Bereits im siebten Jahr gastiert Christian Thielemann mit seiner Dresdner Staatskapelle bei den Osterfestspielen in Salzburg. Nach der „Walküre“ und dem „Parsifal“ übernahm er nun die musikalische Leitung der Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“. Nicht der Sopran und auch nicht der Tenor waren die Überraschungen des Abends – die Vorstellung stand vollkommen im Glanze eines neuen Hans Sachs: Dem großartigen Bass Georg Zeppenfeld gelang mit einem umwerfenden Rollendebut der Ausflug ins Stimmfach des Baritons. (Rezension der besuchten Vorstellung am 22.4.2019)
Die Bassbaritonrolle Hans Sachs ist selbst bei erfahrenen Wagnersängern gefürchtet, an Intensität, Komplexität und Vielseitigkeit kommt diese Rolle an keine weitere heran: Markes Monolog ist lediglich auf 15 intensive Minuten komprimiert, Gurnemanz Erzählungen pausieren im zweiten Akt des Parsifal und selbst Wotans innere Zerstrittenheit ist auskömmlich über drei Abende des Ringzyklus verteilt. Der Schustermeister Sachs hingegen steht als Schlüsselfigur der Meistersinger fast sechs Stunden ununterbrochen auf der Bühne und hat dabei sowohl zärtliche Dialoge mit Eva, eindringlich nachdenkliche Monologe, als auch pathetische Ansprachen mit dem Chor im Rücken zu meistern.
Der westfälische Bass Georg Zeppenfeld stand 2013 bei den letzten Meistersingern in Salzburg in Begleitung der Wiener Philharmoniker noch als Veit Pogner, ein Bass, auf der Bühne. Sein Rollendebüt als Sachs sorgte nun für große Begeisterung im Festspielhaus. Zeppenfeld wirkte beeindruckend frisch und unbeschwert. Die Anforderungen der Rolle in der Höhe schienen ihm keinerlei Probleme zu bereiten und er gestaltete selbst die Spitzentöne dank versierter Technik mit schierer Leichtigkeit. Er verzichtete jedoch in den Parlando-Passagen, gerade im Dialog mit Eva, auf ein Piano und sang stattdessen mit konstant starkem Volumen. Welch eindringliche Bühnenpräsenz, er unterstrich jede Phrase mit eigener Mimik und gestikulierte so auch spielerisch die Zwiespältigkeit des alternden Schuhmachers. Mit Hans Sachs hat Georg Zeppenfeld nun die Rolle seines Lebens gefunden, von hier an gibt es kein Zurück. Es bleibt zu Hoffen, dass der Ausflug ins Fach des (Bass-)Baritons dem jubelnden Publikum auch weitere Rollen – beispielsweise einen Wotan – beschert.
Mit Klaus Florian Vogt stand ihm der wohl erfahrenste Stolzing der Gegenwart gegenüber. Als wahrlich meisterlicher Liedersänger debütierte Vogt in Bayreuth vor zwölf Jahren in dieser Rolle. Er ist ein lyrischer Tenor, das Gegenteil der Heldentenöre vergangener Tage, und demonstrierte eindrücklich das Idealbild des Wettgesangs mittelalterlicher Dichtkunst.
Jacquelyn Wagner sang die Eva frei und mühelos, wurde der Rolle jedoch nicht vollkommen gerecht. Ihr heller Sopran trug nicht durch das große Festspielhaus, es mangelte an Wortwitz, Koketterie und tiefgründigem Rollenverständnis. Ähnlich auch Vitalij Kowaljow, er gab einen stimmlich voluminösen und wohlklingenden Pogner, verzichtete dabei auf wortgestalterischen Ausdruck. Adrian Eröd, im Ensemble der Wiener Staatsoper, gelang mit einem überraschend spritzigen und stellenweise gar tragischen Beckmesser ein Meisterstück. Stets kontrolliert und sicher war er ein ebenbürtiger Gegenspieler zu Klaus Florian Vogt.
Am Pult der Staatskapelle Dresden glänzte Christian Thielemann erneut als hervorragender Sängerbegleiter. Wie nur wenige Dirigenten verstand er es den Atem und Puls seiner Sänger zu fühlen und auf seine Staatskapelle Dresden zu übertragen: Dehnte der Tenor die Fermate etwas aus, unterlegte der Dirigent im Orchester ein behutsames Ritardando. Es entstand eine ungemeine Dynamik, kontinuierliche wechselten die Tempi ohne dabei in Beliebigkeit zu verfallen. Das Orchester erklang stets ausgewogen und trug den Klang der Stimmen, richtig kraftvoll wurde die Staatskapelle lediglich in den orchestralen Zwischenspielen. Auch der stark besetzte Chor übertönte zu keinem Zeitpunkt die Solisten. Selbst in der hektischen Prügelszene sang dieser deutlich strukturiert und koordiniert mit Blick zum Dirigenten.
Jens-Daniel Herzog hat aufgrund seiner 2016 eingenommenen Position als Intendant am Staatstheater Nürnberg eine besondere Beziehung zu den Meistersingern, diesem seiner Stadt Nürnberg gewidmetem Werk.
Herzog verlegt die Handlung in ein Opernhaus, verzichtet dabei meist auf Kitsch, Platituden oder Albernheiten und setzt humoristische Anspielungen dezent ein. In einer Bühne auf der Bühne des Salzburger Festspielhauses agieren die Sänger teils in ihrer zugedachten Rolle, und eben auch einmal ganz „privat“, wie sich ein Opernsänger eben Backstage verhalten mag – alles ein bisschen wie im echten Opernbetrieb, nur eben mit einem Augenzwinkern versehen: Die Affäre des Tenors versteckt sich auf dem Dachboden, die junge Sopranistin rekelt sich auf der Casting-Couch.
Das Bühnenbild mit dem angedeuteten Proszenium der Semperoper bietet Potential für eine durchdachte und subtile Personenregie. Leider gelingen dem Regisseur lediglich einzelne starke selbstironische Szenen. Die Inszenierung in ihrer Gänze zerfällt und ist aufgrund mangelnder Personenregie nicht konsequent zu Ende geführt. Herzog hätte den eingeführten Charakteren mehr Tiefgang geben können. Obwohl Hans Sachs kontinuierlich auf der Bühne präsent ist, wird nicht deutlich, welche Rolle er an diesem imaginären Opernhaus nun verkörpern mag. Er ist wohl Intendant oder gar der Komponist des aufzuführenden Werkes, schustert aber trotzdem als Handwerker fröhlich in der Theatereigenen Werkstatt die Schuhe seiner Solisten.
Im dritten Akt löst sich die Szene vollends auf. Die Bühnenteile fahren auseinander und geben die Festwiese preis. Das „Theater auf dem Theater“ wird unterbrochen und Herzogs Regie flüchtet sich in bekannte, dennoch beliebige Bilder einer klischeereichen fränkischen Sause, bei der auch Lederhosen und Dirndl nicht fehlen dürfen.
Nach dieser, zumindest musikalisch erfolgreichen, Erprobung der „Meistersinger“ darf sich Dresden auf die kommende Opernsaison freuen, denn im Januar 2020 wird Christian Thielemann diese Produktion in gleichbleibend hochkarätiger Besetzung – ebenfalls mit „Zeppi“ als Sachs – zur Premiere an die Semperoper bringen.
- Rezension von Phillip Schober /Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Salzburger Osterfestspiele 2019
- Titelfoto: Probenfoto Meistersinger: Georg Zeppenfeld (c) OFS/Monika Rittershaus