Hamburger Staatsoper: Von der Beständigkeit des Guten – Persönlicher Opernrückblick von Birgit Kleinfeld

Autorin Birgit Kleinfeld mit Herrn L. Pavarotti ( Hamburg 1972)
Autorin Birgit Kleinfeld mit Luciano Pavarotti ( Hamburg 1973)

Das Folgende wird anders als die Rezensionen, welche die Leser vom Opernmagazin gewohnt sind. Es ist weniger als das und doch mehr. Vor allem jedoch, ist es gewollt, – sogar geplant,- sehr persönlich. Mit „Eugen Onegin“ und „Der fliegende Holländer“ standen Produktionen auf dem Hamburger Staatsopernspielplan, die seit mehreren Jahrzehnten in ihren jetzigen Inszenierungen zu sehen sind. Daher wurden plötzlich Erinnerungen wach. Jugenderinnerungen an die ursprüngliche „Onegin“-Premiere im Winter 1979 und sogar an die Wieland-Wagner Produktion des „Holländers“, die vor der jetzigen auf dem Spielplan stand. Anfang Februar wurde darum die Idee zu dieser Retrospektive geboren, die auch eine Art Hommage an die Zeiten ist, als die „Staatsoper Hamburg“ noch „Hamburgische Staatsoper“ hieß, und sich Weltstars regelrecht die Klinke in die Hand gaben.

 

Preis‘ Deinen Engel und sein Gebot, hier steh‘ ich, treu Dir bis zum Tod

Doch ich möchte auch eine Lanze brechen für das Hier und Jetzt unseres Opernhauses. Nicht mit verbundenen Augen und kritiklos, aber doch mit dem Wunsch, andere mit mir zwar in Erinnerungen schwelgen zu lassen, aber auch Respekt vor dem zu haben, was heute geboten wird. Und mehr noch! Lassen Sie es uns genießen, und nicht selbst verderben, in dem wir die Mängel betonen. Die es übrigens auch mit „großen“ Namen gab, gibt und immer geben wird. Nein, lernen wir doch, nicht zu sagen. „Ja, aber …“ Sondern: „Das war schön! Okay, der oder die könnte noch das oder jenes lernen. Aber doch, es war schön!“ Klar, einfach ab und zu meckern tut jedem gut. Auch mir! Dennoch auf Dauer …

Hamburger Staatsoper / Der fliegende Holländer/ Foto Brinkhoff-Mögenburg

Oh, ich höre schön, wie mir, von jenen, die von Künstlern an einem Haus wie diesem, noch mehr gute bis überragende Leistungen erwarten, Sentas Worte in den Mund gelegt werden: „Preis‘ Deinen Engel und sein Gebot, hier steh‘ ich, treu Dir bis zum Tod“. Wobei mir die Rolle der an ihren Überzeugungen festhaltenden Senta zukommt, womit ich leben könnte. Dass dabei der „Staatsoper Hamburg“, die eher hoffnungslose Rolle des Holländers zukäme, allerdings weniger. Denn gerade die beiden letzten Aufführungsserien von „Onegin“ und dem „Holländer“ zeigten doch wie hoch die Qualität der Produktionen (wieder) ist. Darum fahre ich nun mit der gleichen Vehemenz, mit der Tatjana im „Onegin“ ihren Brief beginnt, fort. Und auch mit ihren Worten: „Und wär’s mein Untergang …
Obwohl, nach einiger Überlegung scheinen mir folgende Worte, die allerdings aus „Bajazzo“ stammen, noch passender: „Macht fort! Das Spiel kann beginnen!“ Am besten jedoch scheint es mir mit den Worten „Die Frist ist um …“ zur Sache und dem, mit Überschwang einer Geschichtenerzählerin, eingeleiteten Thema zu kommen.

