Ballett Dortmund/ Ballett Rachmaninow | Tschaikowsky/Foto @ Bettina Stöß, Stage Pictures

Große Gefühle in ergreifender Bildsprache: Premiere vom Ballett „Rachmaninow | Tschaikowsky“ – Opernhaus Dortmund

TSCHAIKOWSKY; Marlon Dino, Lucia Lacarra/Foto @ Bettina Stöß, Stage Pictures
TSCHAIKOWSKY; Marlon Dino, Lucia Lacarra/Foto @ Bettina Stöß, Stage Pictures

Rachmaninows Konzert Nr. 3 für Klavier und Orchester und Tschaikowskys 6. Symphonie, genannt „Pathetique„, bilden das musikalische Gebäude in welchem Xin Peng Wang seine Tänzerinnen und Tänzer wahre Gefühls- und Empfindungswelten ausleben lässt. Und er schafft eine Choreographie, die nicht nur unter die Haut geht, in ihren Bann zieht, nein, sie bezieht jeden einzelnen Zuschauer auf ganz besondere Weise emotional mit ein. Unberührt kann niemand nach dieser höchst beeindruckenden Ballettpremiere das Dortmunder Opernhaus verlassen haben. Die fast mit Händen fühlbare Ergriffenheit und Begeisterung im restlos ausverkauften Dortmunder Opernhaus brach sich dann mit lautem Jubel und Ovationen für alle an der Balletturaufführung beteiligten Künstlerinnen und Künstler Bahn. 

 

Der Dortmunder Ballettdirektor Xin Peng Wang wollte mit seiner neusten Tanzkreation, wie er sich selbst im Programmheft zur Premiere ausdrückt, „hinter die Kulissen des Kunstschaffens blicken“ und dabei tiefe „Seelenblicke“ in Kunstwerke werfen, dem Echo dazu lauschen und dabei erfahren, wie Kunst durch das eigene Erleben und Empfinden erklärend auch für und auf jedes Individuum wirkt. Das er dazu zwei Meisterwerke der russischen Musikgeschichte auswählt, die doch in ihrer Intensität, in ihrer Emotionalität, aber auch in ihrer Wucht, geradezu prädestiniert dazu sind Empfindungen auf musikalischer Ebene überdeutlich zu transportieren, macht diese Choreographie auch zu einem so großen Ereignis und Erlebnis. Die Beschreibung „Handlungsballett“ reicht schon nicht mehr als alleinige Charakterisierung dessen aus, was das Dortmunder Ballettensemble am gestrigen Abend aus der künstlerischen Taufe gehoben hat. Wang’s Ballett-Uraufführung zu Werken von Rachmaninow und Tschaikowsky erreichte eine Tiefe und eine gleichzeitige Höhe, wie es nur in der lebenden Kunst zu spüren ist.

Die choreographischen Bilder, die er schuf, waren immer im Einklang mit der Musik. Machten die musikalischen Emotionen plötzlich sichtbar. Und das war das Einmalige, das wirklich Große, an diesem Ballett Rachmaninow | Tschaikowsky.

RACHMANINOW; Francesco Nigro, Sophie Czolij /Foto © Bettina Stöß, Stage Pictures
RACHMANINOW; Francesco Nigro, Sophie Czolij /Foto © Bettina Stöß, Stage Pictures

Im ersten Teil des Abends wirkte alles wie im Fluss. Nicht nur im übertragenen Sinne. Die Farbe Blau war dominierend, auch in den engen Kostümen der Tänzerinnen und Tänzer, die sie alle wie androgyne Wesen erscheinen ließ, die wirkten, als wenn sie ständig auf der rastlosen Suche nach etwas wären. Die zu Findenden wurden, aber dann doch wieder auch zu Verlorenen. Die sich umarmten, sich wieder trennten, sich formierten und auch mit sich allein genug waren. Und alles in ständig fließender Bewegung, mit größter Körperbeherrschung und bravouröser Harmonie im Gesamten. Getanzt zu Rachmaninows genialen Klavierkonzert Nr. 3 mit seinem kraftvollen Finale geriet es zu einem Erlebnis. Stellvertretend für das gesamte großartige Corps de Ballett (verstärkt auch durch Tänzerinnen und Tänzer des NRW Juniorballett)  seien hier die Solisten dieses ersten Teils des Ballettabends genannt:  Denise Chiarioni, Giacomo Altovino, Ida Anneli Kallanvaara, und Erik Jesús Sosa Sánchez.

Am Klavier, dass auf der linken Bühnenhälfte platziert war, der international renommierte russische Pianist Nikolai Tokarev, der für seine Interpretation des dritten Klavierkonzertes von Rachmaninow hochverdient vom Publikum bejubelt wurde. Der vielfach ausgezeichnete Musiker aus Moskau, dessen Kunst auch auf eine überzeugende Art in die Choreographie des Abends mit eingebunden wurde, war zwar der überragende nicht-tänzerische Solist dieses ersten Teils des Balletts, aber war doch auch ein Teil des Ganzen. Großartig! 

