
Nach dem ausgezeichneten „Rigoletto“ in der Hauptstadt der Baleareninsel Menorca war es mir ein Bedürfnis, an einen Ort zurückzukehren, der wesentlich mehr Eigenart und Bodenständigkeit bewahrt hat als die „große Schwester“ Mallorca. (Rezension der Vorstellung v. 31.5.2019 im Teatre Principal de Maó)
Wie bereits im Vorjahr erwähnt, veranstaltet ein privater Verein von Opernfreunden, unterstützt von ein paar Zuschüssen der öffentlichen Hand, im ältesten Opernhaus Spaniens jährlich eine Stagione, bei der eine Oper zweimal gegeben (und gratis auch auf einen mit ein paar hundert Stühlen bestückten Corso übertragen) wird. Heuer fiel die Wahl auf Giuseppe Verdis fünfte Oper „Ernani“, die Adaption von Victor Hugos Skandalstück „Hernani“. (Das waren noch Zeiten, als sich Skandale daran entzündeten, dass Hugo die klassische Trinität von Zeit-Ort-Handlung nicht eingehalten hatte und damit das romantische Drama begründete…).
1844 in Venedig uraufgeführt, in Spanien erstmals 1845 (in Madrid) zu hören und in Menorca 1849 erstaufgeführt, gehört „Ernani“ ja zu den Werken, die nach einem Scherzwort einfach zu besetzen sind – man braucht nur die vier bestens Sänger ihres Faches. So hatte sich die 48. „Temporada“ eines Gesangsquartetts versichert, das sich wahrlich sehen lassen konnte. Die Titelrolle sang erstmals José Bros (als Katalane hier natürlich mit seinem Vornamen Josep präsentiert), der einen vorzüglichen Eindruck hinterließ. Der ursprünglich lyrische Tenor hat sich langsam in dramatischere Gefilde vorgearbeitet, die nicht immer zu voller Zufriedenheit ausfielen, wie etwa die Titelrolle in „Don Carlo“. Hier fand Bros hingegen die richtige Stimmfarbe für eine Rolle, die zwar gerne mit Spintotenören (Del Monaco, Corelli…) besetzt wird, aber zu Verdis Zeiten noch von im Belcanto spezialisierten Künstlern gesungen wurde. Ausgezeichnete Phrasierung und Diktion machten neben seinem temperamentvollen Auftreten Bros zu einem überzeugenden Vertreter des zum Räuberhauptmann gewordenen Adeligen. Seine Gegenspieler um die Liebe Elviras, Don Carlo und Silva, waren Simone Piazzola und Simon Orfila anvertraut. Über Piazzola musste ich mehrmals berichten, dass eine übermäßige Gewichtsabnahme leider zur Halbierung seines außergewöhnlich schön timbrierten Baritons geführt hatte. Nun scheint sich seine Physis auf die neuen Gegebenheiten eingestellt zu haben, und er sang einen prachtvoll auftrumpfenden Don Carlo, der sich seine große Szene im 3. Akt überzeugend zu eigen machte und den zukünftigen Karl V. wahrhaft königlich auf die Bühne stellte.
Der aus Menorca stammende Orfila, der vom leichteren Bassbaritonfach eines Mozart-Figaro kommt, sang erstmals den Silva und zeigte, dass sich seine Stimme in der Tiefe überzeugend entwickelt hat. Dazu stellte er den rachsüchtigen Alten mit hoher szenischer Präsenz und einer Eleganz auf die Bühne, die der Rolle jede Eindimensionalität nahm. Die von den drei Herren umworbene Elvira, eine nicht nur stimmlich, sondern auch musikalisch besonders anspruchsvolle Rolle, sang Anna Pirozzi mit ihrem auch größerer Dramatik nicht abgeneigten jugendlich-dramatischen Sopran in einer Stimmfülle, die das (durch die anderen hervorragenden Leistungen ohnedies schon applausfreudige) Publikum wiederholt zu besonderen Akklamationen verführte. Aus den Nebenrollen, Giovanna (Maria Camps), Jago (David Cervera) stach Alberto Casals als vielversprechender Don Riccardo hervor.
Cristina Álvarez war eine kompetente Leiterin des aus opernliebenden Laien bestehenden Chors, und Matteo Beltrami zeigte einmal mehr, was als Orchestererzieher in ihm steckt. Das wenig opernerprobte Orchester der Balearen führte er in wenigen Probentagen zu einer Leistung, als wäre Oper das tägliche Brot der MusikerInnen. Man konnte aber auch den Totaleinsatz der Orchestermitglieder merken und spürte, wie intensiv die Beziehung zwischen Podium und Graben war.
Die Regisseurin Giorgia Guerra wusste die aus der Opéra Royal de Wallonie in Lüttich entliehenen Bühnenbilder auf der kleinen Bühne bestens zu nützen, arrangierte nicht nur gut Chor und Solisten, sondern es gelang ihr, durch die orchestrale Leistung bestens unterstützt, auch, szenische Spannung zwischen den Protagonisten aufzubauen. Die schönen, auch aus Lüttich stammenden historischen Kostüme taten ein Übriges, um einen mitreißenden Opernabend zu vervollständigen.
Das Publikum geriet vor Begeisterung außer Rand und Band, und wir wünschen ihm und den enthusiastischen Veranstaltern noch viele erfolgreiche „Temporadas“.
- Gastartikel von Eva Pleus/Red. Der Opernfreund
- Teatre Principal de Maó
- Alle Fotos: Teatre Principal de Maó
- Titelfoto: By Teatremao – Own work, CC BY-SA 4.0, @commons.wikimedia