Das Lausitz Festival wagt sich auf die Spuren des Todes: Kammermusik mit Martha Argerich und Michael Volle

Lausitz Festival 2021 / Martha Argerich und Akana Sakai / Foto: Nikolai Schmidt

Der Sommer und mit ihm die Festspiel-Saison neigen sich langsam dem Ende zu. Das klassikbegeisterte Publikum bereiste Salzburg, Bayreuth oder gar Aix-en-Provence und genoss ein reichhaltiges und hochkarätiges Programm. Doch in der beschaulichen Lausitz beginnt es nun erst richtig spannend zu werden. An der polnischen Grenze, zwischen Cottbus, Görlitz und Weißwasser findet das Lausitz-Festival in diesem Spätsommer nun zum zweiten Mal statt. Geboten wird ein ausgefallenes und extravagantes Programm unterschiedlichster Sparten – von Kunst und Film über Musik bis hin zu Theater – auch an ungewöhnlichen Spielstätten, wie einem Flugzeughangar, einer alten Fabrikhalle oder in einer Klosterkirche. Ein wichtiges Standbein des Spielplans bildet die klassische Musik und so konnten neben internationalen Orchesterensembles auch renommierte Opernsänger*innen wie Elīna Garanča, Pavol Breslik oder Andrè Schuen gewonnen werden. (Rezension des Konzertes v. 09.09.2021)

 

Unter dem überaus anregenden Titel „Totentanz und Frühlingsoper“ fand am Donnerstag, 9. September im Gerhart-Hauptmann-Theater in Görlitz ein Kammermusikabend statt, der zu einem der Höhepunkte des diesjährigen Lausitz-Festivals wurde. Die legendäre Pianistin Martha Argerich setzte sich am Klavier in unterschiedlichsten Facetten mit dem Thema Tod und Sterben auseinander, ihr zur Seite standen die Pianistin Akane Sakai sowie Michael Volle als einer der bedeutendsten Baritone unserer Zeit.

Statt mit großem Orchester bildete die Fassung für zwei Klaviere von Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ den Auftakt des Abends und schuf so eine ganz besonders intime Atmosphäre in dem kleinen, historisch getreu restaurierten Theater. In diesem Strawinsky-Jahr jährt sich der Tod des Komponisten zum 50. Mal und dennoch stellt sein „Frühlingsoper“ weiterhin ein in der Musik für Publikum und Ausführende kaum überbordendes Klangereignis dar, das nicht an Faszination eingebüßt hat.

Wer diesen Abend nicht miterleben konnte, mag sich kaum vorstellen, dass Martha Argerich und Akane Sakai die Wirkung des halbstündigen Werks in der reduzierten Klavierfassung nicht schmälerten. Selten hörte man „Le Sacre du printemps“ so direkt und präsent. Das konzentrierte, gegenseitig einvernehmliche Spiel der beiden Pianistinnen, mit akzentuierten, klangfarbenreichen Anschlag versehen, ergänzte sich in der Rezeption des Publikums zu einem Faszinosum und wirkte gerade durch seine Reduktion ungeahnt intensiv, gar ekstatisch.

Lausitz Festival 2021 /  Foto: Nikolai Schmidt

Als Grenzregion zu Polen würdigte das Lausitz-Festival mit der Aufführung ihres „1. Klavierquintetts“ die in Deutschland fast vergessene Komponistin Grażyna Bacewicz. Durch ihre exaltierte Klangsprache genießt die 1969 in Warschau verstorbene Komponistin eine unvergleichbare Stellung in der modernen Musikgeschichte ihres Landes, galt sie doch als eine der bedeutendsten polnischen Komponist*innen des 20. Jahrhunderts. Als Schülerin von Nadia Boulanger entwickelte sie nach dem zweiten Weltkrieg, unter Einfluss der westlichen Avantgarde, ihre ganz eigene, hochexpressive Kompositionssprache und wurde nicht zuletzt dadurch zur Symbolgestalt für die Rechte komponierender Frauen in einem immer noch männerdominierten Musikbetrieb.

Heute sind von der virtuosen Geigerin besonders die Violinkonzerte, das Konzert für Streichorchester und die Streichquartette bekannt. Ihr 1952 komponiertes „1. Klavierquintett“ machte sie zu einem Zeitzeugnis der sich derzeit etablierenden Avantgarde-Musik, jedoch nicht ohne romantische Nachklänge mit einzubeziehen.

Es ist ein zu der Todesstimmung des Abends sich klanglich fügendes Werk, obgleich die Komponistin diesen thematischen Bezug nicht explizit verortete. Akane Sakai führte das Quartett am Klavier an, ergänzt durch Rosanne Philippens und Asaf Levy an der Violine, Lyda Chen an der Viola und Beata Antikainen am Violoncello. Das Ensemble bewies eine natürliche Geschlossenheit und Tatkraft, brachte ihre Instrumente zum Singen und sprach dabei im Unisono wie mit einer Stimme. Mit dieser großartigen Ensembleleistung weckten sie den Wunsch, weitere Musik von Grażyna Bacewicz zu entdecken.

Lausitz Festival 2021 /M. Argerich, M. Volle/ / Foto: Nikolai Schmidt

Den Abschluss des Abends bildeten „Vier Lieder und Tänze des Todes“ von Modest Mussorgsky. Wie in den mittelalterlichen Totentänzen tritt der personifizierte Tod in unterschiedlicher Stimmung und Wesen dem Menschen gegenüber. Die Pianistin Martha Argerich ist wahrlich nicht als Begleiterin von Sängern bekannt, sie übernahm aber die eigens eingerichtete Klavierstimme der ursprünglich für große Orchesterbegleitung konzipierten Komposition Mussorgskys. Argerichs Begleitung wirkte fremd und unnahbar, gleichermaßen intensiv und stellenweise ganz persönlich, kaum in Worte zu fassen, aber schlussendlich berührend. Sie ist keine Liedbegleitern im herkömmlichen Sinne und gerade dadurch entstand in ihrem Spiel eine Intensität, die sich frei von der Gesangslinie entfaltete. Nun betrat auch der Bariton Michael Volle die Bühne. Er bewies erst kürzlich in der Titelrolle des Boris Godunow wie sehr ihm auch das russische Fach liegt. Dass er sich aber auch die russischen Lieder Mussorgskys – eine Königsdisziplin – ganz zu eigen machte, ist schlichtweg als Sensation zu bezeichnen. Michael Volle verwandelte sich an diesem Abend in eindrücklicher Mimik und Gestik in den personifizierten Tod in all seinen Facetten. Seine artikulatorisch differenzierte Silbenbetonung, dabei im Fluss der Sprachmelodie bleibend, ließ seine Interpretation furchteinflößend und packend wirken.

Mit diesem Abend und auch dem restlichen, ausgefallenen Programm hat das Lausitz Festival bewiesen, dass es sich im Vergleich mit anderen Festivals, wie der Ruhrtriennale oder der Schubertiade, nicht hintan anstellen muss. In puncto Originalität und Exklusivität scheint die Lausitz mit ihrem konkurrenzfähigen Programm diesen sogar den Rang abzulaufen. Diesem jungen Festival sei es aber auch von Herzen gegönnt, denn die Lausitz und insbesondere die Stadt Görlitz sind einfach faszinierend und wunderschön. Schon jetzt ist man auf die Konzerte und Veranstaltungen im Jahr 2022 gespannt!

 

  • Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Lausitz-Festival
  • Titelfoto: Lausitz Festival 2021 / M. Argerich, M. Volle /Foto: Nikolai Schmidt

 

 

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