Das sonnig-herbstliche Wetter an diesem 1. November in der westfälischen Stadt Hagen unterstrich auf besondere Weise das angenehme Gesprächsklima während des Interviews mit dem Bariton Kenneth Mattice, der in kürzester Zeit zu einem der Publikumslieblinge der Hagener Oper avanciert ist. Eigentlich mehr ein sehr anregendes Gespräch unter zwei bekennenden Opernfans, wobei der eine auf der Bühne das tut, worüber er spricht und der andere sitzt davor, erlebt und schreibt. Eben diese Bühnenkünstler den Leserinnen und Lesern auch als Person ein wenig näher zu bringen, deren eigenen inneren Motor, der sie antreibt diesen Beruf des Opernsängers mit all seinen Facetten liebend zu leben, ein Stück weit miterlebbar zu machen, ist erklärtes Ziel eines jeden Gespräches, welches ich mit den Künstlerinnen und Künstlern führe. Und wie wunderbar, wenn sich dann Begegnungen unter vier Augen und in angenehmer Atmosphäre, fern jeder äußeren Beeinflussung, zu einem Gespräch entwickeln, welches die vergangenen Minuten geradewegs auffrisst und den Menschen hinter dem Künstler erkennen und frei reden lässt. Mit Kenneth Mattice war genau dies möglich und so machte es einfach Spaß über diesen sehr ambitionierten, selbstkritischen und hochtalentierten Sänger zu schreiben.
1979 geboren und aufgewachsen in Berlin, Wisconsin/USA war es Kenneth Mattice nicht in die Wiege gelegt, später einmal Opernsänger zu werden. Im Gegenteil, als Sohn eines Teilzeitfarmers wäre eine ganz andere Lebensplanung denkbar gewesen. Zumal sich Kenneth bis heute immer noch der Natur sehr verbunden fühlt und sich viel in ihr aufhält, wenn es die Zeit hergibt. In Hagen lebt und arbeitet er seit Beginn der Spielzeit 2014/2015. Seine Frau Emily Newton, ebenfalls Opernsängerin und gebürtige Texanerin, pendelt mit dem Zug zu ihrer Arbeitsstätte, dem nahegelegenen Theater Dortmund. Ein Auto braucht das sportliche und neuerdings auch angelbegeisterte (beide haben gerade den Angelschein gemacht) Sänger-Ehepaar im Privatleben nicht. Sie nutzen lieber das Fahrrad oder für weitere Distanzen die öffentlichen Verkehrsmittel. Die Besuche und Urlaube in ihren jeweiligen Heimatorten sind ohnehin nur per Flugzeug möglich.
Hagen hat schon immer den Ruf gehabt, junge Stimmen zu fördern und aufbauend zu fordern und Talente förmlich zu schmieden . Dies sollte weiterhin Gültigkeit haben, auch in Zeiten knapper kommunaler Kassen, damit auch zukünftig so gesangs- und ausdrucksstarke Künstler wie Kenneth Mattice dort zu erleben sind. Für ihn sind die künstlerischen Arbeitsbedingungen am Theater Hagen, übrigens seinem ersten festen Engagement in Europa, von großer Bedeutung. Ermöglichten sie ihm doch unter anderem wirklich beeindruckende Darstellungen, sei es aktuell als Graf in Mozarts Meisterwerk „Hochzeit des Figaro“, oder noch emotionaler als Eugen in Tschaikowskys genialer Oper „Eugen Onegin“, eine seiner erklärten Wunschpartien, zu denen er auch den „Billy Budd“ in Brittens gleichnamiger Oper zählt.
Doch bis zu solchen großen Bühnenerfolgen war es auch für Kenneth Mattice ein weiter Weg. Seine sängerisch-musikalische Ausbildung erhielt er an der Boston Universität, Northwestern Universität und am Luther College. Erste Engagements folgten u.a. an der Oper San Jose (2006-2008) wo er viele Partien seines lyrischen Baritonfachs studierte und aufführte, wie den Papageno, Sharpless aus „Madama Butterfly“ oder auch Germont „aus Verdis „La Traviata“ und sein geliebten Figaro aus Rossinis „Il barbiere di Siviglia“. Letzteren erwähnt er in unserem Gespräch immer wieder. Diese Partie kommt ihm und seinem höhensicherem und lyrischen Bariton sehr entgegen. Besonders auch, wie er sagt, seinem Temperament, seiner Bewegungsfreude, und dem Spiel auf der Bühne.
