Zwischen Retro und Regietheater – „Le Nozze di Figaro“ in Oslo

Opernhaus Oslo/FIGARO/Foto@ Erik Berg, The Norwegian National Opera & Ballet.

Kurz nach der Eröffnung des neuen Opernhauses Oslo im Jahre 2008 fand sogleich die Premiere der womöglich ersten Kultproduktion der norwegischen Nationaloper statt: Mozarts „Le Nozze di Figaro“ steht wohlverdient im Repertoire als eine der wenigen Eigenproduktionen des norwegischen Opernhauses fast jede Saison erneut auf dem Spielplan. Üblicherweise werden an der Nationaloper Oslo lediglich Koproduktionen namhafter Regisseure mit anderen großen Opernhäusern aufgeführt. Obwohl mit „Figaros Bryllup“ auf den Plakaten in der Stadt beworben, sangen die Solisten glücklicherweise in der italienischen Originalsprache Mozarts. (Vorstellung am 8. September 2019

 

Der amerikanische Regisseur Thaddeus Strassberger zeigt in den ersten beiden Akten eine klassische, konservativ wirkende, Inszenierung auf einem prunkvoll ausgestatteten Barockschloss. Die Gräfin ist in prächtig geschmückten Gewändern gekleidet, Susanna standesgemäß als Kammerzofe mit Häubchen auf dem Kopf, die edlen Herren – so wie man es in einer historisch-inspirierten Opernproduktion erwarten darf – tragen eine Allongeperücke. Gleichermaßen nutzt Strassberger sämtliche technischen Kniffe der modernen Bühnen- und Lichttechnik. Das Schloss des Grafen Almaviva – szenenweise reduziert auf die einzelnen Türen als immer wiederkehrendes Element der Handlung im Figaro – befindet sich kontinuierlich in Bewegung. Das Labyrinth von Türen der verschachtelten Figurenkonstellation engt die Beziehung zwischen Susanna und ihrem Figaro geradezu ein, und lässt plötzlich und immer wieder den Grafen im Katz-und-Maus-Spiel die Romantik der beiden Liebenden unterbrechen. Die liebevoll ausgestalteten historisch-originalgetreuen Kostüme machen es dem Zuschauer nicht leicht, die komplexe und vielschichtige Handlung nachzuvollziehen, sehen sich die Sänger in ihren Gewändern – und gerade im doppelten Sinne bei den Kostümierungen des Pagen Cherubinos – oftmals zum Verwechseln ähnlich. Strassberger verzichtet auf Slapstick und nutzt in den hektischen Ensembleszenen den Humor nicht als Mittel zum Zweck, sondern raffiniert zur Unterstreichung der jeweiligen Personenkonstellationen untereinander.

Nach der Pause, im dritten Akt der Inszenierung, bricht die historische Kostümierung plötzlich auf und eine weitere Ebene der Handlung wird deutlich. Als Theater-auf-dem-Theater ist der erste Teil der Oper lediglich eine Unterhaltung für den Grafen und sein adliges Gefolge gewesen. Figaro, Susanna und selbst der Page, alle spielten sie mit! Und ab diesem Zeitpunkt führt der Regisseur selbstironisch den Opernbetrieb als Persiflage in all seinen Facetten und durch die gesamte Rezeptionsgeschichte des Figaros und der spanischen Gesellschaft vor, von Carmen bis zum Barbier von Sevilla! Der Zuschauer, welcher sich zu Beginn in einer historischen Produktion noch sicher fühlte, erhält im Finale der Oper den Spiegel vorgehalten.
„Alles, was an diesem Tage uns verwirrte, uns betrübte, kann allein die Liebe wandeln“ die Schlusszeile des Librettisten Da Ponte überträgt der Regisseur in ein Credo der Liebe zur Oper und zum Theater. Damit hat diese Produktion zurecht ihren Kultstatus im jungen Repertoire der Oper Norwegens errungen!

Opernhaus Oslo/FIGARO/Foto @ Erik Berg, The Norwegian National Opera & Ballet.

Stimmlich war diese Wiederaufnahme in allen Rollen erfreulich besetzt: Roberto Lorenzi als Figaro und Audun Iversen als Graf Almaviva überzeugten beide durch stimmlichen Wohlklang. Die Norwegerin Mari Eriksmoen, weltweit tätig und nicht Teil des Ensembles der Oper Oslo, ist ein gern gesehener Gast und stand als Susanna mit reinem, sauberem Klang und spielerischer Noblesse auf einer Stufe mit der Gräfin von Marita Sølberg. Ebenfalls Norwegerin, strahlte sie durch ihre Ruhe eine Kraft aus, mit der ihre Gräfin zur stärksten Person der Inszenierung heranwuchs.

