BERICHT DER PREMIERE VOM 28. SEPTEMBER 2018
GEFANGEN IM KÄFIG DER VERBOTENEN GEFÜHLE
PELLÉAS ET MÉLISANDE
Bereits Im Alter von 31 Jahren begann Claude Debussy mit dem Gedanken zu spielen, die von Maurice Maeterlinck stammende Dichtung, zu vertonen. Fast 10 Jahre vergingen dann bis zur Uraufführung des Werkes. Die am Anfang einvernehmliche Zusammenarbeit wurde jedoch während der vielen Jahre der Entstehung durch eine Auseinandersetzung über die Besetzung der Mélisande unterbrochen.
Maeterlinck erlaubte die Aufführung nicht, da er behauptete, Debussy habe vieles verfälscht. Während der Proben musste Debussy dann einige Passagen des Textes selbst umschreiben und als dann in der Generalprobe viele Maeterlinck-Anhänger versuchten zu stören, konnte diese nur wegen einem ruhig bleibenden Dirigenten zu Ende geführt werden. Schliesslich konnte dann 1902 die Premiere in der Opéra-Comique in Paris stattfinden.
Die Musik zu dieser «Literaturoper» ist aktweise durchkomponiert und verbindet fliessend die Handlung. Es sind keine Arien zu hören, sondern eine breite Palette von gefühlsbetonter Musik, welche durch die sehr emotionelle Handlung führt. Golaud, Halbbruder von Pelléas begegnet im Wald der traurigen Mélisande, welche an einem Brunnen kauert und sehr scheu andeutet, was ihr widerfahren ist. Sie sei vor einem Mann geflohen, welcher ihr eine Krone übergeben hatte, die nun im Brunnen liege. Diese will sie jedoch nicht zurück. Sie lässt sich dazu bewegen, Golaud zu folgen. Geneviève, die Mutter von Golaud und Pelléas, liest ihrem Vater Arkel, König von Allemonde, sechs Monate später, einen Brief vor, in welchem Golaud seinem Halbbruder Pelléas die Umstände seiner Heirat mit Mélisande beschreibt und um Rückkehr nach Allemonde bittet.
König Arkel hatte eine andere Braut auserwählt, gewährt Golaud aber trotzdem die Heimkehr. Pelléas kommt hinzu und bringt einen Brief von seinem Freund mit, welche darum bittet, Ihn vor seinem Tode nochmals zu sehen. Arkel erlaubt aber die Reise dahin nicht, weil sein eigener Vater ebenfalls im Hause auf dem Sterbebett liege. Als Mélisande in Allemonde ankommt, redet diese mit Geneviève über den dunklen Wald. Sie bemerken Pelléas, welcher am Meer gelaufen war und nun den Garten betritt. Gemeinsam beobachten sie ein auslaufendes Schiff. Mélisande erlaubt Pelléas, sie heimzuführen.
Als Pelléas Mélisande seinen Lieblingsplatz im Park beim Brunnen zeigt, spielt diese mit ihrem Ring und lässt ihn in den Brunnen fallen. Zur derselben Zeit fällt Golaud auf der Jagd von seinem Pferd. Wieder im Schloss zurück, teilt sie Ihrem Mann Golaud mit, wie unglücklich sie sich in diesen Gemäuern fühle. Er kann dies jedoch nicht verstehen und entdeckt in diesem Moment, dass seine Frau den Ring nicht mehr trägt. Er sei in der Grotte verloren gegangen erklärt diese, doch Golaud erzwingt die sofortige Suche nach dem Ring und schickt Pelléas als Begleitung mit. Als die Beiden in der Grotte am Meer auf drei Bettler stoßen, wird Mélisande von Angst geplagt und lässt sich nicht mehr beruhigen. Mélisande sitzt in Ihren Zimmer im Turm am Fenster und kämmt sich. Pelléas kommt dazu und streicht ihr liebevoll über das Haar. Goloud betritt den Raum und ist amüsiert über diese kindlichen Gesten.
Später, in einer Höhle im Keller des Schlosses, warnt Golaud seinen Halbbruder davor, so vertraut mir Mélisande zu sein, was ihm schon länger aufgefallen sei. Mélisande werde bald Mutter und er solle sich fernhalten. Golaud befragt vor dem Schloss seinen Sohn aus erster Ehe, Yniold, wie denn die beiden Pelléas und Mélisande zueinander stehen. Der Sohn gibt keine klare Antwort. Golaud nimmt Yniold auf seine Schultern und verlangt er solle in das Zimmer spähen. Yniold ist voller Angst. Pelléas will Mélisande am Abend beim Brunnen treffen, um mit Ihr vor seiner Abreise nochmals zu sprechen. König Arkel sucht nach Mélisande. Golaud kommt mit Mélisande hinzu, welche er vor Eifersucht rasend, an den Haaren nachschleppt. Abends findet das Treffen zwischen Pelléas und Mélisande am Brunnen statt und die beiden gestehen sich Ihre Liebe. Golaud überrascht die Liebenden und ersticht seinen Halbruder. Mélisande flüchtet.