Natürlich ist Kenneth Mattice nicht nur stimmlich eine sehr attraktive Besetzung für Giacomo Rossinis Figaro. So oder ähnlich anziehend muss er wohl auch als Morales gewesen sein. Vor einigen Jahren in New York, wo er seine heutige Frau Emily kennenlernte, die in der gleichen Sommerevent-Aufführung der Oper „Carmen“die Sopranpartie der unglücklichen Micaela gesungen hat. Diese Begegnung war und ist für beide sehr prägend für ihr Leben geworden. Hört man Kenneth dabei zu, wenn er über seine Emily spricht, hört man aus jedem seiner Worte die große Verbundenheit zu seiner Frau heraus, die auch gleichzeitig seine beste Freundin und Ratgeberin ist. Obgleich beide sehr selbstständig an ihren jeweiligen Karrieren arbeiten, sind sie sich doch in ihren ehrgeizigen und realistischen Zielsetzungen gleich. In den USA war beiden klar, dass die berufliche Reise nicht an der Ostküste der Vereinigten Staaten endet. Das Ziel hieß Europa, genauer gesagt Deutschland. Hier finden sehr viele Künstler aus allen Erdteilen der Welt, aus vielen Ländern Europas, eine neue Heimat. Das hier an den allermeisten Theatern und Opernhäuser vorhandene Ensembleprinzip ist vielen in ihren Heimatländern so nicht bekannt und doch gleichzeitig sehr attraktiv. Diese mit sich bringende Internationalität der Opernensembles an deutschen Theatern verbindet die Künstler untereinander stark. Sind sie doch oftmals Tausende von Kilometern von ihren Familien und Freunden entfernt. „Diese Kollegen sind mir wichtig und sind auch wie eine Art von Familie für mich“, beschreibt Kenneth Mattice die entstandenen freundschaftlichen Beziehungen, die unter den vielen internationalen Künstlerinnen und Künstlern bestehen. „Aber gesprochen wird meist deutsch“, erklärt er weiter.
In Vorbereitung auf den Umzug nach Deutschland lernten Kenneth und seine Frau Emily konsequent und zügig die deutsche Sprache. Deutsch ist auch für Kenneth Mattice längst kein Problem mehr. Derzeit denke seine Frau darüber nach russisch zu lernen. Und auch er könne sich das für sich vorstellen. Immerhin wäre es ein Traum von beiden, einmal gemeinsam als Eugen und Tatjana in der russischen Oper „Eugen Onegin“ auf der Bühne zu stehen und dazu noch in Originalsprache zu singen. An dieser Stelle sollten Opernverantwortliche aufhorchen, würde da doch ein kongeniales Sängerduo auf der Bühne stehen, welches das Attribut „Traumpaar“gesanglich, und in ganz besonderer Weise darstellerisch, mit der von Tschaikowsky gewollten Leidenschaft und Gefühl für seine Musik ausstatten könnte.
Vielleicht freut sich Kenneth‘ Onkel, wenn er das alles liest und sich bewusst wird, dass er und sein Gesang es waren, die seinen damals noch musikalisch unentschiedenen Neffen so beeinflussten, dass er später den Beruf des Opernsängers wählte. „Mein Onkel war Sänger und hat viel gesungen. Das hat mir gefallen und mich geprägt. Noch nicht für die Oper. Erst war es das Musical, später dann war es die Oper.“, berichtet Kenneth Mattice aus seiner Kindheit und Jugend im ländlichen US-Bundesstaat Wisconsin. Bei all seinen positiven und erfreulichen Erlebnissen und Eindrücken, die seine Tätigkeit als Opernsänger mit sich bringen, spricht Kenneth gleichzeitig an, dass auch viel Verzicht und so manches Opfer für diese Begeisterung am Beruf erbracht werden muss. So hätten beide gern einen Hund. Was aber bei den beruflichen Verpflichtungen, die mitunter sehr zeitraubend sind, leider derzeit nicht zu realisieren ist. Wir sprachen an diesem Punkt aber auch über feste Engagements, dem natürlich erforderlichen Bedürfnis nach regelmäßigem und sicherem Einkommen, der beruflichen Weiterentwicklung und Entfaltung und der Zufriedenheit mit dem Beruf. Hier erwies sich mein Gesprächspartner als ein sehr nüchtern, klar und praktisch denkender Künstler mit viel Hintergrundwissen für die Situation der Künstlerinnen und Künstlern an deutschen Theatern und dem Theaterbetrieb im allgemeinen.
