Tosca, Oper in drei Akten von Giacomo Puccini.
Die Uraufführung fand am 14. Januar 1900 im Teatro Costanzi in Rom, dem heutigen Teatro dell´Opera di Roma unter dem Dirigenten Leopoldo Mugnone statt. Am 21. Oktober 1902 folgte die deutschsprachige Erstaufführung an der Semperoper in Dresden. Das Libretto schrieben Luigi Illica und Giuseppe Giacosa nach dem Drama „La Tosca“ von Victorien Sardou.
Puccini streicht Passagen und Rollen aus dem von Sardou für Sarah Bernhardt geschriebenen Stück und „konzentriert sich zur Gänze auf das Drama einer Opernsängerin, die an der Treue ihres Geliebten, des Malers Cavaradossi zweifelt, und so in die Falle des rasend in sie verliebten Barons Scarpia gerät. Während in der Ferne die Schlacht von Marengo (Sieg Napoleons oder der Neapolitaner) das Schicksal Roms entscheidet, hat Floria Tosca nur ein paar Stunden, um ihren von den Schergen des Baron gefolterten Geliebten zu retten. Und vielleicht auch sich selbst …“ (Zitat aus dem Programmheft). (Rezension der Premiere v. 20.1.2020)
Da sitze ich nun also im Wohnzimmer von Madame Catherine Malfitano alias La Prima Donna und schaue ihr dabei zu, wie sie eine konzertante Version der Tosca inszeniert. Sie inszeniert natürlich auch sich selbst und lässt einen Film drehen über ihr Leben, ihre Karriere. 1992 habe ich Mme Malfitano als Tosca gesehen in dieser wunderbaren Übertragung aus Rom. Die Spielorte, fiktiv in der Oper, real in Rom, habe ich mir später angeschaut – Sant`Andrea della Valle, die Kirche aus Akt 1, Palazzo Farnese aus Akt 2, in dem heute die französische Botschaft untergebracht ist, Castel Sant´Angelo, die Engelsburg aus Akt 3, was für ein Gebäude, Gänsehaut pur. Gespielt und gesungen wurde damals über den Tag verteilt an den oben genannten Orten, das Orchester war im Studio. Für den 3. Akt saß ich um 6 Uhr morgens vor dem Fernseher.
Das gibt es jetzt nicht in der Inszenierung der Opéra de Lyon, ich habe es auch nicht vermisst, weil mir der Regieansatz sehr interessant scheint. Richtig konsequent verfolgt wird er nicht, zumindest ist das mein Eindruck zu Beginn, vor allem nicht von Mme Malfitano. Sie mischt sich zwar selbst sehr oft ein, singt der Tosca-Darstellerin ganze Passagen ihrer Rolle vor, so dass mir die arme Sängerin der Floria Tosca schon leid tat. In ihren Probeklamotten kann sie gegen die glamouröse Mme Malfitano natürlich nicht bestehen, zeigt sich aber doch sehr oft widerständig. Auf der anderen Seite läßt Mme die Zügel locker, das Personal ihrer Probe hat oft freie Zeit und kann tun und lassen, was es will. Mme Malfitano kümmert sich um ihren Lebens- und Karrierefilm und ihren sehr jugendlichen Liebhaber. Natürlich ist das das Ergebnis der Regie, wirklich auseinander halten kann ich es nicht, damit ist das Konzept wohl doch konsequent verfolgt.
Aber zurück zum Wohnzimmer. Die Bühne ist üppig bestückt mit Schlafzimmer, Bad, Küche, Atrium mit Vogelkäfig und Pflanzen und dem besagten Wohnzimmer ganz im Stil einer alternden Diva, außerdem einer Essecke im Stil eines amerikanischen Diners. Mme Malfitano schwebt auf der Bühne umher, hat die Fäden fest in der Hand und gibt dem Dirigenten vor, wann er zu spielen beginnen darf. Außer dem Cast der Tosca, allesamt in Alltagskleidung, es ist ja eine Probe, sind zwei Kameramänner auf der Bühne, die mit Handkameras das Geschehen filmen, wobei das Augenmerk hauptsächlich auf Mme liegt. Was gefilmt wird, ist an der hinteren Bühnenwand auf zwei großen Bildschirmen zu sehen. Das Auge ist also sehr gefordert, will man alles erfassen. Gesungen wird übrigens in italienisch, die Übertitel sind französisch, ich muss mich also auf mein Textwissen verlassen. Mme Malfitano kann sich auf ihren jugendlichen Liebhaber verlassen, der auch fürs Füße waschen zuständig ist und so nimmt die Sache ihren Lauf. Cavaradossi singt seine berühmte Arie „Recondita armonia, di bellezze diverse …“, die anderen Protagonisten lümmeln derweil auf den Sofas, in der Küche. Für ihren jeweiligen Gesangs-Einsatz kommen sie mit einem Notenständer in der Hand an den Bühnenrand. Was willkürlich wirkt, ist es natürlich nicht, die Musik, das Orchester ist mit Ausnahme des Beginns der Oper nicht in die Probensituation mit einbezogen, ist also eine verlässliche Größe. Baron Scarpia tritt auf, Stimme, Mimik, Körpersprache hervorragend, so wünsche ich mir einen Schurken. Und als dann Floria Tosca ihre „Vissi d’arte, vissi d’amore, non feci mai male ad anima viva“- Arie singt, auf dem Boden liegend, gibt es Szenenapplaus. Eine große Stimme, Mme Malfitano greift hier nicht ein ins Bühnengeschehen.