TSCHAIKOWSKY; William Dugen /Foto © Bettina Stöß, Stage Pictures
TSCHAIKOWSKY; William Dugen /Foto © Bettina Stöß, Stage Pictures

Tschaikowskys 6. Symphonie bildete die musikalische Basis, -wenn dieser Ausdruck überhaupt nur annähernd die künstlerische Dimension beschreibt-, des zweiten Teils dieses grandiosen Ballettabends. Jenes Werk von ergreifender Melodik und von einer Größe, die fast in Worten nicht zu erfassen ist, und die auf wunderbare Weise, wie andere Kompositionen des genialen russischen Komponisten, für ein Ballett und dessen Ausdrucksmöglichkeiten geschrieben zu sein scheint. Die „Pathetique“, wie die 6. Symphonie auch bezeichnet wird, gilt als Tschaikowskys sinfonisches Vermächtnis. Wenige Tage nach der Uraufführung verstarb der Komponist. Er hinterließ diese Symphonie, von der er selbst meinte, sie sei sein bestes Werk. Offenbart sie doch scheinbar so viel von Tschaikowskys Seelenleben, wie sie auch viele Fragen hinterlässt. Und doch fasziniert sie die Menschen seither immer wieder und zieht sie in ihren Bann, mit ihrer unergründlich erscheinenden Tiefe und ihrer wahren musikalische Größe. Das Werk endet mit einem langsamen Satz, still, bedrückend, beeindruckend.

Und so setzt Xin Peng Wang dann auch seine Inszenierung und Choreographie in umwerfend schöne Bilder um. Die beiden Solisten dieses Teils, Lucia Lacarra und Marlon Dino, wurden zu tänzerischen Fixsternen in ihren gemeinsamen Auftritten und überboten sich gegenseitig an Ausdruck und Gestaltung. Wie sie das Anziehende, das Verbindende und auch das Trennende einer lebendigen Beziehung mit tänzerisch-künstlerischen Mitteln darstellten, war beeindruckend. Dazu ein Bühnenbild, das aus zwei verschieden großen Steinen, eben Fixsternen gleichend, bestand, die erst ineinander, dann umeinander und dann versetzt zueinander über den beiden Solisten vom Bühnenhimmel herunter hingen. Planeten, die eine Verbindung eingehen wollen und es doch nicht können. Absolut überzeugend auch das gesamte Ballettensemble, dass besonders nach der getanzten Darstellung des dritten Satzes mit seinem effektvoll-marschmäßigen Endes bereits begeisterte Ovationen erhielt.

TSCHAIKOWSKY; Marlon Dino, Lucia Lacarra / Foto © Bettina Stöß, Stage Piuctures
TSCHAIKOWSKY; Marlon Dino, Lucia Lacarra / Foto © Bettina Stöß, Stage Piuctures

Für das Gesamtergebnis mitverantwortlich und daher auch hier unbedingt genannt: Bühnenbild und Videotechnik von Frank Fellmann, Kostüme von Bernd Skodzig, Lichtdesign Bonnie Beecher und für die Konzeption und Dramaturgie verantwortlich Christian Baier.

Auch die Dortmunder Philharmoniker, am Ende der Aufführung zum Schlussapplaus in ganzer Stärke auf der Bühne versammelt, waren wie der musikalische Solist des Abends auch, ein großartiger Teil eines besonderen Ganzen. Als gebürtiger Dortmunder freue ich mich immer ganz besonders, dieses Orchester loben zu können, welches doch ein glänzendes Aushängeschild für die ganze Stadt,  und auch für die gesamte Region ist. Sie waren auch am gestrigen Abend wieder eine Klasse für sich!

Die musikalische Leitung lag in den Händen von Gabriel Feltz. Um es kurz zu machen: Diese Ballettpremiere darf bereits schon jetzt zu den größten Erfolgen des Dortmunder GMD zu rechnen sein. Seiner bekannten und kenntnisreichen Affinität  zu russischen Komponisten und ihren Werken getreu, dirigierte er den gesamten Abend voller Empathie, mit viel Gefühl, aber auch mit Tempo und entsprechend effektvoller Wucht, wie es Rachmaninow und Tschaikowsky sicherlich wohlwollend gern selbst vernommen hätten. Und natürlich galten auch ihm, neben Ballettchef Xin Peng Wang, die ganz besonders großen Jubelstürme eines restlos begeisterten Publikums. 

Es wird noch weitere 7 Aufführungen dieser Ballettinszenierung an der Oper Dortmund geben. Das es an dieser Stelle dazu eine absolute Besuchsempfehlung gibt, dürfte nicht verwunden.

 

  • Weitere Infos, Termine und Karten unter DIESEM LINK
  • Titelfoto: Ballett Dortmund/ Ballett Rachmaninow | Tschaikowsky/Foto © Bettina Stöß, Stage Pictures
  • Rezension von Detlef Obens / DAS OPERNMAGAZIN © 11-2017
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