Fast auf den Tag genau ein Jahr später präsentierte das Klangvokal Musikfestival Dortmund nach dem großen Erfolg der selten gespielten Rossinioper „Le Comte Ory“ nun am gestrigen Abend Verdis frühe Oper „Giovanna D’Arco“. Auch diese eher selten gespielte Oper des italienischen Meisters begeisterte die Zuschauer im bestens besuchten Dortmunder Konzerthaus ab der Ouvertüre an und riss sie am Ende förmlich von den Stühlen. Minutenlange Standing Ovation für die Solisten des Abends, für das WDR Funkhausorchester Köln, den LandesJugendChor Nordrhein-Westfalen und den musikalischen Leiter des Abends, den aus Mailand stammenden, international renommierten Dirigenten Daniele Callegari. Und wieder einmal bewies das Dortmunder Klangvokal Musikfestival auf eindrucksvolle Weise wie mitreißend doch konzertant gespielte Oper sein kann. Ein Musikerlebnis erster Güte für alle, die dabei sein konnten.
Friedrich Schillers Drama von der Jungfrau von Orléans diente Giuseppe Verdi als Vorlage zur Oper Giovanna D’arco. Dieser Stoff reizte den damals 32-jährigen Komponisten so sehr, dass er aus dem Stoff seine 7. Oper schrieb. Uraufführung im Februar 1845 in der Mailänder Scala. Die Geschichte vom einfachen Mädchen, welches zur Heiligen wurde. 1921 wurde sie von der Katholischen Kirche heiliggesprochen, nachdem ein Todesurteil der mittelalterlichen Inquisition dafür aufgehoben worden war. Als die Schwertschwingende und von himmlischen Inspirationen getriebene Jungfrau, die die Engländer in deren Krieg gegen die Franzosen besiegte, war sie in den alten Überlieferungen zu einer Art Sagengestalt geworden. Temistocle Solera, Verdis Librettist zu dieser Oper, stützt sich zwar auf Schillers Drama, kürzt es aber ab um viele Stellen, dichtet streckenweise die Geschichte auch um, und macht daraus letztlich einen Operntauglichen Text, der insbesondere Giovannas letzte Tage und ihren Tod nahebringen sollen. Hier geht es mehr um die Gefühls- und Erlebenswelt der Giovanna, – als um historische Belegbarkeiten -, in Soleras und Verdis Augen. Was die Begriffe Liebe, Eifersucht, Vaterland und Tod, so essentiell für die italienische Oper, dann sehr in den Focus der Handlung der Oper stellt. Begriffe, die Verdi schon immer so sehr inspirierten, dass er daraus die wunderschönste und edelste Musik schuf, wie nur er es konnte. Und auch hier, in dieser noch relativ frühen Oper seines genialen jahrzehntelangen Wirkens, spürt der Zuhörer die Glut und die Emotionen der Musik, wie sie Giuseppe Verdi so meisterlich zu erschaffen immer imstande war.
Verdi stellt in dieser Oper die drei Hauptdarsteller (Sopran, Tenor und Bariton – eine oft von ihm so gewählte Kombination) zusammen mit dem Chor in den Vordergrund. Er gibt allen dankbare Solostellen, gefühlvolle Arien, aber auch emotional geladene Duette und große Ensembles, zusammen auch mit dem Chor. Zu Unrecht erlebt man dieses frühe Meisterwerk von Verdi so selten auf den Spielplänen. Dabei ist es doch das, oder besser beschrieben, dabei hat es doch alles, was eine Verdioper so einmalig macht. Oper die allein aus ihrer Musik leben kann, die berührt, die fesselt und die uns so unvergleichbar mitnimmt.
Das Klangvokal Musikfestival Dortmund brachte nun diese Oper in einer konzertanten Fassung auf die Bühne des Dortmunder Konzerthauses. In italienischer Originalsprache mit deutschen Übertiteln. Als besonderem Service lag dem Programmheft auch das vollständige Opernlibretto zum nach- und mitlesen bei. Aber zum Mitlesen kam der Rezensent kaum, waren doch die künstlerischen Leistungen auf der Konzertbühne von einer solchen Klasse, dass jeder Moment zum Genuss wurde und das Libretto beruhigt vernachlässigt werden konnte.