Und doch ist es immer wieder die Musik, der Gesang, der Mittelpunkt des Gespräches war. Mattice ist ein lyrischer Bariton. Bei den lyrischen Rollen seines Fachs fühlt er sich wohl, fühlt er sich stimmlich aufgehoben. Nicht überraschend, dass es insbesondere Mozart und seine Opern und die darin enthaltenen lyrischen Baritonpartien sind, die dem amerikanischen Bariton ganz besonders liegen. Und, wie schon erwähnt, auch die große Partie des Figaro in Rossinis „Il barbiere di Siviglia“, die geradezu für einen agilen und hohen Bariton wie gemacht zu sein scheint. Am Theater Hagen hat der sympathische Künstler bereits schon einige bemerkenswerte Kostproben seines Talentes und seines Könnens geben können. So auch den Herrn von Faninal aus „Rosenkavalier“, die er als seine bisher schwerste Rolle bezeichnet und die, obwohl nicht sehr groß, doch sehr viel von einem Sänger abverlangt, wie Kenneth Mattice sagt. Oder aber den viel gelobten Jonny in Ernst Kreneks selten gespielter Oper „Jonny spielt auf“. Neben den bereits erwähnten und großartig gesungenen und dargestellten Rollenportraits in „Eugen Onegin“ und der aktuellen „Hochzeit des Figaro“-Inszenierung wird Mattice seine Hagener Fans noch in zwei weiteren Rollen erfreuen können. Ab dem 12. November wird er dort den Sohn Edwin Ronald aus Kalmans Operette „Die Csárdásfürstin“ geben und ab 21. Januar 2017 ebenda den Enrico –eine Paraderolle für lyrische Baritone– in Donizettis tragischer Oper „Lucia di Lammermoor“.
Auf die obligatorische Frage nach einem sängerischen Idol und Vorbild nennt Kenneth Mattice den britischen Bariton Sir Thomas Allen. Ein international hoch erfahrener und geschätzter Interpret auch und gerade in Mozartpartien seines Stimmfachs, die Mattice ebenfalls präferiert. Und wie die allermeisten seiner Gesangskolleginnen und Kollegen hat auch Kenneth professionelle Unterstützung und wichtige Verbindungen in seinem beruflichen Umfeld, wie unter anderem seine Gesangslehrer/-in aus New York und Mannheim. Und natürlich ist auch ihm ehrliche Kritik wichtig. Allerdings ist das ein Thema, welches er und seine Frau Emily untereinander auslassen. „Da würde Kritik zu sehr unter die Haut gehen“, bekennt er sehr nachvollziehbar. Gegenseitige Opernbesuche, wo einer der beiden auf der Bühne steht und der/die andere sitzt im Zuschauerraum, finden aber statt. Gemeinsam standen sie auch schon der Bühne. 2013 war das, anlässlich der umjubelten „Anna Nicole“-Aufführungen an der Oper Dortmund. Sie als Anna Nicole, er als umtriebiger Reporter Larry King. Welches er nebenbei erwähnt absolut überzeugend gestaltet hatte.
Für die Zukunft sieht er seinen Schwerpunkt vor allen bei den für ihn in Betracht kommenden Mozartpartien, bei lyrischen Baritonpartien im sogenannten leichten italienischen Fach, wie es beispielsweise bei Rossini und auch teilweise bei Donizetti der Fall ist. Und auch immer wieder gern Ausflüge zur Operette oder auch zum Musical. Als Bariton ist er in seinem Alter noch in einer Phase, wo sich noch vieles ergeben und erweitern kann. Ein gutes Fundament dazu hat er schon gelegt.
Kenneth Mattice ist ein idealer Vertreter seiner Sängergeneration. Modern, weltoffen, gebildet und eloquent. Mit dem richtigen Maß an Selbstbewusstsein und Selbstreflexion. Dazu mit einer warmen lyrischen Baritonstimme versehen, die besonders und gerade in emotionalen Momenten förmlich aufzublühen scheint.
Und natürlich hat er Starqualitäten. Das ist für mich unbestritten. Da ist er übrigens – und da schließt sich der gedankliche Kreis – eins mit seiner Frau Emily Newton.
Ich danke Kenneth für das sympathische, offene und auch humorvolle Gespräch, was dann doch länger wurde als ursprünglich gedacht.
© Detlef Obens / DAS OPERNMAGAZIN / November 2016
*English version with help from Google Translate, but without photos
*Weiterführende Links:
3 Gedanken zu „Der Bariton Kenneth Mattice im Gespräch mit dem OPERNMAGAZIN&8220;