Dortmund: „Lohengrin“ als psychologisierendes Kammerspiel

Oper Dortmund/LOHENGRIN/Christina Nielsson (Elsa von Brabant), Daniel Behle (Lohengrin)©Thomas Jauk, Stage Picture

Der Beifall im ausverkauften Haus fällt gespalten aus. Zunächst verbreitet sich Ratlosigkeit, dann gibt es stürmischen Applaus für die Solisten, vor allem für Daniel Behle mit seinem sensationellen Rollendebut als Lohengrin und Joachim Goltz als Telramund. Kräftige Buhrufe für das Regieteam, denn der Interpretationsansatz mag für Wagner-Kenner eine interessante Facette beleuchten, trägt aber das Stück nicht. (Rezension der Premiere vom 30.11.2019

 

Der Sog, den eine gute Inszenierung ausübt, will sich einfach nicht einstellen. Einige Besucher gehen nach der ersten bzw. nach der zweiten Pause und verpassen den besten Teil, nämlich die Brautszene und die Gralserzählung, die Daniel Behle äußerst differenziert und mit Mut zu leisen Tönen gestaltet. Seine Stimme trägt auch im Piano, und er gewinnt als gebrochener und von Elsa enttäuschter Held der Partie berührende Momente ab. „Nun sei bedankt, du lieber Schwan“, und „Elsa, ich liebe dich …“ zeigen, dass hier ein Mozart-erfahrener lyrischer Tenor agiert.

Die Gralserzählung, mit Spannung erwartet, wird zum Höhepunkt des Abends, denn sie ist perfekt angelegt und steigert sich bis „… sein Ritter, ich bin Lohengrin genannt“, enorm. Die Regie versäumt es jedoch, ihm den von Wagner komponierten großen Auftritt zu inszenieren, er kommt ganz schlicht von rechts zu Fuß.

Das Bühnenbild von Dirk Becker stellt ein abgeerntetes Stoppelfeld mit dem sehr engen Schlafzimmer Elsas dar, in dem sie die ganze Geschichte träumt. Die Video-Sequenzen Und Text-Einblendungen von Philipp Ludwig Stangl betonen den Märchen-Charakter der Erzählung.

Oper Dortmund/LOHENGRIN/Christina Nielsson (Elsa von Brabant), Joachim Goltz (Friedrich von Telramund)/©Thomas Jauk, Stage Picture

Die Problematik des Stücks wird hier unfreiwillig offenbar: die nahe liegenden Ansätze sind alle schon abgehandelt. Man möchte auf keinen Fall die Sehnsucht nach einem politischen Führer thematisieren, wie das 1936 in Bayreuth geschah und das Werk für lange Zeit kontaminierte, und man möchte die Schwanenritter-Problematik, die bei zu konkreter Gestaltung unfreiwillig komisch wird, elegant umgehen.

Die szenische Reduktion auf die sechs Solisten fokussiert die Aufmerksamkeit auf die Beziehungen zwischen Elsa und Lohengrin, zwischen Ortrud und Telramund und zwischen Elsa und Ortrud.

Der Chor unter der Leitung von Fabio Mancini kommentiert die Handlung aus dem Off, er ist im ersten und dritten Akt im zweiten Rang platziert und erzählt die Ankunft des Schwans, die überhaupt nicht visualisiert wird. Oder soll der Federball, den das im Video eingeblendete Geschwisterpaar Elsa und Gottfried in der Suppenschüssel findet, und den Lohengrin Elsa bei seiner Ankunft überreicht, andeuten, dass Lohengrin in Wirklichkeit Gottfried ist?

Christina Nilsson als Elsa mit ihrem schönen lyrischen Sopran macht eine ungeheure Entwicklung durch. Unter schwerer Anklage des Brudermords stehend erträumt sie sich einen Retter, der nach einer enormen auch musikalisch dramatischen Steigerung auf mysteriöse Art erscheint und sie in einem Kampf mit ihrem Ankläger Telramund rehabilitiert.

Nimm alles, was ich bin“ – sie verspricht ihm bedingungslose Liebe. „Elsa, ich liebe dich“, antwortet Lohengrin, knüpft an die Ehe aber die Bedingung des Frageverbots. Wie sie Lohengrin in der Brautnacht zusetzt und Telramund mit dem Messer ersticht ist eine großartige Emanzipationsgeschichte. Auch hier ein vielversprechendes Rollendebut.

Joachim Goltz überzeugt auf der ganzen Linie als Telramund. Selbstbewusst mit großem Bass-Bariton erhebt er die Anklage gegen Elsa, und wenn der Schwan mit Lohengrin nicht gekommen wäre, hätte er Elsa, die seine Hand ausgeschlagen hatte, vernichtet und als Herrscher von Brabant die Truppen angeführt.