Mélisande erwacht in Ihrem Zimmer, wo sich König Arkel, Golaud und ein Arzt eingefunden haben. Auf die Frage von Golaud, ob sie Pelléas geliebt habe, antwortet diese mit einem Ja, betont aber, dass nichts geschehen sei, was nicht erlaubt wäre. Mélisande erblickt Ihre neugeborene Tochter und stirbt kurz darauf. Die Inszenierung im Theater Basel beginnt mit einer Mélisande, welche verzweifelt neben einer den Brunnen ersetzenden Badewanne kauert und von Golaud gefunden wird. Hier wird eigentlich das Ende der Handlung vorweggenommen, kann aber auch als Hinweis der Geschehnisse vor der Begegnung gedeutet werden.
Während der ganzen Aufführung wird sich die außergewöhnliche Bühnenkonstruktion öffnen und schließen, was eindrückliche Bilder in diffusem Licht ermöglicht. Gerade bei der ersten Begegnung mit der Mutter und König Arkel und später beim Geständnis, dass sich Mélisande im Schloss nicht wohl fühlt, ist diese Enge besonders spürbar. Es gelingt mit wenig Dekoration eine unheimliche und bedrückende Stimmung zu erzeugen. Alles wird von großformatigen Videoeinspielungen begleitet, welche die vom Wasser eingeschlossenen Darsteller zeigen.
Besonders fein herausgearbeitet sind die jeweiligen Begehrlichkeiten der in diesem Käfig der verbotenen Gefühle gefangenen Menschen. Da werden die Abgründe dieser Familie sichtbar gemacht. Auch wenn dies teilweise in extremen Szenen gezeigt wird, die man gerade in der heutigen Zeit als besonders abstoßend empfinden kann. Die Inszenierung von Barbora Horáková Joly, welche selbst eine ausgebildete Sängerin ist, geht genau auf die einzelnen Charaktere ein und zeichnet diese sehr präzise. Dazu ist mit der raffinierten Bühne und den Kostümen von Eva Maria Van Acker ein Rahmen entstanden, welcher zum genauen Hinsehen auffordert.
Die Videoszenen von Sarah Derendinger und die Lichtregie von Michael Bauer, ergänzen diesen Eindruck aufs Beste.
Ein hervorragendes Sängerensemble ist in dieser Aufführung zu erleben.
Die Sopranistin Elsa Benoit beeindruckt als Mélisande. Sie ist für diese große Rolle bestens besetzt und man ist vom Zusammenspiel von Stimme und Interpretation dieser jungen Sängerin gebannt.
Rolf Romei, ein an diesem Hause bestens bekannter Sänger, macht aus dem Pelléas einenvon den Gefühlen hin- und hergerissenen jungen Mann, der mit großem Talent diese Rolle gestaltet. Er singt diese Partie mit sehr viel Energie und Einsatz und ist ein stimmlich wie optisch idealer Pelléas.
Andrew Foster-Williams, ein ebenfalls junger Bariton, gestaltet überzeugend seine Rolle als Golaud mit der ganzen Palette von Liebe, Hass, Eifersucht und Verzweiflung. Seine Stimme erlaubt es ihm, alle Facetten dieser ebenfalls sehr anspruchsvollen Partie zu vermitteln.
Zusammen mit dem Bassbariton Andrew Murphy, der einen überzeugenden König Arkel singt und spielt, sowie der Mezzosopranistin Jordanka Milkova, die eine leidende und gehorsame Mutter mit schöner Stimme, interpretiert und Domen Križaj als Arzt/Hirte, entsteht eine geschlossene Ensembleleistung.
Besonders erwähnt sei die Darstellerin des Yniod, Toja Brenner, welche in dieser Aufführung ein Mädchen, anstelle des Sohnes, verkörpert. Mit Ihrer sehr jungen Stimme und Schauspieltalent ausgestattet, gestaltet die 15-jährige ein sehr gutes Rollenportrait.
Das Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Erik Nielsen, spielt diese facettenreiche Musik von Claude Debussy mit viel Hingabe und Präzision. Die Musik fließt wie vom Komponisten gewünscht, einem Fluss ähnlich durch die Handlung.
Wer sich auf die Geschichte und die Gefühlswelten dieser Oper einlässt, wird einen faszinierenden Abend im Theater Basel erleben.
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- Rezension der besuchten Premiere im Theater Basel von Marco Stücklin
- Titelfoto: Theater Basel „Pelléas et Mélisande“/ Andrew Foster-Williams, Elsa Benoit/ Foto ©Priska Ketterer