Besuchte Vorstellung: 6. Juni
Wiener KammerOrchester
Kammeroper Wien
Musikalische Leitung: Hartmut Keil
Richard Wagner verwandelte die mittelalterliche Legende von Tristan und Isolde in ein metaphysisches, sich ganz auf das innere Geschehen der Titelfiguren konzentrierende, Opernwerk. Fernab von Drachen, Göttern oder Nixen sind in diesem Musikdrama einzig die Seele, Schmerzen und Gefühlsempfindungen von Bedeutung. In seinem Regie-Debut abstrahierte der Bass Günther Groissböck an der Kammeroper Wien den Stoff Richard Wagners auf eine weitere Ebene indem er ihm mittels gekonnter Striche jegliche Theater-Effekte nahm und die Instrumentation auf ein 20-köpfiges Kammerorchester minimierte. Ein weltweilt geachteter Sänger übt sich als Regisseur und Tonsetzer und übernimmt dabei die prägnante Bass-Partie des Werkes. Ein Experiment mit dem Potential zu scheitern? Nicht so an der Kammeroper Wien, denn hier sprach Günther Groissböck als Regisseur und König Marke ein aufschlussreiches doppeltes Verdikt, in welchem er Tristan und Isolde sowie deren geistigen Schöpfer Richard Wagner von jeder Schuld freisprach.
Auf den Seiten der kahlen, weißen Bühne stehen zwei Stühle, auf ihnen sitzen gefesselt zwei Probanden, sie sind sich vorher noch nicht begegnet. Zum Vorspiel wird mittels einer die Sinne stimulierenden und überreizenden Videoeinspielung die Verbindung an die medial überfrachtete und techniküberladene Gegenwart hergestellt. In steriler Umgebung entfaltet sich aus diesem Wahnsinn die Handlung des Musikdramas, verwandeln sich diese beiden Menschen erst zu Tristan und Isolde und schließlich, indem sie den vermeintlichen Todestrank zu sich nehmen, zu Richard Wagner und seiner Geliebten Mathilde Wesendonk.
Den Komponisten auch szenisch in die Bühne mit einzubeziehen ist eine gängige Idee, wie man es ähnlich auch schon bei den Bayreuther Festspielen von Stefan Herheim oder Barrie Kosky gesehen hat. Indem Günther Groissböck in seiner Doppelrolle als Regisseur der Produktion auch zugleich szenisch den Laborleiter in Form des König Marke verkörpert, ist das Publikum vor die Frage der Identität des zeitgenössischen Musiktheaters gestellt. Denn hat sich König Marke hier sein Leid nicht selbst gewählt, gerade ihm stünde es als Regisseur doch frei, das Experiment zu seinen Gunsten ausfallen zu lassen? Wer außer dem Regisseur sollte dies denn sonst beeinflussen können? Oder ist die Problematik viel tiefgehender, lässt sich wahre Liebe selbst auf der Opernbühne nicht verheimlichen und auch der strengste Spielleiter ist machtlos gegenüber der transzendieren Kraft von Wagners Mythologie? Groissböck beantwortet diese Fragen in seiner Inszenierung nicht und überlässt es seinem Publikum, seine Gedankengänge zu Ende zu führen.
Für König Marke als Doktor ist das Experiment gescheitert, als Mensch hat dieser sich jedoch schon in seinem Monolog überwunden und verzeiht seinen beiden Probanden. Für Günther Groissböck wurde die Produktion jedoch zum vollen Erfolg, denn der Sängerdarsteller übertraf sich in seiner Paraderolle wieder einmal selbst. Die Intensität seiner festen, markdurchdringenden Bassstimme ließ König Marke in der kleine Kammeroper geradezu furchteinflößend wirken. Dabei vermittelte Groissböck in den Worten seiner Anklage „Die kein Elend sühnt, warum mir diese Schmach?“ eine Gefühlsemulsion, welche gleichzeitig die Strenge und Maßregelung des Verrates, aber auch Verzeihung und Mitleid für wahre Liebe enthielt.
