„Siegfried“ in Dortmund als Teil des Konwitschny-Rings gefeiert

Theater Dortmund/SIEGFRIED/Jan Golebiowski, Daniel Frank/Foto:(c) Thomas M. Jauk

Die beiden Zyklen von Wagners „Ring des Nibelungen“ im Mai und Juni 2025 in Dortmund zeigen das Geschick des Intendanten Heribert Germeshausen, mit kluger Konzeption überregionales Publikum anzuziehen und zahlreiche namhafte Sponsoren für die Gesangsstars ins Boot zu holen. Flankiert mit einem Strauß von Vorträgen einschließlich Festgottesdienst werden die vier Opern von den Dortmunder Philharmonikern unter Gabriel Feltz mit hochkarätigen Solisten, teilweise mit Bayreuth-Erfahrung, in voller Besetzung aufgeführt. Regisseur Peter Konwitschny ist als konsequenter Vertreter des von Bertolt Brecht entwickelten epischen Theaters bereits jetzt eine Legende. Er präsentiert hier seinen ersten kompletten „Ring“, jede Oper mit einem anderen Bühnen- und Kostümbildner. (Gesehene Vorstellung am 23. Mai 2025)

 

Regisseur Peter Konwitschnys Inszenierung der „Götterdämmerung“ in Stuttgart wurde 2000 von der Zeitschrift Opernwelt zur „Aufführung des Jahres“ gewählt, obwohl oder gerade weil der Verfremdungseffekt des epischen Theaters durch Offenlegung der Theatereffekte dazu führt, dass gewohnte Theaterillusionen, wie zum Beispiel ein Wald-Prospekt oder eine Höhle aus Pappmaché nicht mehr gewahrt werden. Das führt dazu, dass Zuschauende die politische Dimension des Gezeigten eher erkennen. Die „Walküre“ (2022), Siegfried (2023), das „Rheingold“ (2024) wurden am 18.5.2025 durch die Übernahme und Neu-Einstudierung der Stuttgarter „Götterdämmerung“ zum „Ring“ vervollständigt, der in zwei Zyklen im Mai und im Juni 2025 in Dortmund gezeigt wird.

„Siegfried“ ist eigentlich eine sinfonische Dichtung des großen Orchesters mit Duetten im Sprechgesang und ein paar Ariosi wie dem Schmiedelied. Das meiste findet im Orchester statt, der Rest ist ein Konversationsstück, in dem alle Beteiligten ihre Sicht der Dinge so darstellen, dass sie möglichst vorteilhaft dabei aussehen. Der Drache Fafner in seiner Höhle, der sich mit dunkel-bedrohlichen Bläserakkorden musikalisch durch die Erzählung zieht und den Mime mit drastischen Worten als hochgradig gefährlich beschreibt, ist kein anderer als der Bauunternehmer Fafner, der den unfassbar großen Schatz der Nibelungen einschließlich Ring und Tarnkappe, den er mit seinem Bruder Fasolt gemeinsam als Honorar für die Erbauung Walhalls von Göttervater Wotan erhalten hat, bewacht. Er hat seinen Bruder Fasolt im Streit um den von Alberich verfluchten Ring erschlagen. In seiner Angst, nun seinerseits bestohlen zu werden, verwandelte er sich in ein gefährliches Ungeheuer, das Mime und Alberich belauern, um wieder in den Besitz des Rings zu gelangen, der die Macht verleiht.

Der Wanderer, Wotan, wie das Orchester verrät, der nach Brünnhildes Insubordination resigniert hat, folgt diesem Spiel mit mildem Interesse und beobachtet die Fortschritte seines Enkels Siegfried, der von Mime, Alberichs Bruder, der seinerzeit Ring und Tarnkappe schmiedete, isoliert von Menschen in einer Waldhütte unweit der Drachenhöhle mehr schlecht als recht aufgezogen wurde. „Als zullendes Kind zog ich dich auf.“

Bühnenbild und Kostüme von Johannes Leiacker sind denkbar stilisiert und auf ein Minimum reduziert: drei Container, ein bisschen Feuerzauber aus flatterndem rot angeleuchtetem Papier. Siegfried trägt kurze Hose, T-Shirt und Stirnband, Mime einen Kittel, wie ihn früher Hausfrauen zum Putzen trugen, Alberich einen Frack, Wotan Wanderkleidung und Sonnenbrille, Fafner Proletenträgerhemd mit Goldkette und dickem Ring. Brünnhilde hat ein richtiges schönes Damenkleid unter ihrer Rüstung an, rot wie die Liebe. Das schönste Kostüm hat das zierliche Waldvöglein, das schwerelos tanzt und zur grünen Corsage ein fedriges grünes Tutu trägt, herzallerliebst!

