Das Ensemble Resonanz an der Staatsoper Hamburg: „Le Nozze di Figaro“

Ensemble Resonanz / Foto @ https://www.staatsoper-hamburg.de

Das „Ensemble Resonanz“ – Residenzorchester der Elbphilharmonie – komplettiert mit Mozarts „Le Nozze di Figaro“ die Da-Ponte-Trilogie der Staatsoper Hamburg

Im Jahr 2016 mit „Iphigénie en Tauride“ zu Gast, kehrte das „Ensemble Resonanz“, das Residenzorchester der Elbphilharmonie, nun zurück in den Orchestergraben der Staatsoper Hamburg. Im Rahmen des Mozart-Da-Ponte-Zyklus im Herbst 2019 führte das Philharmonische Staatsorchester Hamburg die beiden Werke „Così fan tutte“ und „Don Giovanni“ auf, während das sonst auf zeitgenössische Musik fokussierte Kammerorchester „Ensemble Resonanz“ mit seinem ganz eigenem Klang unter Leitung des Barockspezialisten Riccardo Minasi die Wiederaufnahme der „Le Nozze di Figaro“ musikalisch gestaltete. (Besuchte Vorstellung vom 8.11.2019)  


Schon in den ersten Streicherläufen des Vorspiels zur Oper wurde deutlich, dass sich dieses Dirigat in seiner Einzigartig von allen bisherigen Mozartinterpretationen zu unterscheiden vermochte. Die ausgesprochen großen und plötzlich einsetzenden dynamischen Abstufungen wirkten mitunter verwirrend, gleichwohl wusste der Dirigent Riccardo Minasi musikalisch damit die Spannung aufzubauen um das Publikum in den Bann seiner ungewöhnlichen Lesart der Partitur zu ziehen. Kein Klang einer Routine ertönte aus dem Graben, jeder Musiker des Kammerorchesters schien hochkonzentriert die unmittelbaren Variationen ihres Dirigenten umzusetzen. Ob seine schlagartigen Generalpausen und überzogene Ritenuti den musikalischen Vorschriften der Partitur Mozarts gerecht wurden, darf angezweifelt werden, wirkungsvoll war es allemal. Allerdings kam so mancher Tempowechsel derart unvermittelt aus dem Affekt des Dirigenten heraus, dass die Sänger- und Orchesterverbindung auseinanderbrach und die Solisten gerade in den komplizierten Ensembleszenen den eigenwilligen Modifikationen nicht mehr zu folgen vermochten. Riccardo Minasi wagte mit seinem Dirigat mehr als jeder andere Mozart-Dirigent und drohte knapp zu scheitern. Der hohen Musikalität des Orchesters und der schnellen Auffassungsgabe ihrer Musiker war es zu verdanken, dass sie im Ensemble den Willen ihres Dirigenten geschlossen Folge leisten konnten. Und gerade dieser Live-Effekt war es, der den Unterschied zwischen einer beliebigen Aufführung im Repertoire und eben jener geschlossen-gewagten Interpretation zum Außergewöhnlichen ausmachte!

Staatsoper Hamburg/FIGARO/ Wilhelm Schwinghammer/Foto @ Karl Forster

Überaus erfreulich auch die Solisten dieser Wiederaufnahme: Christoph Pohl dürfte als Graf Almaviva geradezu einer Idealbesetzung geglichen haben, durch seine mustergültige Interpretation mit herrischem, aber trotzdem sympathischem Auftreten ließ er keinerlei Wünsche unerfüllt. Ihm gegenüber gab auch Wilhelm Schwinghammer mit heller, leichter Bassbaritonstimme einen durchweg erfreulichen und liebenswürdigen Figaro. Jana Kurucová verkörperte eindrücklich einen von Melancholie gezeichneten Cherubino, der frei von jugendlich-naiven Trieben als herangewachsener Jüngling sich seines Standes in der Gesellschaft und seiner Abhängigkeit zum Grafen schon bewusst schien.

