
Eine kleine Frühjahrstournee mit vier Konzerten in Deutschland und Österreich, auf dem Programm standen romantische Klassiker von Franz Schubert, Richard Wagner und Felix Mendelssohn Bartholdy, sollte das Debüt einer Kollaboration des Mahler Chamber Orchestra mit Raphaël Pichon werden. Die Konsternation war groß, als sich zunächst der junge französische Dirigent gezwungen sah, gesundheitsbedingt seine Teilnahme zurückzuziehen und dann wurde auch noch der Gesangssolist Stéphane Degout an seinem Auftritt verhindert. Obgleich das Mahler Chamber Orchestra wiederholt auch ganz ohne Dirigenten konzertiert, fand es einen bestmöglichen Ersatz aus den eigenen Reihen: Philipp von Steinaecker ist Cellist und Gründungsmitglied des Orchesters und hat sich zunehmend auch einen Namen als Dirigent, etwa von Projektorchestern, wie durch das Erarbeiten einer historisch informierten Mahler-Aufführung im vergangenen Jahr, gemacht. Für den Bariton Stéphane Degout fand sich mit Michael Nagy ein ihm würdiger Einspringer. (Konzert vom 28. Mai 2025)
Der Fokus des Konzerts bildete die Sinfonie in h-Moll von Franz Schubert, komponiert in jener „schwarzen Tonart“, welche bei Schubert immer wieder für den Tod steht. Diese sogenannte „Unvollendeten“ ist ein düster und bedrohlich anklingendes Werk, in welchem der Komponist, durchsetzt von einem doppelbödigen Optimismus, in eine abgründige Tiefe blickt. Die Sinfonie wurde von drei in einer thematischen Wechselbeziehung zu ihr stehenden Kunstliedern eingerahmt. Diese berichten von den Qualen der Liebe, von Schmerz und Trauer sowie den Träumen der Nacht.

Der Bariton Michael Nagy gestaltete die von Franz Liszt, Johannes Brahms und Max Reger orchestrierten Schubert-Lieder mit einer lediglich dezent gefühlvollen, tonlos-abgeklärten Phrasierung und unter dem Einsatz minimaler Gestik. Mit kühl schattierter Klangfarbe fand seine eindringliche Stimme lediglich in den vergehenden Worten des Rufes nach einer wiederkehrenden Nacht zu einem Hauch von Empathie. Ansonsten lehnte sich Nagy gänzlich an den düster-apathischen Klang der leise aus der Tiefe raunenden Streicher des Allegro moderato der durch die Lieder eingebetteten Sinfonie, wodurch er zutiefst zu berührte wusste.
Philipp von Steinaecker agierte in diesem Konzert als Primus inter pares des Mahler Chamber Orchestra, er weiß als Cellist um die außergewöhnliche Spielweise und den Charakter des eigenartig schlanken Klangbilds Bescheid. Die Musiker*innen beschreiben diesen als die Philosophie des „The Sound of Listening“, eines gegenseitigen Zuhörens, welches auch bei Schubert besonders hörbar wurde.

Von Steinaecker arbeitete behutsam die Gegensätze von Schubers Unvollendeter heraus, dämpfte die mit geringem Vibrato-Einsatz spielenden Streicher wiederkehrend, um die einbrechenden Bläsersoli umso kontraststarker zu betonen. Und obgleich beim Mahler Chamber Orchestra selbst die großen Werke der Romantik stets in schlanker Besetzung erklingen – lediglich vier Celli und drei Kontrabässe an diesem Abend – erzielte der Dirigent ein unerwartet intensives, zugleich mit äußerster Präzision zusammengewachsenes Klangvolumen. Organisch den Klang zu- und abnehmen lassen, gelegentlich dezent das Tempo anziehend, öffnete von Steinaecker die Ohren des Publikums.
Nach der Pause folgte das Siegfried-Idyll von Richard Wagner sowie die „Schottische“ Sinfonie Nr. 3 a-Moll von Mendelssohn Bartholdy.
Hinweis der Redaktion: Aus gesundheitlichen Gründen konnte unser Redakteur lediglich den ersten Teil des Konzertprogramms besuchen. Deshalb sind an dieser Stelle nur die Werke von Franz Schubert besprochen.
- Rezension von Philipp Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Kölner Philharmonie
- Titelfoto: Blick in den Saal der Kölner Philharmonie / Foto © KölnMusik/Guido Erbring