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Der Besuch einer Vorstellung in der Bayerischen Staatsoper München ist immer etwas Besonderes. Das Nationaltheater verfügt über eine unübertroffen klare Akustik, welche den Gesang mühelos über das Orchester hinwegträgt. Der derzeitige GMD Kirill Petrenko leitet eines der renommiertesten, womöglich sogar das beste Opernorchester weltweit, das Bayerische Staatsorchester. Noch bevor ein Ton im Orchester erklungen ist, wird der Dirigent von seinem Publikum wie zu einem Rockkonzert mit Ovationen und Jubelstürmen begrüßt. Seine Musiker sitzen erstaunlich hoch, Dirigent und Orchester sind selbst vom Parkett aus im weit geöffneten Graben von jedem Platz gut zu beobachten. (Rezension der besuchten Vorstellung v. 28. März 2019)
Spätestens mit seinem Bayreuther Ring-Zyklus hat sich Kirill Petrenko für die Aufführungen der monumentalen Werke Richard Wagners einen Namen gemacht. Bis zu seinem anstehenden Weggang an die Spitze der Berliner Philharmoniker wird das treue Münchner Opernpublikum jeden der wenigen verbleibenden Opernabende unter „ihrem Petrenko“ stürmen. Für die Wiederaufnahme des Parsifals im März 2019 waren innerhalb von Sekunden sämtliche Plätze der drei Aufführungen restlos ausverkauft. „Hier gilt’s der Kunst“, die Münchner Opernbesucher gelten als Kennerpublikum schlechthin, in den Pausengesprächen diskutieren sie eifrig über die Kunst- und Kulturszene der Stadt, ihre Oper und deren Inszenierungen, sowie die musikalische Qualität des Abends: Wird es dem scheidenden Opernintendanten Nikolaus Bachler gelingen, seinen Stardirigenten Kirill Petrenko für zukünftige Produktionen der Salzburger Festspiele zu engagieren? Wann wird es den ersten Ring-Zyklus unter Petrenko-Nachfolger Vladimir Jurowski geben, und wer wird diesen inszenieren? Auf den günstigen Hör- und Stehplätzen schwärmen die älteren Stammbesucher und Partiturleser von Aufführungen vergangener Tage mit Kurt Moll, Birgit Nilsson oder Wolfgang Windgassen.
Im Vorspiel dieses Parsifals herrschte Stille, weder ein Husten, ein Flüstern, noch das Rascheln einer Handtasche war zu hören. Wer diesen Parsifal, ein Bühnenweihfestspiel mit exzellenter Sängerbesetzung, miterleben durfte, war dankbar, aufmerksam und konzentriert. Das Bayerische Staatsorchester bot dank Petrenko wieder ein sehr durchsichtiges, differenziertes und mit zahlreichen Nuancen versehenes musikalisches Zusammenspiel. Es ist müßig, solch eine unerreichbare, selbst in Bayreuth nur selten übertroffene Musikalität, in Worte zu fassen.
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Petrenko begleitete die mitunter erlesensten Sänger überhaupt für einen Parsifal, die Solisten des Abends gehören zur Elite des Wagner-Gesangs. René Pape, ein Gurnemanz mit voluminöser, prachtvoller und wunderbar angenehmer Stimme, differenzierte seine Rolle im hauchenden Pianissimo bis hin zur aggressiven, lauten Brutalität. Jedes Wort blieb verständlich, jede Silbe erklang deutlich und klar.
Die Titelrolle sang Burkhard Fritz mit verhältnismäßig kleiner Stimme. Er gestaltete einen glaubhaften „reinen Toren“, wirkte in der besuchten Vorstellung jedoch offenbar indisponiert. Ihm gegenüber stand eine der größten hochdramatischen Sopranistinnen der Gegenwart, Nina Stemme. Sie sang ihre Kundry, eigentlich eine Mezzopartie, mit einer schieren Leichtigkeit. Gefasst und sicher erschütterte ihr „Lachen“ im zweiten Akt sichtlich die Gemüter des Publikums.
Den Sängern der beiden Baritonrollen, Amfortas und Klingsor, gelang die Überraschung des Abends. Derek Welton begeisterte schon in Bayreuth als Klingsor. In dieser Produktion bewies er, dass diese Rolle nicht nur aus Boshaftigkeit und Rache besteht, sondern dass Klingsor als verrückter, durchgeknallter und höhnischer Eremit ebenso viel Mitleid wie Amfortas verdient hat.
Michael Nagy zeigte in seinem Rollendebüt als Amfortas eine eindrückliche und musikalische Gestaltung. Seine Arbeit als Mozartsänger zahlt sich aus, Nagy bewies mit agiler Stimme eine geradezu wortgestalterische, expressive Musikalität, die ihresgleichen sucht.
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Nun wurde die Inszenierung des Regisseurs Pierre Audi nach der Premiere zu den Festspielen 2018 zum ersten Mal wiederaufgenommen. Audi schuf in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler und Bildhauer Georg Baselitz ein statisches, meist in schwarz-weiß getauchtes Bühnenbild, das zu seiner Premiere auf heftigen Widerstand des Publikums stoß. Im ersten Akt ist die Landschaft lediglich angedeutet, verdorrte, kahle Bäume und ein Skelett zieren die sonst leere Bühne. Der Vorhang und die Dekoration bestehen aus Skizzen und Bildern von Georg Baselitz, die Zuarbeit des Künstlers prägt insbesondere im zweiten Akt das optische Geschehen auf der Bühne. Die Gegend um die Burg Monsalvat wird im letzten Akt kopfüber gezeigt, die dürren Baumstämme hängen von der Decke.
Obwohl er es als langjähriger Opernintendant in Amsterdam und als Theaterregisseur besser wissen könnte, verzichtet Audi auf eine durchdachte Personenregie, weitestgehend singen die Protagonisten an der Rampe, verloren stehen die Solisten in den Weiten der leeren Bühne. Baselitz‘ Ästhetik bleibt stets unverkennbar, aber seine Kunst an sich wirft noch keinen neuen Blick auf Wagners Bühnenweihfestspiel, eher verwirrt diese den Zuschauer. Audi und Baselitz sind sicherlich nicht vollkommen am Kern des Parsifals vorbeigeschlittert, haben diesen aber dennoch nur in Ansätzen getroffen.
„Weißt du, was du sahst?“ wird Parsifal am Schluss des ersten Akts gefragt. Das Publikum wird diese Frage hinsichtlich der Bühnenbilder des Künstlers Georg Baselitz nicht beantworten können – muss es auch gar nicht. Braucht denn jede Kunst eine Erklärung? Sicher ist, dass das Publikum zu schätzen weiß, was es hören durfte: Wo manch älteres Semester noch heute von dem legendären Bayreuther Parsifal der 1950er Jahre unter Hans Knappertsbusch schwärmt, so wird auch dieses letzte Dirigat des Parsifals mit Kirill Petrenko als GMD der Bayerischen Staatsoper mit „unerreicht“ in die Rezeptionsgeschichte eingehen.
- Rezension der besuchten Vorstellung von Phillip Schober/RED. DAS OPERNMAGAZIN
- Homepage der Bayerischen Staatsoper München
- Titelfoto: PARSIFAL: CHRISTIAN GERHAHER (AMFORTAS), CHOR DER BAYERISCHEN STAATSOPER/ Bildcopyright: © Ruth Walz