
Im Mittelpunkt dieses Ballettabends „Oiseaux Rebelles“ im Opernhaus Zürich stehen zwei starke Persönlichkeiten, welche ihre eigene Lebensweise durchsetzen und auf dem Weg dahin viele Widerstände überwinden müssen. Mit der choreografischen Uraufführung ihres Balletts „Vestige“ kann die Choreografin Dani Rowe gleich zwei Premieren feiern. Sie arbeitete zum ersten Mal mit dem Ballett Zürich zusammen und ist gleichzeitig ihr Einstand als Choreografin in Europa. Als gebürtige Australierin tanzte sie während zehn Jahren als Solistin beim Australien Ballett, bevor sie anschliessend zum Houston Ballet und dann zum Nederlands Dans Theater wechselte. Ihre eigenen Werke konnte sie mit dem Pacific Northwest Ballett, dem San Francisco Ballett und weiteren wichtigen Compagnien verwirklichen. (Rezension der Premiere v. 12. Oktober 2025)
Für das Ballett „Vestige“ hat Dani Rowe die Musik von Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ in der Orchesterfassung von Maurice Ravel gewählt. Diese Musik erinnert an einen Rundgang durch ein Museum, wo zehn einzelne Werke beschrieben und die unterschiedlichen Stimmungen ausgeleuchtet werden. Mit seiner Komposition hat Mussorgski den Verlust seines Freundes Viktor Hartmann verarbeitet, wobei viele Erinnerungen an ihm vorbeiflogen.

Raffiniert sind das schlichte Bühnenbild von Jörg Zielinski und die Lichtgestaltung von Martin Gebhardt. Wir sehen einen großen hängenden, sich stetig langsam drehenden Rahmen, in welchem sich mehrere einzelne kleinere Rahmen ebenfalls drehen und so die Illusion eines Museumsrundgangs erzeugen. Bilder welche durch ihre Ästhetik gefallen. Die Kostüme von Louise Flanagan welche an die Zeit der „Balletts Russes“ erinnern, entfalten eine eigene harmonische Wirkung. Die Schleier stehen symbolisch für die menschliche Fähigkeit, schlechte Erinnerungen zu verdrängen. So entsteht eine Choreografie, welche von sehr intimen Momenten bis zu Volkstänzen schöne Bilder lebt und dem Ensemble ansprechende Auftritte ermöglicht. Es ist jedoch für den Zuschauer nicht leicht nachvollziehbar, was die jeweiligen Bilder vermitteln wollen. Auf jeden Fall freut man sich über die tänzerischen Leistungen, welche vom Ensemble aber in erster Linie von den beiden Solisten Max Richter als „Human“ und Karen Azatyan als Him hervorragend und ausdrucksvoll getanzt werden.
Nach der Pause folgt ein Hauptwerk des international berühmten Choreographen Mats Ek, einer Persönlichkeit, welche durch ihren ganz eigenständigen Tanzstil weltweit großes Ansehen geniesst. Zu seinem 80. Geburtstag hat er gemeinsam mit dem Ballett Zürich seine im Jahre 1992 für das Cullberg Ballett geschaffene Choreografie „Carmen“ erarbeitet, welche zum ersten Mal in Zürich zu sehen ist. Während eines Monats haben er und seine Frau, die frühere Primaballerina Ana Laguna, die choreographische Einstudierung zusammen mit Rafi Sady erarbeitet.

Mats Ek lässt die Geschichte von Carmen in Form von Don Josés Rückblick auf das Geschehen angesichts seiner Hinrichtung revuemäßig passieren. Dazu hat er sich für die Musik des im August verstorbenen Komponisten Rodion Schtschedrin „Carmen Suite nach Bizet“ entschieden, welche sich wegen ihre eigenständigen Interpretation bestens für diese Choreografie eignet. Hier leuchten die berühmten Melodien in einem ganz anderen Licht auf. Was Mats Ek mit seinen genialen Einfällen für eindrückliche Szenen schafft, ist begeisternd. Man kommt aus dem staunen ob der tänzerischen Leistung des Ballett Zürich nicht mehr heraus. Hier ist Präzision auf die Spitze getrieben und wird von der Companie auf höchstem Niveau getanzt. Von der farbenfrohen Wirkung, mit wenigen Requisiten im Bühnenbild und den Kostümen von Marie-Louise Ekman und der großartigen Lichtgestaltung von Ellen Ruge, wird man geradezu verzaubert.
Die solistischen Leistungen beeindrucken einmal mehr. Nancy Osbaldeston als Carmen, Esteban Berlanga als Don José und Brandon Lawrence als Escamillo sind begeisternd. Shelby Williams als M…, einer mysteriösen Figur welche das bevorstehende Unheil vorausahnt, interpretiert diese mit großer Ausstrahlung.

Karen Azatyan als Hauptmann und Pablo Octávio als Dancaire, sowie die Tänzer/innen McKhayla Pettingill, Inna Bilash, Breanna Foad, Daniela Gómez Pérez, Sujung Lim, Caroline Perry, Sean Bates, Chandler Dalton, Marià Huguet, Erik Kim und Mlindi Kulashe zeigen erneut die hervorragende Qualität des Zürcher Ballett Ensembles.
Dass dieser Abend musikalisch auf ganz hohem Niveau stand, ist dem Dirigenten Matthew Rowe zu verdanken, der über eine langjährige Erfahrung mit Ballettproduktionen verfügt. Gemeinsam mit dem Orchester der Oper Zürich liess er die beiden Kompositionen zu einem absoluten Hörgenuss werden. Das Zusammenwirken von Musik und den Tänzern auf der Bühne war von grösster Präzision geprägt.
Die Wirkung, die das Ballettstück auf die Zuschauer ausgeübt hatte, zeigte sich am Ende der Aufführung am tosenden Applaus und Standing Ovation, die der Choreograph Mats Ek und alle Mitwirkenden entgegennehmen durften.
- Rezension von Marco Stücklin / Red. DAS OPERNMAGAZIN-CH
- Opernhaus Zürich / Stückeseite
- Titelfoto: Ballett Zürich/Oiseaux Rebelles(Carmen) Foto: Admill Kuyler