Jeder der drei Container steht für einen Akt. Mimes Höhle steht in der Mitte der ansonsten leeren Bühne. Der Wald kommt nur als Tapete im Inneren der Höhle vor, dazu gibt es das Schmiedefeuer vom Bühnenboden und als Amboss einen Elektroherd, auf dem Mime und Siegfried hämmern. Der Akt endet damit, dass Siegfried aus den Trümmern Nothungs sein Schwert geschmiedet hat, mit dem er furchtlos Fafner angreifen möchte. Mime sinnt derweil schon, wie er Siegfried vergiften kann, um danach in den Besitz des Rings zu gelangen. Eine wahrhaft dysfunktionale Familie!

Siegfried zieht in die Nähe der Drachenhöhle – der zweite Container. Nachdem er sein Horn-Motiv gelernt hat und den Drachen aufstört, öffnet sich der Container. Fafner sitzt mit dem Waldvöglein in einer goldenen Badewanne und lässt es sich gut gehen. „Ich sitz´ und besitz, lass mich schlafen!“ hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt. Die Szene erinnert an Playboys aus der Geldaristokratie, die mit schnellen Autos, legalen und illegalen Drogen und schönen Frauen das Vermögen ihrer Väter genießen. Mit vergoldeten Wänden, vergoldeter Sektflasche und haufenweise Goldbarren in den Ecken wirklich ein tolles Bild für obszönen Reichtum! Durch keine Skrupel wie Ehrfurcht vor dem Leben getrübt ersticht Siegfried Fafner mit seinem Schwert und wird vom Waldvöglein in ein Gespräch verwickelt. Sie verrät ihm, dass er auf einem Felsen seine künftige Frau finden werde. Vorher killt er noch Mime, bevor dieser ihn seinerseits vergiften kann.

Im dritten Container steht eine Art Sarkophag, aus dem sich Erda, Brünnhildes Mutter, von Wotan gerufen, erhebt. Aber sie kann Wotan keinen Rat mehr geben und verschwindet wieder. Siegfried, der keinen Respekt vor dem Alter gelernt hat, nimmt Wotan, den Wanderer, seinen Großvater, in einem ziemlich taktlosen Gespräch nicht ernst und zerschlägt seinen Speer. Damit ist Wotans Macht endgültig gebrochen. Siegfried zieht weiter, bis er auf einer leeren Bühne die schlafende Brünnhilde mit Helm und Rüstung liegen sieht. Sie erwacht aus tiefem Schlaf und erkennt Siegfried. Für kurze Zeit scheint mit dem überbordenden Liebesduett ein Happy End gekommen: „Lachende Liebe, leuchtender Tod!“

Das Ende ist offen, denn Siegfried weiß nicht, welche Macht der Ring verleiht, den er Fafner abgenommen hat, und Brünnhilde ist nun eine normale Menschenfrau, die sich traut, sich auf ihre entbrannte Liebe zu Siegfried einzulassen.

Theater Dortmund/SIEGFRIED/Alina Wunderlin, Denis Velev/Foto: (c) Thomas M. Jauk

Schlüsselszene ist für mich das Bild von Fafner in der goldenen Badewanne. Er besitzt zwar den Reichtum, ist aber nicht qualifiziert, davon Gebrauch zum Allgemeinwohl zu machen. Wotan hat mit der Zerschlagung des Speers, den er aus der Weltesche schlug, seine Macht verloren und spielt keine Rolle mehr, und Siegfried besitzt zwar den Ring, der Macht verleiht, weiß aber nicht, dass auf diesem Ring ein Fluch liegt, der ihn vernichten wird. Die Weltesche, blühend und stark, aus der Wotan seinen Speer geschnitzt hatte, ist von Siegfried verkohlt und verheizt worden, um Nothung neu zu schmieden, ist also vernichtet. Sie steht für die Natur, die bereits Alberich verletzte, indem er den Rheintöchtern das Rheingold raubte.

Das homogene Ensemble aus hochkarätigen Wagner-Sängern und Sängerinnen überzeugte auf der ganzen Linie. Rinnat Moriah als Waldvöglein, das eigentlich laut Wagners Partitur aus dem Off singt, weil Brünnhilde die erste Frau sein soll, die Siegfried sieht, tänzelte schwebend als Ballerina wie ein Vögelchen über die Bühne und verriet mit silbrigem Sopran Siegfried die Geheimnisse, die er wissen musste. Als Fafners Party-Girl á la Holly Golightly – vermutlich brauchte sie das Geld – teilte sie lässig seine goldene Badewanne. Eine echte Sympathieträgerin!

Schön bös gestaltete KS Matthias Wohlbrecht den Mime. Er, der aus dem von Alberich geraubten Gold Ring und Tarnkappe schmiedete, wähnt sich als legitimer Besitzer und hat nur deshalb Siegfried unter seine Obhut genommen, um ihn als Bezwinger Fafners zu instrumentalisieren. Seine Pläne, Siegfried, nachdem er den Ring hat, zu töten, um in den Besitz des Rings zu gelangen: „Zum ew´gen Schlaf schließ ich dir die Augen bald“, im zuckersüßen Parlando vorgetragen, waren eine Glanzleistung des Charaktertenors.

