Mit einem Libretto von Francesco Maria Piave, das auf dem Roman La dame aux camélias (1848) von Alexandre Dumas dem Jüngeren basiert, ist La traviata, die von Giuseppe Verdi komponiert und am 6. März 1853 im Teatro La Fenice in Venedig uraufgeführt wurde, eine der am häufigsten gespielten Opern der gesamten Literatur. Obwohl die Oper bei ihrem ersten Publikum durchfiel, hatte sie ein Jahr später bei ihrer zweiten Aufführung im venezianischen Teatro San Benedetto Erfolg. Die Hauptthemen des Werks, darunter die Liebe und gesellschaftliche Konventionen, die Beziehungen verhindern, sorgen für seine anhaltende Beliebtheit. Violetta Valéry, eine junge Halbweltdame, leidet an Tuberkulose und ist zwischen ihren widersprüchlichen Wünschen nach Liebe und Unabhängigkeit hin- und hergerissen. Alfredo Germont, ihr Geliebter, wird von seinem Vater Giorgio Germont gezwungen, sich von ihr zu trennen. Giorgio ist besorgt, dass Violettas Ruf als Kurtisane die zukünftige Ehe seiner Tochter zerstören könnte. (Rezension der Vorstellung v. 09.12.2022/WA am 02.10.2022)
Die dreiaktige Oper, die mit den traditionellen Kürzungen etwa 2,25 Stunden dauert, wird oft, und auch bei der Aufführung am 9. Dezember 2022 in der Oper Leipzig, mit einer Pause zwischen der ersten und der zweiten Szene des zweiten Akts aufgeführt. Laut der Originalpartitur gibt es eine Pause zwischen dem ersten Akt in Violettas Haus und dem zweiten Akt, Szene 1, in Violettas und Alfredos Landhaus, sowie eine weitere zwischen dem zweiten Akt, Szene 2, in Floras Palast und dem dritten Akt in Violettas Schlafzimmer. Ohne die Trennungen, die Verdi und sein Librettist vorgesehen haben, ist der Übergang zwischen Alfredos und Violettas Wunsch nach einem gemeinsamen Leben im ersten Akt und dessen Ende am Anfang des zweiten Aktes schroff; dasselbe gilt für ihre Konfrontation während Floras Party im zweiten Akt und ihre Versöhnung unmittelbar vor Violettas Tod am Ende des dritten Aktes.
Die Inszenierung des Regisseurs Andreas Homoki (Bühne: Frank Philipp Schlößmann, Kostüme: Gabriele Jaenecke) drückt die Beziehungen zwischen den Figuren deutlich aus. Optisch erinnert mich diese Inszenierung an eine dunkle Version von Willy Deckers Salzburg-Aufführung aus dem Jahr 2005 mit Anna Netrebko als Violetta Valéry und Rolando Villazón als Alfredo Germont. Ein großer Vorteil von Homokis Konzept ist, dass die größtenteils leere Bühne (Blumen, die aus dem Boden sprießen, und einige Stühle sind die wichtigsten Objekte, die man sieht) die Aufmerksamkeit auf die Charaktere und die düstere Atmosphäre des Stücks lenkt, ohne dass Requisiten davon ablenken.
Als Violetta Valéry beherrschte Olga Jelínková die Bühne, sowohl stimmlich als auch schauspielerisch. Ihre Violetta ist eine bezaubernde, tieftraurige junge Frau, die darum kämpft, ihr Glück in der Gesellschaft ihrer Freunde zu finden. Jelínková macht deutlich, dass die einzigen Formen der Erfüllung, die Violetta finden kann, in der von ihr ersehnten Freiheit von gesellschaftlichem Druck und in ihrer allzu kurzen Beziehung zu Alfredo liegen. Ihr hohes Es am Ende der Cabaletta „Sempre libera“ war nicht nur technisch beeindruckend; es zeigt auch die Betrübnis, die Violetta selbst in dem Moment empfindet, in dem sie auf dem Höhepunkt ihres Glücks zu sein scheint. Ein besonderes Ereignis war Jelínkovás Darstellung von Violettas Verzweiflung, als sie von Giorgio Germont unter Druck gesetzt wird, ihre Beziehung mit Alfredo zu beenden. Von Anfang an bis zur Todesszene ist Jelínkovás Violetta eine melancholische, aber starke junge Frau, die entschlossen ist, das bestmögliche Leben zu führen und sich den Beschränkungen zu widersetzen, die ihre Gesellschaft ihr auferlegt.