Na’ama Shulman, Mitglied des Internationalen Opernstudio Hamburg, ließ in der kleinen Rolle der Barbarina mit ihrer sanften und gleichwohl klaren Stimme aufhorchen. Bei ihrem kleinen Auftritt im letzten Akt, „L’ho perduta, me meschina“ zeigte sie sogleich Potential einer zukünftigen Susanna. Diese Partie wurde von Evelin Novak verkörpert, die neben stimmlicher Brillanz einen überaus versierten Umgang mit der italienischen Sprache durch klar akzentuierte und akkurate Silbenbetonung der Secco-Rezitative erkennen ließ.

Letztendlich schwebte über allen Solisten jedoch die nuancenreiche, vibratofreie Stimme von Christiane Karg in der Rolle der Contessa, der Gräfin Almaviva. Durch ihr gemächlich-bedachtes Schreiten wirkte sie als Ruhepol des Ensembles und erlangte Bühnenpräsenz eben durch ihr Umsichtiges und wohlüberlegtes Handeln inmitten einer aufgewühlten Gesellschaft.

Der Regisseur Stefan Herheim nahm den Vorwurf doch mal aus der Partitur zu inszenieren sehr genau und ließ die Handlung durch und durch aus und eben von der Partitur her erzählen. Das liebevoll gestaltete Bühnenbild besteht aus Musiknoten der Notationen Mozarts. Die historisch angedeuteten Rokoko-Kostüme sind bedruckt mit der Handschrift des Komponisten und seiner Melodien: Notenlinien, Tonleitern und Notenschlüssel zieren die Gewänder der Sängerinnen und Sänger. Schon vier Jahre nach ihr Premiere reiht sich dieser Figaro in die lange Tradition von Kultproduktionen der Staatsoper Hamburg ein und steht auf einer Stufe mit dem Weltraum-Tristan von Ruth Berghaus oder – unvergessen sei das Ballett „Ebolis Traum“ – dem Don Carlos von Peter Konwitschny. Während eine andere, kürzlich zu Premiere gebrachte Mozart-Neuinszenierung gleich nach ihrer Premiere abgespielt erschien, darf diese „Le Nozze“ sicherlich noch in zwanzig Jahren die Herzen des Publikums der Hansestadt erwärmen, derart zeitlos und originell wusste der Regisseur das Sujet der Romanvorlage von Beaumarchais in seiner Szene umzusetzen.

Staatsoper Hamburg/FIGARO/ Foto @ Karl Forster

Einen kleinen Wermutstropfen galt es für die stellenweise inkonsequente und unkonkrete Personenführung der Charaktere zu verdrücken. Womöglich mag es auch an kurzer Probenzeit für die Wiederaufnahme oder an den Besetzungsänderungen gelegen haben, jedoch gelang es in der Aufführung nicht – als Regisseur ist Stefan Herheim üblicherweise für seine handwerklich versierte Personenregie bekannt – dem Werk eine neue Deutungsebene über die ansprechende Bebilderung hinaus hinzuzufügen. In dieser Wiederaufnahme schienen die Figuren keine Entwicklung durchzumachen. Stefan Herheim scheint lediglich um die Situationskomik bemüht und zerstört die Intimität des Werks Mozarts gerade in jenen wichtigen Einzelmomenten, bei denen er zusätzlich sämtliche Solisten stumm auf der Szene agieren lässt, obwohl sie eigentlich keinen Auftritt gehabt hätten.

Es bleibt zu wünschen, dass die fruchtbare Zusammenarbeit der Staatsoper Hamburg mit dem „Ensemble Resonanz“ auch in zukünftigen Opernproduktionen fortgesetzt wird. Selbst als großer Freund des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg sei gesagt, dass das „Ensemble Resonanz“ als Orchester außerhalb des Opernspielbetriebs mit dieser „Le Nozze“ gezeigt hat, wie selbst die Wiederaufnahme einer Repertoireproduktion auf das musikalische Niveau einer Festspielaufführung gehoben werden kann.

 

  • Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Staatsoper Hamburg / Stückeseite
  • Titelfoto: Staatsoper Hamburg/FIGARO/ Foto @ Karl Forster (alle Fotos aus Premierensaison 2015/16)
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