Pech im Spiel, Unglück in der Liebe: „Pique Dame“ an der Bayerischen Staatsoper

Bayer. Staatsoper München/PIQUE DAME -2024-/ Foto © Wilfried Hösl

Lisa, die Gangsterbraut: In seiner Neuinszenierung von „Pique Dame“ verlegt Regisseur Benedict Andrews Tschaikowskys Geschichte von Liebe, Spiel und Besessenheit in die gesetzeslose Unterwelt. Ein Ansatz, der viel verspricht. Doch entsteht in dieser Inszenierung so viel Leerlauf, dass selbst Bühnenurgewalt Asmik Grigorian ihre Probleme hat darstellerisch zu glänzen. (Besuchte Vorstellung am 10. Februar 2024)

 

 

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, so weiß der Volksmund. Möglicherweise sollte man auch eine Operninszenierung nicht vor ihrem Ende verschreien. Denn tatsächlich schafft Benedict Andrews gen Ausgang des dritten Aktes von „Pique Dame“, der innerhalb von 44 Tagen geschriebenen Oper von Piotr Tschaikowsky mit einem Libretto von Bruder Modest basierend auf Alexander Puschkins Novelle, einige eindrückliche Szenen und kluge Momente der Personenführung, doch am Ende kann das nicht über die Längen und fragenhinterlassende Lücken der Inszenierung hinwegtäuschen.

Es ist finster in der Welt, in der Hermann und Lisa leben. Kein zaristischer Glanz oder zumindest überdeckende Vergoldung weit und breit. Er ein Handlanger der Mafiosi, sie die Trophäe des Gangsterbosses. Schwarz ist die Bühne und verraucht; Menschen erscheinen aus der Dunkelheit, verschwinden wieder. Fast könnten die Zuschauer:innen denken, sie hätten sich in einen Martin-Scorcese-Film verirrt, ein machobehaftetes Gangsterdrama irgendwo zwischen „Taxidriver“ und „Goodfellas“. Eine Bühne in Film-Noir-Optik (von Rufus Didwiszus), zumeist fast leergeräumt mit verortenden Akzenten im Hintergrund, ihre Weite scheinbar die Einsamkeit der Charaktere reflektierend. Manchmal – wenn Hermann (Brandon Jovanovich) und Lisa (Asmik Grigorian) sich gen Finale auf einer bogenlaternenbeleuchtenden scheinbar endlosen Straße treffen oder ein halbes Dutzend Doppelgängerinnen das Schlafzimmer der Gräfin (Violeta Urmana) bevölkern, um Hermanns Wahnsinn zu betonen – funktioniert das auf eindrucksstarke Weise, doch allzu häufig fällt die Inszenierung auf reines Rampensingen am Bühnenrand zurück.

So wird Hermann zu einem gegen scheinbar alles wetternden Rebell ohne wahre Überzeugung, der ein gefühltes dutzend Mal die Waffe zieht, um ziellos mit ihr herumzufuchteln. Und Lisa? Sie bleibt schemenhaft im trockeneisvernebelten Bühnendunkel zurück. Während Jovanovich sich darstellerisch in die Rolle des verrückt und verrückter werdenden Hermanns wirft, in manchen Momenten fast karikaturesk wirkt, scheint Grigorian mit dieser Nicht-Version der Lisa zu hadern. Bekannt als nimmermüde Sängerdarstellerin darf sich Grigorian hier einige Male am Bühnenrand selbstumarmend fast verknoten, doch wird bis zum Ende nicht wirklich greifbar, wer diese junge Frau eigentlich sein soll.

Selbst im begleitenden Programmbuch erklärt der Regisseur gleich mehrfach seine Vision für Hermann, den Einzelgänger und ewig getretenen Hund, doch die Frau seiner Begierde und Schlüssel zum erhofften Glück im Spiel bleibt blass. Da helfen auch die ständig wechselnden wahlweise farbenfrohen oder glitzernden Kleider nicht, in denen Grigorian in jedem neuen Bild auftreten darf. Das ist schade, denn gerade in der Nachbetrachtung fällt auf, wie viel Potenzial in Andrews Grundidee steckt. Die Innenansicht eines Wahnsinnigen, eine Frau in Rebellion gegen eine noch wahnsinnigere Welt – der Stoff für große Inszenierungen. Stattdessen ergibt sich in dieser „Pique Dame“ über lange Strecken eine Stehparty mit großen Stimmen.

Bayer. Staatsoper München/PIQUE DAME -2024-/A. Grigorian/Foto © Wilfried Hösl

Allen voran ist dabei Asmik Grigorian zu nennen, die geschmeidig-stark mit glänzendem Sopran zu begeistern weiß. Sehr fein ist ihre stimmliche Interpretation der Lisa, auch wenn sie ihre darstellerischen Fähigkeiten aufgrund des fehlenden Materials nicht ausspielen kann. Besonderen Applaus erntet auch Boris Pinkhasovich, dessen schwebend-schmachtende aber niemals überzogene Arie des Fürsten Jelezki fast wie eine Antithese zur dunklen Welt der Inszenierung wirkt und zu einem der emotionalen Höhepunkte des Abends wird. Brandon Jovanovich, vor der Premiere erkrankt, schien noch mit den Nachwirkungen dieser Erkrankung zu kämpfen, setzt aber stimmlich so manch glänzenden Akzent. Roman Burdenko als expressiv-extrovertierter Tomski, Victoria Karkacheva als jugendlich-wohlklingende Polina und Violeta Urmana als vielschichtige Gräfin komplettieren das Ensemble. Hinzu gesellt sich der stimmgewaltige Chor der Bayerischen Staatsoper.

Dirigent Aziz Shokhakimov erweist sich währenddessen als rücksichtsvoller Begleiter von Solist:innen und Chor. Etwas zahm wirkt das in so manchem Gesangsmoment, erst in den orchestralen Stellen lässt Shokhakimov das Bayerische Staatsorchester im positiven Sinne von der Leine. In der Ouvertüre beginnt er gedämpft-hinterfragend, ehe er fein nachschärft, um sanfte Steigerungen zu gestalten. Besonders eindrücklich gelingt dem Dirigenten die Gestaltung des Endes des ersten Satzes, in dem das Orchester positiv aufgepeitscht nachwirkende Akzente setzt.

Bayer. Staatsoper München/PIQUE DAME -2024-/A. Grigorian, B. Jovanovich/Foto © Wilfried Hösl

Und wie ist es nun mit dem Lob und dem Verschreien? Am Ende bleibt der Eindruck eines durchwachsenen Abends an der Bayerischen Staatsoper zurück. Einige großartige Stimmen, viele sehr gute gesangliche Auftritte, ein in der Begleitung etwas zu zutrauliches Dirigat und eine Inszenierung, die teils mehr Fragen hinterlässt als sie beantwortet – und das nicht auf eine nachdenklich machende Art und Weise. Welche Beweggründe hat Lisa? Kehrt Hermanns „Engel“ nach seinem Tod als wahrhaftiger Engel zurück oder ist sie einfach nie gestorben? Und warum tötet Hermann eigentlich eine Doppelgängerin der Gräfin im übergroßen Schlafzimmerpool? Wenn Andrews für die Zuschauer:innen eine ähnlich sinnlos-verständnisschwere Welt wie das Innenleben des Hermann zeichnen wollte, dann ist das zumindest gelungen.

 

 

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