Am 18. Oktober stehen erstmalig Orchester und Big-Band der Deutschen Oper Berlin unter Leitung von Generalmusikdirektor Donald Runnicles in einem gemeinsamen Konzert auf der Bühne.
Auf dem Programm: die „Symphonic Dances“ aus Leonard Bernsteins WEST SIDE STORY, Duke Ellingtons „Harlem“ und – last but not least – die Uraufführung „Die Verführung des Pentheus“ von Manfred Honetschläger, dem langjährigen Band-Leader. Den Text für dieses Werk schrieb John von Düffel nach den „Bakchen“ von Euripides. Als Schauspieler steht Ben Becker auf der Bühne, der nach seinem eindrücklichen Soloabend ICH, JUDAS (mit Texten von Amos Oz und Walter Jens) weiter der Frage nachgeht: Was ist Schuld? Oder: Was ist Verführung? Der Autor und Dramaturg John von Düffel hat diese Essenz der „Bakchen“ direkt Ben Becker auf den Leib geschrieben, und Manfred Honetschläger hat seinerseits mit diesen opulenten Klangkörpern eine neuartige stilübergreifende Musik geschaffen.
Längst hält der Jazz Einzug in die Welt der klassischen Musik. „Crossover“-Programme schaffen ganz neue Formate für Konzert und Oper. Dass für solche gemeinsamen Projekte von BigBand und Sinfonieorchester ein salonfähiges Repertoire zur Verfügung steht, hat eine Menge mit einem der großen Vielbegabten der westlichen Musikgeschichte der letzten 100 Jahre zu tun: mit Leonard Bernstein. Der Dirigent, Komponist, Pianist und Musikbegeisterer war einer der ersten klassischen Komponisten, die Jazz und Populärmusik in ihre Stücke integrierten: Seine „Symphonic Dances“ aus WEST SIDE STORY sind hierfür ein frühes, bestechendes Beispiel.
Wo Bernsteins Musik ein klassisch-sinfonisches Formmaterial durch Jazz und Showtunes erweitert und aufbricht, geht Duke Ellington den entgegengesetzten Weg: Die herkömmlichen Formen des BigBand-Jazz nimmt er – nicht nur in der „Harlem“-Suite – zum Absprungpunkt in ehemalige Hoheitsgebiete der klassischen Musik. Mit dem Leitsatz „Beyond Category“ befreite sich Ellington von den engen Grenzen der westlichen Musiklandkarte. In der Tradition Paul Whitemans, der in den 20er Jahren George Gershwins „Rhapsody in Blue“ in der New Yorker Aeolian Hall zur Uraufführung brachte und damit eine Bewegung anstieß, die den Jazz auch in der weißen amerikanischen Oberschicht salonfähig machte, schrieb Ellington – neben anderem – Stücke, die aus dem damals üblichen Jazz-Kontext heraustraten, sich an große Orchesterbesetzungen und in entsprechende Räumlichkeiten wagten. Jährliche Auftritte in der Carnegie Hall zwischen 1943 und den frühen 50er Jahren gehörten ganz selbstverständlich zum Programm des von ihm geleiteten Jazz-Orchesters.
Aus der wechselseitig bereichernden Synthese verschiedener musikalischer Genres und Stilrichtungen schöpft auch Manfred Honetschläger für seine Neukomposition „Die Verführung des Pentheus – Duell mit einem Gott“. Die fließenden Grenzen zwischen vermeintlich leichter und schwerer Musik finden hier ihre Entsprechung in der Konfrontation zweier Figuren: Pentheus, Hüter der Stadt und der eigenen Mutter, und Dionysos, dem regellosen Gott, zu dessen Hoheitsbereich spätestens seit Nietzsche auch das Theater gehört. Bei „Pentheus“ hat man es mit einer Theatralischen Sinfonie zu tun, einem Bindewerk zwischen Sinfonie und Schauspiel. Nicht umsonst ist Dionysos der Gott von Rausch und Chaos: der Vermischung und Verwischung aller Kategorien. Und Vermischung findet statt bis in die scheinbar sichere Feste der Person: Im Kampf mit den sprichwörtlichen zwei Seelen in der Brust liefert sich ein Schauspieler ein Duell mit dem Rausch-Gott in sich selbst – Pentheus und Dionysos in Einem.
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*Titelfoto: Deutsche Oper Berlin, copyright: Leo Seidel