Der Tenor Norbert Ernst ist gebürtiger Wiener und als langjähriges Ensemblemitglied der Staatsoper ein Publikumsliebling der Stadt. Normalerweise ist er eher im Charakterfach zuhause. Seine Partien umfassen Loge, Herodes, Aegisth, aber mitunter auch Erik. Mit gesicherter Stimmführung, dunkler Vokalfarbe und inwendiger Gestaltung wusste Norbert Ernst in seinem Rollendebüt diesen Tristan, immerhin eine Rolle für Heldentenöre, sehr intelligent disponiert zu meistern. Trotz gekürzter Kammerfassung erklangen die nervenzerreisenden Fieberträume Tristans im 3. Akt nahezu ungekürzt und ausdrucksstark.
Ihm gegenüber überraschte Kristiane Kaiser, Mitglied im Ensemble der Volksoper Wien, in ihrer Rolle als Isolde. Sie formte ein differenziertes Rollenportrait und verstand es, den Zynismus der Isolde mittels deutlicher Aussprache und gekonnter Textgestaltung zu vermitteln. Mit ihrer sinnlichen Stimme und leidenschaftlichen Darstellung bleibt es zu hoffen, dass sie in Zukunft den Heldinnen Richard Wagners auch auf der großen Opernbühne neues Leben einhauchen darf!
In der Doppelrolle von Kurwenal und Melot überzeugte der junge Bariton Kristján Jóhannesson mit intensiv- rauer Stimme. Juliette Mars gab eine verzweifelte und hingebungsvolle Brangäne.
Günther Groissböck schuf gemeinsam mit Matthias Wegele und Hartmut Keil, dem Dirigenten der Produktion, eine eigens für die Wiener Kammeroper bearbeitete Fassung, gekürzt mit radikal reduzierter Orchesterbesetzung. Äußerst raffiniert verstärkte Wegele die tiefen Stimmgruppen durch den Einsatz eines Akkordeons und konnte so die Schattierung der Klänge neu abstufen ohne eine Reduktion der Klangfarben zu riskieren. Hartmut Keil ist als Dirigent ein geborener Musikdramatiker und sorgte vor einigen Jahren am Theater Basel mit einem durchdringend leidenschaftlichen Dirigat von Richard Strauss „Elektra“ für überregionale Begeisterung. Erstaunlich, dass er neben einzelnen Engagements, beispielsweise an der Oper Frankfurt, den großen Bühnen bislang ferngeblieben ist. Andernorts hätte die Kammerfassung einer Wagneroper womöglich dünn und ermüdend geklungen, nicht so unter der Stabführung von Hartmut Keil. Dank seines ausgeprägten musikalischen Gespürs erklangen die Streicher des 20-köpfigen Orchester keinesfalls dünn, sondern ausgesprochen feinfühlig und zart. Sein verstärkter Einsatz von staccato führte zu rhythmischer Präzision, so dass in Verbindung mit großer dynamischer Differenzierung eine spannende Lesart der Partitur erklang.
Schlussendlich überzeugte die experimentell-reduzierte Kammerfassung des Dramas gerade wegen der eleganten Musikalität des Wiener KammerOrchesters. In gewisser Hinsicht war das Regie-Debüt von Günther Groissböck auch ein Experiment. In diesem bewies er eindrücklich, wie differenziert er Richard Wagners Leben und Leiden in ästhetisch ansprechender Ausstattung und wirkungsvoller Personenregie auf der Bühne umzusetzen verstand.
Ein intensiver dramatischer Abend, insbesondere für Kenner der Partitur wird er lange in Erinnerung bleiben!
- Rezension von Philipp Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Wiener Kammeroper / Stückeseite
- Titelfoto: Tristan Experiment Foto © Herwig Prammer/Kristiane Kaiser (Isolde), Norbert Ernst (Tristan)