Durch Lohengrins Sieg ist er auf der ganzen Linie gescheitert, seine Ehre ist dahin. Er gibt seiner Frau Ortrud die Schuld, die ihn zu diesem Machtspiel angestiftet hat. Aber er gibt nicht auf, sein Leben lässt er bei dem Versuch, Lohengrin in der Brautnacht umzubringen. Ein eher schlichter Haudegen, der sich von weiblicher List instrumentalisieren lässt.

Oper Dortmund/LOHENGRIN/Stéphanie Müther (Ortrud), Christina Nielsson (Elsa von Brabant)/©Thomas Jauk, Stage Picture

Stéphanie Müther als Ortrud hat den Ehrgeiz, als Königsmacherin ihren Mann, den sie mit ihren erotischen Reizen („in geheimen Künsten tief erfahren …“) immer wieder motiviert, an die Spitze Brabants zu setzen und selbst „First Lady“ zu werden. Dabei geht sie buchstäblich über Leichen, denn sie hat Elsas Bruder Gottfried entführt, und sie stiftet Telramund zum Mord im Brautgemach an.

Die Auseinandersetzung zwischen Ortrud und Telramund ist im Schlafzimmer der beiden angesiedelt, und sie kann letztlich Telramunds Zorn („Du fürchterliches Weib!“) durch ihren erotischen Charme besänftigen. Ihr Mann ist ihr offenbar verfallen. Das wird auch szenisch sehr konkret angedeutet.

Ihr tiefer Mezzosopran glänzt vor allem bei der Rache-Phantasie, die sie mit Telramund anstimmt. Eine starke machtbewusste Frau!

In der mittelalterlichen Lohengrin-Erzählung des Gottfried von Straßburg, die Wagner zu seinem „Lohengrin“ inspirierte, scheitert die Beziehung zwischen Elsa und Lohengrin erst, als ihre Kinder erwachsen werden. Wagner hat das Säen des Zweifels in der Auseinandersetzung zwischen Ortrud und Elsa auf einen Dialog in der Nacht vor der Hochzeit verdichtet.

Während die heidnische Ortrud, „Radbods letzter Spross“, um ihre Macht kämpft und alles anführt, was gegen Lohengrin sprechen könnte, lässt Elsa alles an sich abprallen und agiert aus der auch religiösen Überlegenheit der christlich geprägten legitimen Erbin der Macht, aber die Saat des Zweifels geht auf.

Einen sehr ungewöhnlichen Ansatz über die Beziehung zwischen Elsa und Lohengrin bringt Regisseur Ingo Kerkhof ins Spiel. Er unterstellt mittels einer Video-Installation eine sehr innige Beziehung zwischen Elsa und ihrem Bruder Gottfried („Brüderlein und Schwesterlein“), wie Wagner selbst sie zu seiner älteren Schwester Rosalie hatte, und Lohengrin könnte selbst Elsas verschollener Bruder sein. Dann stellt sich die Problematik der Identität des Gatten natürlich in verschärfter Form. Ich fürchte jedoch, dass dieser Gedanke an den Haaren herbeigezogen ist.

Die Brautnacht-Szene, in der Elsa und Lohengrin in den berückendsten Melodien das Erwachen ihrer Liebe besingen, zeigt, dass eine bedingungslose Liebe einfach nicht möglich ist, weil Elsas Forderung an Lohengrin, zu offenbaren, wer er ist und woher er kommt, die Grundlage ihres Ehevertrags zerstört. „Denn nicht komm´ ich aus Nacht und Leiden, von Glanz und Wonne komm´ ich her!“- mehr kann er nicht sagen. „Nun ist all unser Glück dahin“ seufzt Elsa, nachdem sie ihm die Frage gestellt hat.

Möglicherweise ist dies eine der Kernaussagen, nämlich, dass die überragende Bedeutung, die die Gesellschaft des Mittelalters und auch der Entstehungszeit der genetischen Herkunft einer Person zumisst, die Beziehungen zwischen den Menschen nachhaltig stört. Nicht umsonst hatte Wagner sich der linkssozialistischen 1848-er Revolution angeschlossen und konnte die von seinem späteren Schwiegervater Franz Liszt am 28. August 1850 in Weimar dirigierte Uraufführung des „Lohengrin“ nur aus dem Exil in der Schweiz verfolgen.

Shavleg Armasi hat die undankbare Aufgabe, in dieser Inszenierung König Heinrich darzustellen. Stimmlich ist er Telramund zu nahe, ein tieferer Bass hätte sich besser abgehoben. In seiner Ratlosigkeit steckt er sich mehrmals eine Zigarette an. Man glaubt ihm die Fürsorge für Elsas Wohlergehen, ihr Schicksal geht ihm nahe.

Ohne den Opernchor als Staffage mit einem schlichten schwarzen Anzug fehlen ihm jedoch die Insignien königlicher Würde, so dass er unglaubwürdig wirkt. Ein schwacher Herrscher!

Der lyrische Bariton Morgan Moody als Heerrufer, der hier wie ein Majordomus daherkommt, mit besonderem Touch in Frisur und Köpersprache, wirkt eher wie ein Moderator denn als Sprachrohr des Herrschers.

