expressiven Phrasen wie „Übermächte sind im Spiel“ dem Publikum einen Schauer über den Rücken laufen.

Ob die anspruchsvolle Partie des Kaisers schon einmal schöner geklungen hat? Eric Cutler bewies an diesem Abend eine Gesangskunst allerhöchsten Niveaus! Der Tenor glänzte in seinen beiden kurzen, dabei herausfordernden Solo-Auftritten, mit offener, niemals forcierender, zugleich klangschöner Tenorstimme.

Zu guter Letzt noch der Bariton Michael Volle als Barak: Ihn zu preisen hieße Eulen nach Athen zu tragen! Das Publikum zeigte sich glückselig, diesen Ausnahmesänger auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper endlich wieder in einer deutschsprachigen Partie erleben zu dürfen.

Bayer. Staatsoper München/FRAU OHNE SCHATTEN/Foto @ W. Hösl

Ursprünglich wollte Valery Gergiev – nachdem er im vorigen Sommer aufgrund corona-bedingter Reisebeschränkungen die musikalische Leitung von Wagner „Das Rheingold“ in München absagen musste – zu den diesjährigen Opernfestspielen sein Debüt an der Bayerischen Staatsoper feiern. Als Putinfreund und aufgrund seiner Haltung zum Ukrainekrieg wurde Gergiev mit roter Karte vom Platz, bzw. aus dem Graben verwiesen. Vermisst hat ihn an diesem Abend niemand mehr, denn so stand mit Sebastian Weigle ein Dirigent am Pult des Bayerischen Staatsorchesters, der sich vor vielen Jahren mit Strauss‘ „Die Frau ohne Schatten“ zum Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt qualifizierte und von dort aus mit den Musikdramen des Komponisten seine Weltkarriere endzündete. Er bewies in München erneut, dass ihm das Werk eine Herzensangelegenheit zu sein scheint. Diese „letzte romantische Oper“, wie Richard Strauss und sein Dichter Hugo von Hofmannsthal die „Frau ohne Schatten“ bezeichneten, durchdrang Weigle nicht nur musikalisch, sondern auch philosophisch.

Denn wie sonst erklärt es sich, dass der Dirigent die Klangfarben, die Akzente und Effekte, nie um ihrer selbst willen, sondern stets im Einklang mit der Dichtung und im Fluss des Dramas zu setzen wusste? Weigles Dirigat war von allererster Strauss-Qualität. Das Solistenensemble fördernd, sich dennoch auf die Handlung konzentrierend, blieb sein Orchesterklang stets ausgeglichen, oftmals eher süß und detailverliebt als polternd – gerade das macht ja auch die musikalische Romantik aus. Obgleich es für eine La-Ola-Welle nicht gereicht hat, wurde der Dirigent zu Beginn des dritten Akts vom Publikum zurecht mit einem Jubelorkan gefeiert, wie man ihn zuletzt an der Bayerischen Staatsoper nur für Kirill Petrenko gehört hat.

Bayer. Staatsoper München/FRAU OHNE SCHATTEN/Foto @ W. Hösl

Krzysztof Warlikowski schuf an der Bayerischen Staatsoper mit seiner Inszenierung der „Frau ohne Schatten“ die bildgewaltigste und mitunter überzeugendste Arbeit seiner Regiekarriere. Auch knapp zehn Jahre nach der Premiere bleibt die mit filmischen Metaphern gespickte Deutung zeitlos und sehenswert. Als Theaterpraktiker hat Warlikowski eine effektvolle Bühnenshow geschaffen, die für sich steht und überwältigt, aber dessen Symbolismen zugleich in einem tieferen Kontext gedeutet werden können – wenn sich der geneigte Zuschauer drauf einlässt.

Musikalische Hochspannung bis zum Abpfiff um Mitternacht! Während die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen in dieser Juli-Nacht lediglich Vize-Europameister geworden ist, schoss Sebastian Weigle diese „Frau ohne Schatten“ zu einem (wenn nicht sogar dem!) musikalischen Spielzeithöhepunkt der Bayerischen Staatsoper. Treffer, versenkt – Bravo!

 

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Ein Gedanke zu „Opernfestspiele mit Nachspielzeit: „Die Frau ohne Schatten“ an der Bayerischen Staatsoper

  1. Also, ich war in der Vorstellung zuvor und habe auch Herrn Cutler gehört, der sich keinesfalls mit den großen Kaiern vor ihm in München und Wien messen kann. Seine Stimme ist zwar schön, aber es fehlt an Volumen und seinem Spiel auch an Charisma.

    Die Inszenierung des relativ unemphatischen K. Warlikowski dieses romantischen Märchens kann man auch ganz anders sehen. In den tristen Bühnenbildern von Malgorzata Szcześniak, auch für die teilweise unvorteilhaften Kostüme verantwortlich, ist über lange Zeit an Unterkühlung kaum zu unterbieten. Holzgetäfelte Eleganz wechselt mit OP-ähnlichen Kachelwänden und ärztlichen Eingriffen. Alles schon zuvor gesehen! Rampensingen und gelangweiltes, abwartendes Liegen auf Sesseln oder Sitzen auf Wartezimmer-Stühlen ist an der Tagesordnung, ohne je auf die fundamentalen Unterschiede zwischen Kaiser- und Färberwelt einzugehen.
    Eine Produktion, die einen so richtig kalt lassen kann, was gerade bei der „Frau ohne Schatten“ etwas heißen will!

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