Musikalisch ist diese Oper eine Offenbarung! Das Orchester läuft unter Francois Xavier Roth zu Höchstform auf und erzählt in den brillantesten Tonfarben Spannung, Ekstase und Sehnsucht der beiden Protagonisten. Hier brennt die Luft!
Auch der Chor der Oper Köln unter Rustam Samedov , der aus dem Off agiert, ist bestens aufgestellt. Die Solisten Peter Seiffert, bayreutherfahrener Tristan, Ingela Brimberg, Rollendebut, Claudia Mahnke, erfahrene Brangäne, Samuel Youn stimmstarker Kurwenal, Karl-Heinz-Lehner als nobler König Marke und die Tenöre John Heuzenröder (Melot), Yong Woo Kim (Hirt/Seemann) und Insik Choi als Steuermann sind ein Ensemble der Sonderklasse. Das hat Festspielqualität und wurde im ausverkauften Haus kräftig bejubelt.(Rezension der Premiere v. 21.9.2019)
Auf Unverständnis stößt die Inszenierung von Patrick Kinmoth beim Publikum. Die Personenführung ist irritierend. Tristan und Isolde halten sich in identischen, aber getrennten Räumen auf. Ihre Vereinigung im 2. Akt wird dadurch angedeutet, dass Isolde sich in Tristans Jacke hüllt und Tristan Isoldes Mantel umlegt. Die beiden berühren sich nicht, sehen einander nicht an. Jeder bleibt in einem eigenen Raum. Dabei knistert im Orchester die Spannung.
Kinmoth verlässt sich ganz auf die Musik, die dazu den Liebesakt liefert. „Tristan und Isolde existieren füreinander am intensivsten im Kopf des jeweils anderen, und so präsentiere ich sie. Tatsache ist, … dass das Publikum beide Figuren gleichzeitig auf der Bühne vor sich sieht. Sie befinden sich in identischen Räumen, identischen Kabinen auf einem Schiff, mit anderen Worten, im gleichen Raum. … Oder vielleicht findet die Handlung auch eher in einer seltsamen Phantasiewelt Wagners statt als an irgendeinem realen Ort oder in einer realen Zeit“, so Kinmoth im Interview mit dem Dramaturgen Georg Kehren.
„Was als tatsächliche Reise beginnt wird zu einer surrealen Reise der Verklärung. Das Schiff wird zu einer Abstraktion, die auf ein unbekanntes Ziel jenseits von Leben und Tod hinsteuert“.
Erst nach Tristans Tod und Isoldes Verklärung betritt Isolde den Raum, in dem Tristans Leiche aufgebahrt ist, umfasst Tristans Schultern, der sich vom Totenbett aufrichtet, und umarmt ihn. Sie haben die Erlösung im Tod gefunden.
Inszenierungen von Wagners Oper „Tristan und Isolde“ sind immer heikel, da die Reduktion auf die Stationen einer unmöglichen Liebe, gestiftet durch einen Zaubertrank, zu kurz greift. Auch die Verlegung in die Entstehungszeit mit Verarbeitung der verbotenen Liebe Richard Wagners zu Mathilde Wesendonck, der Frau seines Gönners, wie Klaus Guth das zuletzt 2008 in Zürich und 2010 in Düsseldorf praktizierte, kann letztlich nicht überzeugen.
Ein Regiekonzept wie das von Patrick Kinmoth, auf das man sich eingelassen hat, bedeutet zunächst einmal, dass die Personenführung bezogen auf Tristan und Isolde sehr statisch ist. Oft genug sitzt Tristan auf einem Stuhl, Isolde ist im Nebenraum, und beide singen ins Publikum, keine sichtbare Interaktion findet statt. Bis zum Schluss berühren sie einander nicht und sehen sich nicht an, was gefühlt gegen die rauschhafte Musik inszeniert ist. Erst nach ihrem „Liebestod“ geht Isolde an Tristans Totenbett, fasst ihn an den Schultern, sie umarmen sich – beide sind im Tod erlöst.