 

 „Die Frist ist um …“

Mit eben diesen Worten rollte Baß-Bariton John Lundgren, in der Rolle des an Land geworfenen Holländers zum vierten und leider letzten Mal in dieser Spielzeit auf die Bühne der „Staatsoper Hamburg“. Das Opernmagazin berichtete bereits ausführlich über die beeindruckende erste Vorstellung dieser Aufführungsserie. Auch die letzte ließ keine, oder kaum, Wünsche offen.
Das auf hohem Niveau Bemängelte sind zum einen die wirklich kleinen Unstimmigkeiten zwischen Graben und Bühne. Zum zweiten an dem Fehler, nicht nur versierte, stimmlich wie darstellerisch herausragende Künstler, wie eben John Lundgren in der Titelrolle, aber auch Ingela Brimberg als Senta, Daniel Behle als Erik und Günther Groissböck als Daland mit einem jungen Kollegen zu vergleichen, der was ihm stimmlich noch fehlt, mit manchmal überzogener Spielfreude ausgleicht. Es war alles in allem einer der Abende, an denen man enttäuscht ist, dass es kurzfristig keine Wiederholungen geben wird. Eine jener Vorstellungen, die einem Stunden, oder gar zwei Tage später den Ohrwurm des finalen „Erlösungsmotivs“ schenken.

 

Hamburger Staatsoper/ Der Fliegende Holländer/ Foto Brinkhoff-Mögenburg
Hamburger Staatsoper/ Der Fliegende Holländer/ Foto Brinkhoff-Mögenburg

Es war einer der Abende, an denen man, während man begeistert applaudiert, denkt: „Geht doch!“ Um später- viel später- dann doch an früher zu denken und ohne all zu viel Wehmut zu vergleichen. Wagners „Der fliegende Holländer“ war, irgendwann Mitte der 1970er meine erste, live-erlebte Berührung, mit dem Lieblingskomponisten meines Vater. Als Teeanger, damals noch „Backfisch“ genannt, war ich völlig hingerissen von der Geschichte, sah nur die augenscheinlich unendliche Liebe einer jungen Frau zu einem geheimnisvollen Fremden. Und, auch wenn ich mich weder genau an die Produktion von Wieland Wagner erinnere, noch habe ich weiterführende Informationen zur Hand, doch ich weiß, dass das Bühnenbild üppiger war als das heutige. Vor meinem inneren Auge sehe ich, das Deck von Dalands Schiff im ersten Akt vor mir, samt Treppen zum erhöhten Bug samt Steuerrad, über dem der Steuermann dann einschlief. Sehe Senta vor einem überlebensgroßem Gemälde des Holländers sitzen, umgeben von Mädchen an ihren Spinnrädern. Hier erlischt das Bild von damals. Heute liegt der Steuermann auf dem Boden, ist das Portrait des Holländers so klein, dass es vor Senta auf dem Tisch stehen kann, und die Mädchen falten Wäsche, statt zu spinnen. Und ein Schiff? Ein Schiff gibt es nicht, aber Taue, rote Lichterketten, die am linken Bühnenrand, das Holländer-Schiff andeuten. Aber auch einen, die ganze Bühne umspannenden, blutroten Vorhang, der die im Wind flatternde Segel andeutet. Auch wird auf feste Bauten verzichtet. Häuser scheinen aus einer Art Segeltuch zu bestehen und symbolisieren für mich nur die Nähe zur Schifffahrt, sondern auch Zerbrechlichkeit und vielleicht sogar Wankelmut, wie das „Fähnchen im Wind“.


Es bleibt wirklich zu hoffen, dass die Produktion des Ehepaars
Marelli noch lange erhalten bleibt. Denn, mag es vor 22 Jahren auch anders gewesen sein, so wirkt sie heute moderat und – ja- schön. Was meine inneren Bilder und Klänge der damaligen Sänger angeht, so möchte ich als erstes erinnern an den Steuermann, gesungen vom Tenor Wiesław Ochman. Er war damals in Hamburg ebenso wenig aus dem Ensemble wegzudenken, wie es heute Dovlet Nurgeldiyev ist, auch wenn letzterer bald einen größeren Bekannheitsgrad erreicht haben wird, als Ochman ihn hatte. Des weiteren kommt mir als Erik René Kollo in den Sinn. Auch damals schon einer der ganz Großen. Doch auch da kann die momentane Besetzungsliste der Staatsoper mithalten. Immerhin war vor zwei Jahren Andreas Schager in dieser Rolle zu sehen, seines Zeichens ein beliebter Gast überall auf der Welt, nicht zuletzt in Bayreuth dieses Jahr war es, wie erwähnt Daniel Behle, einer, der, – wenn vielleicht auch eher im lyrischen Fach – , auf dem Weg nach oben ist.
Ja, ich war in der glücklichen Position so bekannte Größen wie
Theo Adam in der Titelrolle zu sehen. Durfte Ingrid Bjoner, Catarina Ligendza und ich glaube, sogar Leonie Rysanek und andere, als Senta erleben. Kurt Moll stand mir einen kurzen Moment als Daland vor Augen. Aber ach, es ist so lange her. Darum frage ich mich bei aller Dankbarkeit, dass ich Sänger erleben durfte, die heute Legenden sind: 
Was sind Namen, wenn die Leistungen stimmen?