Matthias Stier porträtierte Alfredo als einen Hals über Kopf in Violetta verliebten jungen Mann, der gerade seine erste Liebe zu erleben scheint. Stier zeigt die ganze Bandbreite von Alfredos Gefühlsleben: Euphorie, als Violetta ihn auffordert, zu ihr zu kommen, sobald die Blume, die sie ihm schenkt, verwelkt (also morgen), Verwirrung, als er ihren Brief liest, dass sie ihn verlässt (er weiß nicht, dass sein Vater sie dazu manipuliert hat), sein Wutanfall auf Floras Party und seine überwältigende Trauer, als er an ihrem Sterbebett steht. Stiers Alfredo ist mehr als nur ein naiver junger Mann, sondern ein liebevoller Partner, der sich ein Leben mit Violetta aufbauen wollte. Ihre Trennung war für ihn verheerend, und seine Trauer über ihren Tod wirft die Frage auf, was nach diesem Verlust aus ihm wird.
Giorgio Germont wird oft als eindimensionaler Unterdrucker dargestellt, der Violetta und Alfredo auseinandertreibt, ohne sich um etwas anderes zu kümmern als um seinen eigenen Ruf und den Wunsch, seine Tochter in eine anständige Heirat zu bringen. Mathias Hausmann bietet eine komplexere Interpretation von Germont als strengen, aber schließlich liebenden Vater, der das Beste für seine beiden Kinder will und sich des Ausmaßes des Schadens, den er durch die Trennung von Violetta und Alfredo verursacht hat, erst bewusst wird, als es zu spät ist. Hausmann erweckt ein gewisses Maß an Sympathie für diese Figur, die sich trotz ihrer Blindheit für die Folgen ihres Handelns um die Interessen ihrer Tochter kümmert, die in der Oper nicht vorkommt.
Die kleinen Rollen von Flora Bervoix (Nora Steuerwald), Annina (Samantha Gaul), Gastone (Álvaro Zambrano), Il barone Douphol (Dmitri Vargin), Il marchese d’Obigny (Demian Matushevskyi) und Il dottor Grenvil (Sejong Chang) wurden mit Überzeugung und so viel Engagement gesungen, wie es bei so kurzen Auftritten möglich ist. Die Damen und Herren des Chores der Oper Leipzig sorgten als Violettas Freunde im ersten Akt für ausgelassene Stimmung und kommentierten Alfredos gesellschaftlichen Fauxpas in der zweiten Szene des zweiten Akts bissig. Die Maskierten im 2. Akt, Szene 2 wurden von den Chormitgliedern als ein Spektakel dargestellt, das die flüchtigen Freuden amouröser Verliebtheit und ironisch die persönliche Tragödie zwischen Violetta und Alfredo kommentierte.
Das Gewandhausorchester dirigiert von Johannes Debus spielte Verdis flüssige, komplexe (wenn auch scheinbar einfache) Instrumentierung mit flotten Tempi und einer Leichtigkeit im Anschlag, aber auch mit der nötigen Kraft, vor allem im Quasi-Todesmarsch, der Violettas Tod vorausgeht. Alles in allem war dies eine durch und durch unterhaltsame Aufführung, die beweist, dass La traviata eines der absolut größten Musikdramen, nach denen von Wolfgang Amadeus Mozart ist. Dieses Meisterwerk wird oft unterschätzt, weil Teile des Stücks, vor allem Alfredos Trinklied „Libiam ne‘ lieti calici“ und das anschließende Duett mit Violetta im ersten Akt, außerhalb des Kontextes (z.B. bei Galakonzerten) als leichte Unterhaltung aufgeführt werden, was sie ganz sicher nicht sind.
- Rezension von Dr. Daniel Floyd / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Oper Leipzig / Stückeseite
- Titelfoto: Oper Leipzig/LA TRAVIATA/ Foto © Tom Schulze (Foto der Premiere)
Es war eine wunderschöne Aufführung am gestrigen Sonntagnachmittag, die mir noch lange in Erinnerung bleiben wird. Die Stimmen waren brillant, Auch schauspielerisch wurde einem eine Glanzleistung geboten.
Beeindruckend der Opernchor und das Orchester .