Verdis Giovanna D’Arco ist eine Oper, ähnlich fast dem Nabucco, in welcher der Chor eine dominante und kraftvolle, durchaus für sich herausfordernde, Rolle spielt. Der LandesJugendChor Nordrhein-Westfalen, unter der Leitung von Christiane Zywietz-Godland und Hermann Godland, wurde dieser Aufgabe mehr als gerecht. Die durchweg jungen Chorsänger begeisterten das Publikum und wurden verdienterweise gefeiert.
Erstmalig als Talbot, einem englischen Gesandten, war der kasachische Bassbariton Baurzhan Anderzhanov mit kraftvoller Stimme zu hören.
Als Delil, einem französischen Offizier, war der aus Kuba stammende Tenor Bryan López González, Mitglied des Opernstudios der Deutschen Oper am Rhein, nach Dortmund gekommen und fügte sich ebenfalls bestens in die hochklassige Aufführung ein. Auch für ihn war es ein gelungenes Rollendebüt.
Vittorio Vitelli, der italienische Bariton, der diese Partie des Giacomo bereits 2016 mit großem Erfolg beim Verdi-Festival in Parma gesungen hatte, konnte auch am gestrigen Abend glänzen. Wundervoll gesungen sein „Ecco il luogo e il momento!“ mit eben diesem ganz besonderem stimmlichen Ausdrucksmittel, dass italienische Baritone oftmals ihrem Gesang beizufügen imstande sind. Die Partie des Vaters der Giovanna ist eine von vielen, später noch folgenden, typischen Verdipartien für Baritone die in Ausdruck und Gefühl oftmals so ergreifend sind. Vitelli konnte das Dortmunder Publikum voll überzeugen.
Das konnte auch der französische Startenor Jean-François Borras als König Carlo VII. Schon vom ersten gesanglichen Einsatz an begeisterte er mit seine klaren und höhensicheren Stimme das erwartungsvolle Publikum. Die gefühlvollen Passagen, die herrlichen Duette und Ensembles wurden durch und mit ihm zu einem vokalen Erlebnis. Der weltweit gefragte Tenor darf sein Gastspiel im Konzerthaus Dortmund als weiteren Glanzpunkt seiner Karriere verbuchen. Ebenfalls viel Applaus und Ovationen für ihn.
Tobenden Applaus und Ovationen auch für die überragende Giovanna D’Arco des Abends, die lettische Sopranistin Marina Rebeka! Was für ein sensationelles Rollendebüt! Sie, die als eine der weltbesten Violettas aus Verdis „La Traviata“ gilt und an den größten und wichtigsten Opernhäusern der Welt gastiert, triumphierte geradezu in dieser Partie der französischen Nationalheiligen. Fast mühelos wirkend interpretiert sie diese anspruchsvolle Sopranpartie auf beeindrucke und hinreißende Weise. Seien es die zarten, zurückgenommen Töne, als auch die kraftvollen, dramatischen Ausbrüche und Spitzentöne der Giovanna D’Arco – sie überzeugt souverän auf ganzer Linie. Eine große Leistung einer großartigen Sopranistin – Bravo Marina Rebeka!
Daniele Callegari wurde seinem Ruf als einer der derzeit gefragtesten Operndirigenten voll gerecht. Souverän und voller Leidenschaft liess er das in Dortmund mittlerweile bestens bekannte WDR Funkhausorchester Köln Verdis Partitur ab der Ouvertüre erklingen und wusste auch die Solisten der Oper sicher durch den gesamten Abend zu leiten. Großer Jubel auch für ihn und das Orchester.
Dem Klangvokal Musikfestival Dortmund ist wieder einmal ein musikalischer Opernglanzpunkt mit dieser Aufführung gelungen. Mir bleibt als Rezensent nichts anderes übrig, als die Begeisterung des Publikums ungeteilt zu übernehmen und zu versuchen in Worte zu fassen.
Ein Dortmunder Opernerlebnis an das ich noch lange zurückdenken werde.
- Rezension der konzertanten Opernaufführung vom 27. Mai 2018 von Detlef Obens / © DAS OPERNMAGAZIN – 05/2018
- Titelfoto: Klangvokal Musikfestival Dortmund/Giovanna D’Arco/Foto ©Bülent Kirschbaum
- Hinweis: Am 1.7.2018 um 20.04 Uhr überträgt WDR 3-Radio den Mitschnitt der Aufführung vom 28.5.2018 , näheres siehe HIER