 

Darf ich es wagen?

Und diese stimmten nicht nur bei den letzten Aufführungen des „Holländers“, sondern auch für alle vier Vorstellungen von Tschaikowskys „Eugen Onegin“. Mit Kartal Karagedik in der Titelrolle, Iluia Maria Dan als Tatjana und Dovlet Nurgeldiyev als Lenski standen drei junge Sänger auf der Bühne, die zu recht alle drei, dank ihrer oft überragenden Leistungen als Publikumslieblinge gelten. Und auch ihre Kollegen in den anderen Rollen, allen voran Alexander Tsymbalyuk, der als Fürst Gremin mit einer einzigen Arie die Herzen des Publikums im Sturm eroberte, sorgten für die hohe Qualität der vier Abende. Zu Ihnen gehören auch Oksana Volkova als Tatjanas Schwester Olga und Thomas Ebenstein, der mit dem Ständchen des Monsieur Triquets brillierte.

Oksana Volkova, Kartal Karegedik, -Iulia Maria Dan, ganz rechts_Christoph Gedschold (Foto @ Iulia Maria Dan)
Oksana Volkova, Kartal Karegedik, -Iulia Maria Dan, ganz rechts Dirigent Christoph Gedschold (Foto mit herzlichen Dank @ Iulia Maria Dan)

Darf ich es wagen?“ Sind die ersten Worte des Onegins, wenn er zusammen mit seinem Freund Lenski, das Haus von Tatjanas Mutter und somit die Bühne, betritt. War Bernd Weikl, der Onegin der Premiere vor fas 40 Jahren, vom ersten Augenblick an der arrogante Lebemann, so ist Kartal Karagedik ein Onegin, der den Seiten von Tatjanas Büchern entsprungen scheint. Anders als Weikl, der damals, als ich 19 war, sehr väterlich auf mich wirkte mit seiner sehr männlich-reifen Erscheinung, wirkt Karagedik auf mich optisch durch seine schulterlangen, dunklen Haare, die ebenso dunklen Augen, wie der wahr gewordene romantische Jungmädchentraum. Sein Onegin gleicht einem ewig Suchendem. „Er ist keine schlechter Mensch“, meint Karagedik.Er ist nur oft in schlechten, falschen Situationen.“ Stimmlich besticht Karegedik durch Wärme und Zartheit, die unter die Haut gehen, ebenso wie sein leidenschaftlicher Ausbruch am Ende erschüttert und erahnen lässt, welch darstellerisches und gesangliches Potential in diesem vielseitigen Künstler steckt.  Ähnliches gilt für Dovlet Nurgeldiyev, der für mich einfach die Idealbesetzung für die Rolle des schüchternen, hier Brille tragenden Dichters, Lenski ist. Schon zu Anfang seiner Karriere hier an der „Staatsoper Hamburg“ machte Nurgeldiyev durch seinen feinen lyrischen Tenor, der an Fritz Wunderlich erinnert, auf sich aufmerksam. Seine Stimme ist wie geschaffen, für das Fach der jungen Männer, deren Heldenhaftigkeit aus Empathie und Sanftmut besteht, ohne das Leidenschaft in Stimme und Spiel zu kurz kommen. Vor drei Jahren noch eher zurückhaltend in seinem Spiel, lassen seine Leistungen auch in diesem Bereich längst keine Wünsche mehr offen. So rührend sanft wie er seine Olga küsst, so rasend eifersüchtig begehrt er dem ehemaligen Freund gegenüber auf und so verzweifelt wirft er sich, letztlich doch um Versöhnung bemüht, vor Onegins Pistole.