Die junge, dritte norwegische Sopranistin im Bunde, Victoria Randem ließ in der kleinen Rolle der Barbarina plötzlich aufhorchen. Sehr klar, aber überraschend voluminös, erklang ihr „L’oh perduto“ zu Beginn des 4. Akts. Sie wird ab dieser Spielzeit als Mitglied im Opernstudio an der Staatsoper Berlin u. a. als Papagena zu erleben sein.

Der Dirigent Daniel Cohen wusste die ungewöhnliche Akustik des Opernhauses gut zu nutzen. Das Orchester klang im weit geöffneten Graben im Tutti mit wuchtigem, vollem Ton fast wie in einem Konzertsaal spielend, der sich von der trockenen Akustik mancher Opernhäuser positiv abhebte. Die lange Nachhallzeit des Hauses machte es den Sängern nicht immer leicht, jedoch ließ Cohen die Blechbläser höchstens im Mezzopiano aufspielen, so dass sich die Stimmen bei seinem vollen, romatisch-inspiriertem Streicherklang gut wahrnehmen ließen. Seine Tempi waren moderat und geradezu sängerfreundlich, die Basso Contunio Begleitung am Hammerklavier beschränkte er auf ein Minimum und passte sich in der Dynamik einfühlsam seinen Solisten an.

 

Kirsten Flagstadt/Gemälde/Flagstedt-Museum/Foto @ Alexandra Richter

Die Geschichte der Oper in Norwegen ist, gerade verglichen zu jenem Italien oder Schweden, sehr jung. Das erste und einzige feste Opernensemble des Landes wurde im Jahre 1957 von Kirsten Flagstad – Norwegens berühmtester Sopranistin und eine der bedeutensten dramatischen Wagnersängerinnen aller Zeiten – in Oslo gegründet. Auf dem Opernpatz der norwegischen Staatsoper, nach Kirsten Flagstad benannt, ist ihr zu Ehren eine Statue aufgestellt.

Die ersten 50 Jahre bespielte das Opernensemble Oslo das akustisch problematische und mit eingeschränkter Bühnentechnik ausgestattete Folketeateret in der Innenstadt. Erst vor etwa zehn Jahren konnte die Oper „Den Norske Opera & Ballett“ ihren Neubau am Hafen Oslo beziehen.

Architektonisch kann sich das eindrucksvolle Opernhaus mit der Elbphilharmonie messen lassen. Im Sinne einer Oper für das gesamte Volk Norwegens, ist das Dach als Aussichtsplatform begehbar ausgestaltet und das beeindruckende Foyer auch ohne Eintrittskarte zu besichtigen.

Oslo-Opera/Foto @ Alexandra Richter

Die Oper Oslos engagiert nur selten große Namen, vielmehr pflegt sie das Ensembletheater und lässt ihre Sängerinnen und Sänger über die Jahre mit ihren Rollen wachsen und verpflichtet ihre Gastsänger gleich zu mehreren Engagements in einer Spielzeit. Die Resultate sind erfreulich: Die Auslastungszahlen des anspruchsvollen Spielplans sind sehr gut und das musikalische Niveau ist hoch. Dabei bleiben die Eintrittskarten äußerst erschwinglich, so dass sich auch immer wieder neue Publikumsgruppen von der Kunst der Oper begeistern lassen. In Norwegen gilt die Oper oder das klassische Konzert nicht als elitär! Das Publikum ist mit vielen jungen Menschen und Familien äußerst gemischt und leger gekleidet.

Ein Highlight der kommenden Spielzeit werden sicherlich Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ im Frühjahr 2020 werden. Dieses Werk wurde in Norwegen zuletzt – mit Kirsten Flagstad in der Rolle der Eva – vor fast einhundert Jahren aufgeführt.

Kirsten Flagstadt-Museum/ Foto @ Alexandra Richter

Etwa eine Stunde mit dem Zug nördlich Oslos, am größten See Norwegens gelegen, steht in der beschaulichen Kleinstadt Hamar das Geburtshaus von Kirsten Flagstad. Heute ist in diesem, dem ältesten Haus der Stadt, ihr zu Ehren ein Museum eingezogen. Die Museumsdirektorin Annika Asen ist selbst eine große Wagnerianerin und gibt jedem Besucher eine private Führung durch das Museum. In den Räumlichkeiten sind Plakate, Zeitungsberichte und Kostüme der wohl bedeutendsten dramatischen Sopranistin aller Zeiten ausgestellt.

 

 

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