Hörbar perfekt ergänzen sich die Stimmen von Ingela Brimberg, die in der vergangenen Spielzeit als Salome in Köln Erfolge feierte und der strahlende Tenor des Peter Seiffert, homogen in allen Lagen, noch im Frühjahr 2019 als Florestan in Köln bejubelt. Seiffert, der 1978 in der Deutschen Oper am Rhein debütierte, blickt auf eine Weltkarriere als Heldentenor zurück. Die anstrengende und unfassbar fordernde Partie des „Tristan“ bewältigt er scheinbar mühelos. Dabei kommt ihm entgegen, dass er nicht viel agieren muss und dass das Orchester teilweise abgedeckt ist durch das Bühnenbild.
Das Bühnenbild von Darco Petrovic ist besonders aufwändig, denn das Orchester ist teilweise durch die Dreiecke, auf die Wellen per Video projiziert werden, abgedeckt. Einige Solisten und der Chor (Englischhorn, Jagdlärm) spielen aus dem Off. Erhöht ist ein Teil eines Schiffs mit vier identischen Kabinen, die im zweiten Akt Räume in Markes Burg darstellen und im dritten Akt Räume in Tristans Burg in der Bretagne. Das ist die metaphysische Ebene, in der Tristans Beziehung zu Isolde dargestellt wird. Auf drei Nebenbühnen – rechts, links und vor der Hauptbühne kann szenisch mit Kommandobrücken, Büros, Hügeln im Garten gehandelt werden.
GMD Franvois Xavier Roth, der nach dem Tannhäuser vor zwei Jahren jetzt erstmalig „Tristan“ dirigiert, lobt in der Premierenfeier sein Orchester (Gürzenich Orchester Köln), von dem er viel gelernt habe. Dieses Orchester erzählt die Handlung. Auf den Nebenbühnen rechts und links beziehungsweise im Vordergrund in den Wellen kommunizieren Brangäne, Kurwenal König Marke, Melot und die beiden Seeleute in normaler Körpersprache. Hier findet eine gute Personenführung statt. König Marke ist derjenige, der durch den Ehrbegriff der Zeit, in der das Stück spielt, am meisten leidet.
Bei mir ist der Wunsch entstanden, die Inszenierung noch einmal zu sehen, da man erst ganz am Schluss versteht, warum Tristan und Isolde physisch so lange getrennt agieren. Wer „Tristan und Isolde“ noch nie gesehen hat ist mit dem Regiekonzept überfordert. „Die Personenführung findet nicht statt“, bemängelt eine Premierenbesucherin.
Die Kostüme (Annina von Pfuel)zitieren bei Isolde und Brangäne mittelalterliche Elemente, die Männer sind in zeitlose Anzüge gekleidet, darunter auch ein Statist als Kreuzfahrtkapitän und eine Gruppe junger Männer, die vorne auf der Bühne durch die Wogen defilieren.
Für Kenner des „Tristan“ ist diese Inszenierung ein interessanter Zugang, zumal auf Weltniveau musiziert wird. Ein Wagnerianer, der gerade noch „Tristan“ unter Thielemann in Bayreuth erlebt hatte: „Roth macht es genauso gut wie Thielemann, nur anders“. Wer die Oper noch nicht kennt sollte sich darauf vorbereiten und zumindest den Vortrag des Chefdramaturgen Georg Kehren 45 Minuten vor der Vorstellung hören.
Am Montag, dem 30.9.2019 um 20.00 Uhr bittet die Oper Köln zu einem Gesprächskonzert mit KS Peter Seiffert:
Man richtet sich im Staatenhaus auf ein noch länger dauerndes Provisorium ein, denn die billigen Plastikstühle wurden durch ordentliche Sitzreihen ersetzt. Als Zeitpunkt der Fertigstellung der Oper am Offenbachplatz wird jetzt 2026 genannt.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindenmeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Oper Köln / Stückeseite
- Titelfoto: Oper Köln/TRISTAN UND ISOLDE/KS Peter Seiffert, GMD François-Xavier Roth, Gürzenich-Orchester Köln/ Foto © Bernd Uhlig