Die Bühne von Dirk Becker ist sehr dunkel, außer schwarz und weiß werden keine Farben eingesetzt. Auch die Video-Einblendungen sind schwarz-weiß. Die Kostüme von Jessica Rockstroh sind in der Entstehungszeit angesiedelt. Die hochgeschlossenen Kleider und Krinolinen der Damen wirken wie Rüstungen und erinnern an Cosima Wagners Kleider.

Lohengrin könnte Richard Wagners alter Ego sein. Als damals noch erfolgloser Komponist wünscht er sich natürlich eine ergebene Frau, die ihn bedingungslos liebt. Aber die Gesellschaft, in die er entsendet wird, ist für einen Künstler seines Ranges noch nicht reif, er scheitert an den Randbedingungen. Mit seinem erlesenen Hintergrund („vom Gral daher gesandt“ und „mit überirdischer Macht gerüstet“) scheitert er nicht nur an den banalen Erwartungen seiner Ehefrau, sondern auch an denen der Gesellschaft.

Oper Dortmund/LOHENGRIN/Christina Nielsson (Elsa von Brabant), Daniel Behle (Lohengrin)©Thomas Jauk, Stage Picture

Die Regie von Ingo Kerkhof fokussiert sich ganz auf die sechs Protagonisten. Die Tableaus erinnern an Theaterstücke von Ibsen. Die Personenführung ist eher schlicht, vor allem, was den Chor angeht.

Zentrale Vorgänge wie die Ankunft Lohengrins mit dem Schwan oder der Auftritt Gottfrieds nach Lohengrins Abgang werden überhaupt nicht visuell umgesetzt. Wer das Stück nicht kennt ist ratlos.

Der Chor, der an der Musik mit zweieinviertel Stunden den weitaus größten Anteil hat, wird im ersten und im dritten Akt im Rang platziert, ist also unsichtbar, im zweiten Akt wird er, in schwarzen Anzügen und Kleidern, vorne an der Rampe aufgestellt. So wird so der deutsch-nationale Anspruch des Werks dem Blick entzogen, da das Volk optisch nicht beziehungsweise nur als Hochzeitsgäste vorkommt.

Dass der Chor binnen 48 Stunden drei verschiedenen Führungsfiguren zujubelt wird nicht evident. Er hat eher den Charakter eines Beobachters und Kommentators wie in der griechischen Tragödie. Der Effekt ist zunächst verblüffend, hat aber seine gravierenden Nachteile.

Im dritten Akt klappen die Einsätze der Bässe, die anscheinend sowohl rechts als auch links angeordnet sind, um einen halben Schlag auseinander, und die Präzision der anspruchsvollen vielstimmigen Chorsätze zerrinnt zu Brei.

Der Chor ist oft einfach oft nur überwältigend laut und deckt die Stimmen der Solisten zu. Das ist vermutlich der Problematik geschuldet, dass man einen Chor, der so weit entfernt und so breit verteilt vom Geschehen platziert ist, nicht präzise genug koordinieren kann.

Das Dirigat von Gabriel Feltz arbeitet schon im Vorspiel mit den Dortmunder Philharmonikern vor allem die lyrischen und intimen Momente subtil aus und gestattet den Sängerinnen und Sängern auch leise Töne, indem er das Orchester sehr zurücknimmt, aber der große dramatische Bogen will sich einfach nicht spannen.

Wer noch nie eine Oper von Wagner gesehen hat ist mit dieser Nicht-Inszenierung überfordert, einem Wagner-Kenner eröffnen sich sehr interessante Denkanstöße.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Opernhaus Dortmund / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Dortmund/LOHENGRIN/Christina Nielsson (Elsa von Brabant), Daniel Behle (Lohengrin)©Thomas Jauk, Stage Picture
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2 Gedanken zu „Dortmund: „Lohengrin“ als psychologisierendes Kammerspiel&8220;

  1. „Der lyrische Bariton Morgan Moody als Heerrufer, der hier wie ein Majordomus daherkommt, mit leicht schwulem Touch in Frisur und Köpersprache, wirkt eher wie ein Moderator denn als Sprachrohr des Herrschers.“

    Wie plump ist das denn? So haben sie seine Homosexualität den gesehen? An seiner Nasenspitze? Hat er mit Friedrich rumgemacht? Oder geht es einfach nur darum, dass Frisur und Verhalten nicht in ihr Bild eines heterosexuellen Mannes passen?

    1. Ich verstehe Ihre Kritik. Allerdings ist die Rezensentin absolut frei von jedweden Vorurteilen und hat ihrem Eindruck – sicher nicht beabsichtigt – einen falschen Zungenschlag gegeben. Aber ich nehme Ihren Einwurf zum Anlass, den Satz ein wenig umzuformulieren. Danke für Ihren Hinweis und herzliche Grüße, Detlef Obens (Herausgeber).

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