Der Bayreuth-erfahrene Thomas Johannes Mayer gab dem Wanderer, dem Gott Wotan, der vollends scheitert, als Siegfried mit seinem Schwert seinen Speer zerschlägt, abgeklärte Kontur. Stéphanie Müther als Brünnhilde, die die nach jahrelangem Schlaf endlich von Siegfried, der als furchtloser Held als einziger das von Wotan um sie gelegte Feuer durchbrechen konnte, erweckt wird, war mit ihrem hochdramatischen Sopran die kongeniale Partnerin und Gefährtin des jungen Helden Siegfried. Sie ist nach Erdas Aussage diejenige, die später das Drama beenden wird, das aus Gier und Machtsucht entstanden ist. Müthers jubelnde Spitzentöne und die differenzierte Darstellung der ihrer Göttlichkeit beraubten Frau, die sich einem Mann, Siegfried, hingibt und ausliefert, hat mich zutiefst gerührt.

Theater Dortmund/SIEGFRIED/Daniel Frank, Stéphanie Müther/Foto:(c) Thomas M. Jauk

Daniel Frank als Siegfried, der praktisch die ganze Zeit auf der Bühne stand, hat eine sehr schön timbrierte Stimme und hat bereits Tannhäuser, Lohengrin, Parsifal und Siegmund gestaltet. Er machte den pubertierenden Knaben, der seinen Ziehvater über seine Herkunft ausfragt, glaubhaft, aber auch den in Liebe zu Brünnhilde entflammten jugendlichen Helden. Das Schlussduett war reine Magie, denn dort verschmolzen zwei starke Stimmen zum optimistischen Aufbruch in die Zukunft. Melissa Zgouridi mit profundem Alt als Erda, KS Morgan Moody als autoritärer Alberich sowie Denis Velev als bassgewaltiger Fafner, der vermutlich auch ohne Verstärkung bedrohlich geklungen hätte, komplettierten das Ensemble.

Die Dortmunder Philharmoniker unter Gabriel Feltz, mittlerweile GMD in Kiel, glänzten in opulentem Wagner-Klang. Die von Wagner notierten sechs Harfen standen demonstrativ auf der Bühne. Solo-Hornist Jan Golebiowski bekam für seine Unterstützung Siegfrieds beim Intonieren des Siegfried-Motivs auf der Bühne verdienten Szenenapplaus, aber auch die anderen Solisten, die Siegfrieds Krächzen auf dem abgerissenen Regenrohr intonierten, hatten die Lacher auf ihrer Seite. Wie in allen normalen Opernhäusern mit offenem Orchestergraben ergibt sich das Problem, dass die Stimmen sich gegen das Orchester, auch wenn es versucht, leise zu spielen, schlecht durchsetzen können, wenn sie nicht an der Rampe singen. Konwitschny als alter Hase platzierte sie meist vorteilhaft, so dass alle in der Regel auch vom Text her im Zuschauerraum gut verständlich waren. Trotzdem waren die Übertitel hilfreich.

Obwohl „Siegfried“ im Wald spielt, kam wenig Wald-Romantik rüber, sondern eher massive Kapitalismuskritik im Bild Fafners. Der Weltesche setzte man schon am Anfang ein Denkmal, als der grüne Ast vor dem geschlossenen Vorhang krachend auf die Bühne stürzte. Konwitschny zeichnet hier eine Dystopie einer herrschaftslosen Gesellschaft, deren Insignien der Macht sich in der Hand eines unerzogenen und ungebildeten, aber sympathischen Anarchisten befinden, der geltende Verträge zerschlägt. Sollte das ein Modell der Gegenwart sein?

Abweichend von Wagners Plan setzt Konwitschny das „Rheingold“, das die Vorgeschichte erzählt, hinter „Siegfried“, vor die „Götterdämmerung“ als echten Cliffhanger ein. Mit dem Bild Fafners im goldenen Luxus ist die Motivation der Beteiligten evident. Mit dem gehetzten Siegmund am Anfang der „Walküre“ beginnt ein Spannungsbogen, der sich über Siegmunds Tod zur Ermordung Fafners durch Siegfried hin steigert. Jetzt weiß man, worum es geht, und dann will man auch wissen, wie Fafner an diesen Schatz gekommen ist. Es macht also dramaturgisch Sinn, das „Rheingold“ erst zwischen „Siegfried“ und der „Götterdämmerung“ zu zeigen, weil der Zuschauer dann wissen will, wie Fafner an diesen obszönen Reichtum gekommen ist. Die „Götterdämmerung“ wird den Spannungsbogen abschließen.

Es gab im nahezu ausverkauften Haus lebhaften Applaus für Ensemble und Orchester, aber auch einige Buhrufe für den Regisseur der ersten Staffel des „Ring des Nibelungen“ von Anhängern des „werktreuen“ Theaters.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Dortmund / Stückeseite
  • Titelfoto: Theater Dortmund/SIEGFRIED/Daniel Frank, Stéphanie Müther/Foto: (c) Thomas M. Jauk

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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