„HOCHZEIT MIT FIGARO OHNE GÄSTE – OPERNSCHAFFEN IN ZEITEN DER PANDEMIE“ IN KÖLN

Oper Köln/Making of…/John Heuzenroeder, Dr. Birgit Meyer, Volker Maria Engel/Foto © Paul Leclaire

Große Werke der Opernliteratur halten der Gesellschaft den Spiegel vor, deshalb werden sie immer wieder neu inszeniert. In Köln hat man diesmal die Produktion „Le Nozze di Figaro“ vom 21. Mai 2017 neu einstudiert. Live-Premiere der Wiederaufnahme vor Publikum sollte der 1. April 2021 sein. Man hat aber diesmal keinen Stream der Premiere, die wegen des Corona-Versammlungsverbots in Theatern nicht mit Publikum stattfinden durfte, sondern einen Stream des „Making of“ von „Hochzeit des Figaro ohne Gäste -Opernschaffen in Zeiten der Pandemie“ ins Netz gestellt. Und das aus gutem Grund: „Natürlich kann man sagen, es gibt schlimmeres im Leben und es kann mal sein, dass ein Jahr man mal eben nicht ins Theater gehen kann. Aber auf der anderen Seite hat mich doch sehr erschrocken, wie wenig wir eine Stimme haben, also, wie wenig Aufschrei es letztlich gab, dass es hieß, wie müssen spielen, also so ganz unbedingt“, so Intendantin Dr. Birgit Meyer gleich zu Beginn des Films.

 

Hier offenbart sich die gesamte Fassungslosigkeit einer Opernchefin, die während der ganzen Zeit der Pandemie so viel wie möglich und mit so vielen Zuschauern wie erlaubt neue Produktionen und Wiederaufnahmen auf die Bühne gestellt und die letzten drei Premieren des Hauses als professionelle Streams mit einem „Pay as you wish“-Tarif ins Netz gestellt hat.

Oper Köln/Making of…/Eike Ecker, Nora Weyer/Foto © Paul Leclaire

Die Wiederaufnahme ist fertig und könnte gespielt werden, aber man hat sich entschieden, dass statt dieser Premiere das „Making of“ als etwa einstündiger Film gestreamt wird. Natürlich enthält dieser Film ein paar Szenen aus der Oper, aber die Intention des von Sandra van Slooten und Volker Maria Engel für Schnittmenge unter der Projektleitung der Oberspielleiterin Eike Ecker produzierten Films ist es, zu zeigen, wie stark die jetzt gerade geltenden politischen Regeln die künstlerische Arbeit  eines Opernteams ausbremsen und behindern. Hier der Trailer zum Stream. 

Die ursprüngliche Inszenierung von Emmanuelle Bastet vom 21. Mai 2017 legte den Fokus auf körperliche Auseinandersetzungen und handfeste Erotik. Die Szene beim Fandango im 3. Akt, in der Graf Almaviva vor dem ihm bedrohlich immer näherkommenden Chor die Flucht ergreift, macht deutlich, dass bei Beaumarchais, da Ponte und Mozart das vorrevolutionäre Aufbegehren noch mühsam durch gesellschaftliche Konventionen überdeckt wird. Die Szene ist im Trailer von 2017  zu sehen.

Die junge Regisseurin Charlotte Wulff hat die Herausforderung angenommen, dieses Stück, in dem es vordergründig um Sex und Geld und eine handfeste Intrige geht, unter Beachtung der bei der Planung geltenden absurd anmutenden Abstandsregeln für Sängerinnen und Sänger zu adaptieren. „Wir sind viele, wir brauchen viel Platz“, so Chorvorstand Cordula Hack. Nur ein Teil des Chors, der 2020 mit dem „Oper! Award“ für den besten Opernchor geehrt wurde, kann auf der Bühne agieren.

Mit Produktionsleiter Volker Rhein identifizierte Charlotte Wulff die kritischen Stellen im Libretto, die an die Corona-Einschränkungen für das Singen ohne Maske angepasst werden mussten. Am 22. Februar 2021 war die erste Konzeptionsprobe.

Im Bühnenbild und mit den Kostümen von Tim Northam, die das Geschehen in den späten dreißiger Jahren, auch einer Umbruchszeit, verorten, fokussiert sich der Film auf Matthias Hoffmann als Figaro, Kathrin Zukowski als Susanna und Lotte Verstaen, Mitglied des Internationalen Opernstudios, als Cherubino. Da die erotische Komponente wegen der Abstandsregeln nicht voll ausgespielt werden konnte stellt Wulff gesellschaftliche Disparitäten durch übergroße Requisiten dar.

Die gesellschaftlichen Disparitäten treffen diesmal allerdings Künstler*innen, Kulturschaffende, Freiberufler*innen und Gastronom*innen, die aufgrund faktischer Berufsverbote in eine emotionale und häufig auch finanzielle Schieflage geraten, verdeutlicht zum Beispiel durch Cherubino, der auf einem überdimensionierten Stuhl sitzen muss.

Titelheld Matthias Hoffmann kann an der Klavierhauptprobe nicht teilnehmen, weil er in Tirol, das kurz vor seiner Abreise nach Köln zum Risikogebiet erklärt wurde, in eine 14-tägige Quarantäne geschickt wurde. Er muss von Adam Kim gecovert werden. Für den müssen die Kostüme alle komplett neu geschneidert werden, denn man darf nicht mehr Kostüme einfach anpassen, jeder Darsteller muss sein eigenes Kostüm haben. Hinterher stellt sich heraus, dass man Hoffmann vier Tage zu lange festgehalten hat, der Bescheid kommt aber drei Tage zu spät, da ist die Probe schon gelaufen. Sein „Se vuol ballare, Signor Contino“ in der Generalprobe drückt genau den mühsam unterdrückten Zorn über solche Schikanen aus.

