Aufrüttelndes Erlebnis: „Das Tagebuch der Anne Frank“ im Bunker Güdderath

Bunker Güdderath/Anne Frank/ Foto @ Matthias Stutte

Anne Frank ist zeitlos! Die Sängerin Penny Sofroniadou IST Anne Frank. Die ausgewählten Texte aus dem Original-Tagebuch der Anne Frank wurden 1969 vom Komponisten Grigori Frid (1915- 2012) vertont. Sie schildern in knappen Bildern das Schicksal des 13-jährigen jüdischen Mädchens Anne Frank, das sich vom 6. Juli 1942 bis zu seiner Verhaftung durch die Gestapo am 4. August 1944 in einem Amsterdamer Hinterhaus versteckt hielt. Aufgrund des Spielorts im rohen unverputzten Weltkriegsbunker mit meterdicken Wänden entsteht besondere Betroffenheit.

Diese Produktion sollten Schüler/innen unbedingt im Rahmen einer Schulveranstaltung und natürlich auch Erwachsene erleben, denn durch die szenische Umsetzung in diesem Rahmen teilt sich das Grauen der lebensbedrohlichen Verfolgung unmittelbar mit.  (Rezension der Premiere vom 3.11.2019)

 

Getragen durch die ausdrucksstarke Musik Grigori Frids in der ergreifenden szenischen Umsetzung der jungen Regisseurin Katja Bening vom Theater Mönchengladbach entstehen hierbei höchst beklemmende („Gestapo-Razzia“), aber auch komische („Duett der Eheleute van Dam“) und lyrische Momente („Ich denke an Peter“). Frau Bening, die auch die Beleuchtung gestaltet, nutzt den ganzen Raum in allen Ebenen, die Sängerin tritt durch den Mittelgang ein, agiert auf der Empore, auf dem Fußboden des Mittelgangs und auf einer schlichten Leiter aus dem Baumarkt (Ausstattung und Bühne: Bernhard Petz), die bis zum Lichtschacht in der hohen Decke geht.

Die Betroffenheit des Publikums wird durch die besondere Atmosphäre, in der sich das Geschehen um das Mädchen Anne Frank, von der Außenwelt abgeschnitten in einem Bunker mit meterdicken rohen Betonwänden (kein Netz!), abspielt, noch verstärkt.

Bunker Güdderath/Anne Frank/ Foto @ Matthias Stutte

Das Publikum gelangt über ein labyrinthisch verwinkeltes Treppenhaus in den Konzertsaal und wird so zum Teil der Handlung. Es wird schlagartig klar, dass Anne Franks Schicksal zeitlos ist. Panagiota (Penny) Sofroniadou zeichnet mit ihrem jugendlichen lyrischen Sopran, der in allen Lagen perfekt geführt ist, virtuos die Entwicklung der naiven 13-jährigen, die sich über ihr Tagebuch zum Geburtstag freut, sich über den Tadel ihres Mathelehrers aufregt über die Wahrnehmung der lebensbedrohlichen Zustände („Razzia“), die Hoffnung auf ein bevorstehendes Ende des Krieges („An der russischen Front“) zur Resignation. Dabei legt sie ein unerschütterliches Bekenntnis zu Freiheit und Menschenwürde ab, obwohl es für Jugendliche doppelt schwer sei, ihre Meinung zu behaupten. Ihre starken Spitzentöne sind Ausdruck von echter Panik und Angst. Die Texte werden durch die Musik expressiv überhöht.

Die Mono-Oper für Sopran und Kammerorchester unter der musikalischen Leitung von Michael Preiser wird kongenial begleitet vom Dirigenten am Flügel, von Dominik Lang am Schlagzeug und Georg Ruppert Kontrabass und erzählt in zwei Teilen und 21 Episoden mit der Musik von Grigori Frid nach dem Tagebuch von Anne Frank. Die Musik füllt den ganzen Raum, die Akustik ist beeindruckend.

Kostümbildnerin Zdzislawa Worozanska-Sacher drückt die Reifung der Protagonistin durch ein in Konturen stilisiertes Kinderkleid aus, das die Sängerin später ablegt und zum Schluss an einem dicken Seil mit Galgenschlinge aufhängt.

Penny Sofroniadou kann als Idealbesetzung der Anne Frank gelten. Sie verkörpert glaubwürdig die Schülerin, die in der Isolation des Verstecks unter der Bedrohung durch die Gestapo zur Erwachsenen reift. Sie hat diese Rolle bereits 2017 in Aachen interpretiert und wurde dafür als Nachwuchssängerin NRW des Jahres 2017 geehrt. Mit Beginn der Spielzeit 2019/20 ist sie Mitglied im neu gegründeten Opernstudio NRW.

Preiser, Sofroniadou und Benning /Foto @ U. Hartlapp-Lindemeyer

Die Welt-Uraufführung der Oper „Das Tagebuch der Anne Frank“ war am 18.5.1972 in Moskau. Es wird die auf eine Stunde gekürzte Fassung von 1999 gespielt. Man sollte unbedingt eine Stunde vor Beginn der Vorstellung im Bunker Güdderath sein um die ausgestellten Kunstwerke zu sehen und die besondere Atmosphäre der Location auf sich wirken zu lassen.

Der Bunker Güdderath wurde von Bernhard Petz und Zdzislawa Worozanska-Sacher, beide Musiker bei den Rheinischen Symphonikern, vor sieben Jahren erworben und zu einer 700 m² großen Kunstgalerie mit Konzertsaal für ca. 80 Zuschauer ausgebaut, in der sie auch ihre eigenen Stein-Skulpturen und Textilobjekte präsentieren. Der Bunker hat am 29.9.2019 erstmalig mit dem Festival „Herbstzeitlose“ seine Tür geöffnet. Link: www.die-herbstzeitlose.de

 

Gesehene Vorstellung war die Premiere am 3. November 2019, 20 Uhr, weitere Vorstellungen: 8., 12., 17. und 23. November 2019

Karten erhältlich unter DIESEM LINK.

Der Bunker Güdderath ist nicht barrierefrei und nicht geheizt.

Adresse: Güdderath, Güdderath 29, 41199 Mönchengladbach

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Titelfoto: Bunker Güdderath/Anne Frank/ Foto @ Matthias Stutte
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