Ob 
Wiesław Ochman, der Lenski der Premierenserie mich damals ähnlich beeindruckt hat, erinnere ich mich nicht mehr. Auch weiß ich nicht mehr genau, ob mich Anja Siljas Briefszene so beeindruckte, wie es die von Iulia Maria Dan tat. Wenn doch, dann sicher hauptsächlich, weil diese Szene an sich schon so manchem jungen Mädchen aus dem Herzen spricht. Zumindest noch zu jenen Zeiten. Zumindest mir als junger Frau. Die bin ich längst nicht mehr, aber Dan gelingt es, mich an sie zu erinnern. An die Zerrissenheit, die Hoffnung und auch die Verzweiflung. Stimmlich dann gelingt ihr in der Briefszene, wie auch in der finalen Auseinandersetzung mit Onegin, für jene wohlige Gänsehaut zu sorgen, die eine Aufführung so besonders macht.

 

Der Himmel läßt uns für das Glück Gewohnheit als Ersatz zurück.

Was die Inszenierung von Adolf Dresen und seinem Team Karl-Ernst Herrmann und Margit Bárdy betrifft, so zeigt sich ihr Alter erst während der Umbaupausen. Diese sind, aufgrund der heutzutage antiquierten Technik, so notwendig, wie ungewohnt. Ansonsten hat sie nichts von dem Zauber der Einfachheit verloren. Dresen und Co legten mit ihrer Arbeit das Hauptaugenmerk auf die Geschichte und die Personen. Sie erzählen eine Geschichte von, über und für Menschen. Sie lassen uns mitfühlen und mit erleben. Etwas das immer seltener wird. Regietheater kann die Fantasie beflügeln.

 

Staatsoper Hamburg / EUGEN ONEGIN
Staatsoper Hamburg / EUGEN ONEGIN (ält. Aufführung) Foto @  Thode

„Onegin“ und selbst noch der „Holländer“ gehören zu den Anfängen des Regietheaters. Aber da ist noch mehr, dass mir, in meinen Augen, neben der Tatsache, dass ich sie vor Jahrzehnten bereits hier im Hause sah, erlaubt, sie zu verbinden. Sie erzählen von Liebe, von Selbstaufgabe und mehr, ohne zu politisieren oder aus den weiblichen Figuren Kämpferinnen zu machen, die einen Umbruch der Gesellschaft herbeiführen wollen. Beide aber stehen für sich ein. Als junges Mädchen habe ich mit Senta geseufzt, weil sie sich für ihre „Liebe“ aufgibt, habe Tatjana regelrecht verflucht, weil sie bei ihrem Gatten bleibt, damals dargestellt vom eindrucksvollen Kurt Moll. Heute sehe ich beide Frauen anders. Immer noch bewundere ich Senta für ihre Selbstaufgabe, die Erfüllung dessen, was für sie selbstverständliche Pflicht ist. Endlich jedoch ist mir bewusst, dass es im Holländer um viel mehr geht als Liebe. Es geht um eine besondere Art der Todessehnsucht. Es geht, so denke ich, um eine tiefempfundene, von einer höheren Macht auferlegten Pflicht. Es geht um das Finden von Erlösung, in dem einander erlöst wird. Das mag, wegen der Kürze der Darstellung etwas „spöksch“ wie wir in Hamburg sagen, klingen. Komisch, überdreht. Doch ich gehe dennoch noch weiter. Vielleicht geht es auch um zwei alte Seelen die sich wiederfinden, da die eine in Sentas Körper wohnt.
Bei Tatjana und Onegin ist die Liebe, ist das Pflichtbewusstsein, ganz und gar irdisch und rein menschlich. Heute verstehe ich Tatjanas Entscheidung für ihren Gatten, für sich und die Pflicht. Die Pflicht, und somit auch für die eigene Ruhe, gefunden in der Gewohnheit an das Eheleben. Ähnlich wie ihre Mutter, Larina, die sagt: „Der Himmel läßt uns für das Glück Gewohnheit als Ersatz zurück.

Hamburger Staatsoper / Foto @ Westermann
Hamburger Staatsoper / Foto @ Westermann

Auch ich werde mit meinem nächsten Bericht zur Gewohnheit, meines üblichen Rezensionsstil zurückkehren. Doch zuvor möchte ich mich ganz herzlich bei Herrn Detlef Obens bedanken, für die Möglichkeit, meiner „Geschichtenerzählerinnen-Seele“ nachgeben zu dürfen. Schließen möchte ich diesen, wie beschrieben ,sehr persönlichen Text, mit einem letzten Zitat. Und wieder aus „Bajazzo“ und in der Gewissheit, ein jeder kennt es:


„Geht ruhig heim – Das Spiel ist aus …!“

 

Birgit Kleinfeld, Hamburg, 6. März 2018 

 

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