Oper Köln/Making of…/Volker Maria Engel (Schnittmenge), Kathrin Zukowski/Foto © Paul Leclaire

Kathrin Zukowski und Matthias Hoffmann haben sich im Internationalen Opernstudio zu den jungen Stars des Ensembles entwickelt und konnten schon in der „Zauberflöte“ am 3. Oktober 2020 als Pamina und Papageno das mit Masken auf Abstand gesetzte Publikum verzaubern. Ihre Duette als Susanna und Figaro mussten sie besonders kreativ an die Regeln anpassen, denn es geht um Figaros Hochzeit mit Susanna. Die Erotik funktioniert mit Corona-Abständen viel schwerer.

Lotte Verstaen als Cherubino kann auch mit drei Metern Abstand ihre erotisch geladene Schwärmerei für die Contessa (Ivana Rusko) ausdrücken. Sie erläutert im Film, dass bei den absurd wirkenden Abstandsregeln die Körpersprache besonders wichtig ist.

Das wie immer perfekt spielende Gürzenich-Orchester unter Arne Willimczik kann in der Messehalle, in der die Oper Köln seit 2015 spielt, breit genug aufgestellt werden. Es können allerdings keine zwei Instrumentalisten vom selben Blatt spielen, da merkt man plötzlich, wann umgeblättert werden muss.

Dr. Birgit Meyer / Foto © Teresa Rothwangl

„Die Situation ist sicher historisch, weil es seit dem Krieg eigentlich keine Zeit gab, in der die Theater geschlossen waren und keine Gäste empfangen durften“, so Intendantin Dr. Birgit Meyer. Sie hat nach ein paar Wochen der Schließung unter Schockstarre alles darangesetzt, den Proben- Und Aufführungsbetrieb unter Corona-Beschränkungen aufrecht zu erhalten. Es gab Wiederaufnahmen von Stücken, bei denen nur zwei oder drei Künstler*innen auf der Bühne standen wie „Heute Abend Lola Blau“ oder „Mit Kreisler im Nachtzug“ mit Rainer Mühlbach am Flügel und dem Publikum mit Maske und auf Abstand.

Die Premieren von „Written on Skin“, „Die tote Stadt“ und „Corona Colonia“ wurden professionell gestreamt und nach dem Pay-as you-wish-Verfahren bezahlt, und man hatte die Hoffnung, dass man ab dem 1. April 2021 wieder live spielen durfte.

Für die meisten von uns sind die Einschränkungen – keine Kinderbetreuung, keine Präsenzunterricht, kein Kontakt mit Arbeitskolleg*innen, keine Reisen, keine Restaurantbesuche, kein Sport mit anderen, kein Opern- Theater- und Konzertbesuche – ein Luxusproblem. Trotzdem eskaliert die Pandemie. Die Intensivstationen laufen voll, Menschen infizieren sich, zu viele sterben.

Die Pariser Bastille-Oper sendete die Stream-Premiere der Inszenierung Tobias Kratzers von Gounods „Faust“ vom 16. Februar 2021, bei der das Abstandsproblem durch regelmäßige Tests der Sängerinnen und Sänger, auch des großen Chors, gelöst wurde, am 26. Februar 2021 auf Tele5. In Madrid gab es trotz Ausgangssperre vom 13. Februar 2021 bis zu den Ostertagen eine Aufführungsserie der Kölner Produktion von Wagners „Siegfried“ im Teatro Real in der legendären Inszenierung von Robert Carsen vor Publikum.

Die deutsche Politik verschärfte immer nur die Einschränkungen bis hin zur jetzt diskutierten Ausgangssperre zusätzlich zum Versammlungsverbot in Theatern. Es stellt sich die Frage, ob diese Einschränkungen der Grundrechte trotz eines durchdachten Hygienekonzept angemessen, zweckmäßig und verhältnismäßig sind.

Staatenhaus Köln/Oper Köln/ Foto @ Petra Moehle

Der Film des „Making of Figaros Hochzeit“ ist ein klarer Aufschrei der Intendantin Dr. Birgit Meyer, des Dramaturgen Georg Kehren, der Künstler*innen und Mitarbeiter*innen für ihre Anliegen, endlich wieder wahrgenommen und in ihrem Sehnen nach Normalität wie vor der Pandemie ernst genommen zu werden.

Von einem „lieto fine“ oder Happy End wie in „Le Nozze di Figaro“ ist man in der Kölner Oper allerdings weit entfernt. Marzelline und Bartolo finden ihren verlorenen Sohn Figaro wieder und legalisieren ihr Verhältnis, die Gräfin verzeiht ihrem Gatten seine dauernden Seitensprünge und gewinnt seine Liebe wieder, Cherubino wird zum Militär geschickt und heiratet Barbarina und Figaro heiratet Susanna. Ob die Ehe allerdings die Lösung aller Probleme ist?

Ob man die Corona-Version von „Le Nozze di Figaro“ je zeigen wird steht in den Sternen. Impfungen bis hin zur Herdenimmunität und regelmäßige Tests könnten demnächst wieder einen halbwegs normalen Operngenuss möglich machen. Da ist die Politik gefordert, Intelligenz und Einfühlungsvermögen zu zeigen und die verhängten Einschränkungen unter entsprechenden Voraussetzungen wieder aufzuheben.

Es ist möglich, ein Jahr ohne Live-Oper zu leben, aber sinnlos, denn es fehlt der Event-Charakter, der Zauber des Flüchtigen.

 

  • Artikel / Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Köln / Stückeseite / STREAM
  • Titelfoto:  Oper Köln/Making of…/Volker Maria Engel (Schnittmenge), Kathrin Zukowski/Foto © Paul Leclaire

 

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