Das Bühnenbild rückt in Akt 2 etwas zusammen, große Sofas sind dominant. Auf einem davon vergewaltigen die gerade nicht beschäftigten Protagonisten den jugendlichen Liebhaber. Cavaradossi wird gefoltert und schreit vor Schmerzen auf dem Bett von Mme Malfitano liegend, während sie ihn streichelt. Auf den rückwärtigen Leinwänden laufen Videos ehemaliger Tosca-Sängerinnen, die Callas ist zu sehen in ihrem berühmten roten Samtkleid mit goldenen Applikationen. Dieses Kleid trägt nun Floria Tosca und sie muss sich nicht verstecken vor ihren großen Kolleginnen. Leider ist es mit Scarpia bald vorbei, Floria Tosca ersticht ihn auf einem der Sofas, er wehrt sich noch kurz, bleibt aber dann tot auf dem Boden vor dem Sofa liegen. An der Stelle habe ich die Probensituation ausgeblendet, werde aber schnell wieder daran erinnert, als Scarpia aufsteht und die Bühne verlässt.
Vor dem 3. Akt gibt es eine lange Pause, die Erklärung dafür ist sofort sichtbar. Das Orchester hat auf der Bühne Platz genommen. Im Zuschauerraum ist seitlich eine kleine Engelsburg aufgebaut. Und dann kommt Mme Malfitano von hinten in den Zuschauerraum, begleitet von den beiden Kameraleuten, sie trägt ein rotes Kleid und einen mächtigen Gehstock mit goldenem Knauf. An der Engelsburg macht sie Halt und platziert kleine Plastikfiguren auf dem Dach, die Protagonisten von Akt 3. Dann schreitet sie weiter in Richtung Bühne, eine Reihe Zuschauer muss aufstehen, um sie durchzulassen. Sie nimmt auf einem Sessel Platz, das Orchester spielt, Cavaradossi singt „E lucevan le stelle, ed olezzava la terra, stridea l’uscio dell’orto e un passo sfiorava la rena“. Floria Tosca tritt auf und sie und Cavaradossi, beide in Abendkleidung, versuchen, mit dem Leben davonzukommen. Mme Malfitano holt sich zwei Musiker aus dem Orchester, unerhört, und schickt die beiden hinter die Bühne, um Blumengebinde zu holen. Diese werden am vorderen Bühnenrand ausgelegt. An der Bühnenrückseite ist eine rote Wand aufgebaut (die Engelsburg ist grau) mit einem fabrikmäßig aussehenden Balkon und einer Metalltreppe. Cavaradossi steigt die Treppe hinauf und wie wir wissen, wird er erschossen, Scarpia hat gewonnen. Floria Tosca singt verzweifelt weiter in ihrem goldenen Abendkleid, während sich La Prima Donna alias Mme Malfitano auf dem Balkon die Pulsadern aufschneidet. In der Filmproduktion von 1992 hat sie sich von der Engelsburg gestürzt und dafür einen Emmy Award erhalten.
Aus dem Programmheft:
„Legendäre Oper, Opernlegende. Tosca ist die vierte Oper, die der 1970 geborene Filmemacher und Theaterschriftsteller Christophe Honoré in Lyon inszeniert. Bei seiner Regie lässt er als zentrale Figur eine in die Jahre gekommene Prima Donna auftreten, verkörpert von Catherine Malfitano, einer legendären Sängerin dieser Rolle, insbesondere in dem 1992 in Rom an Originalschauplätzen gedrehten Tosca-Film, die sich inzwischen von der Opernbühne zurückgezogen hat. Diese Diva lädt Sänger zu sich ein, die ein Galakonzert zu ihren Ehren vorbereiten, eine konzertante Version der Tosca, erklärt Honoré. Sie lässt sie die Tosca in ihrem Salon singen und taucht dadurch in ihre eigene Vergangenheit ein. Das löst ein Wechselspiel von menschlichen Beziehungen, Eifersucht, Misstrauen, Begehren aus, genau wie im Libretto thematisiert.“
Mir gefällt diese Tosca, bei allen neuen Inszenierungs-Ideen kommt die Musik und der Gesang niemals zu kurz. Dass La Prima Donna nicht nur spielen darf sondern auch kleinere Stellen als Doppelung der Floria Tosca singen darf, ist ein wirkliches Highlight. Ich habe mir ein Autogramm geholt von Mme Malfitano.
Herausragende Stimmen sind für mich Alexey Markov, ich hoffe, ihm an anderer Stelle wieder zu begegnen und Elena Guseva, eine glänzende Floria Tosca.
Musikalische Leitung: Daniele Rustioni
Regie und Video: Christophe Honoré
Bühnenbild: Alban Ho Van
Kostüme: Olivier Bériot
Licht: Dominique Bruguière
Mitarbeit Video: Baptiste Klein
Chorleitung: Hugo Peraldo
Floria Tosca: Elena Guseva
La Prima Donna: Catherine Malfitano
Mario Cavaradossi: Massimo Giordano
Baron Scarpia: Alexey Markov
Cesare Angelotti: Simon Shibambu
Ein Messner: Leonardo Galeazzi
Spoletta: Michael Smallwood
Sciarrone: Jean-Gabriel Saint-Martin
Gefängniswächter: Virgile Ancely
Majordome: Jean-Frédéric Lemoues
Orchester, Chöre und Kinderchor der Opéra de Lyon
Neuproduktion als Koproduktion mit dem Festival International d’Art lyrique in Aix-en-Provence
- Rezension von Angelika Matthäus / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Opéra de Lyon / Stückeseite
- Titelfoto:Lyon/TOSCA/Foto @ Jean Louis Fernandez