Bildstark inszeniert und perfekt musiziert: Mozarts „Idomeneo“ in der Oper Köln

Oper Köln/IDOMENEO/Kathrin Zukowski, Anna Lucia Richter/Foto © Sandra Then

„Amor vincit omnia“ – die Liebe besiegt alles! Das ist mein Eindruck von dieser akribisch durchchoreographierten und perfekt musizierten Aufführung von Mozarts Frühwerk „Idomeneo“, in dem er die Ablösung der alten Götter durch den Geist der Aufklärung und des Friedens komponiert und die Barockoper in eine neue Dimension hebt. Mozart hat schon mit 25 ein Meisterwerk geschaffen, bei dem in den Arien und Ensembles Stimmen und Instrumente auf einzigartige Weise verschmelzen. (Rezension der Premiere v. 17. Februar 2024)

 

 

Floris Visser, prominenter Vertreter einer neuen Generation von Opernregisseuren, überträgt den Mythos aus der Zeit des trojanischen Krieges, der mehr als 3.000 Jahre zurückliegt, in die zeitlose Gegenwart und bebildert sie opulent, um nicht zu sagen, beängstigend. Das beginnt schon in der Rahmenhandlung, wenn der alte traumatisierte Idomeneo in einer Gummizelle Strichmännchen mit Dreizack als Neptun, das Bild seiner Psychose, an die Wand malt. Die Wände der Zelle weichen, und man blickt auf ein kretisches Felsmassiv (Bühne: Frank Philipp Schlössmann). Dort weht die griechische Fahne, davor jede Menge Säcke mit Leichen, die weggetragen werden. „Das Trauma“, verkörpert vom wild geschminkten Statisten Daniel Carradine mit einer großen Axt ist allgegenwärtig, und auch der alte, verwirrte Idomeneo, der Statist Peter Bermes, im weißen Nachthemd, ist als Zeuge fast ständig auf der Bühne. Die Rahmenhandlung stellt Distanz zur Handlung her, denn so man kann sich vorstellen, dass die Handlung nur eine Vision des wahnsinnig gewordenen Idomeneo ist. Visser hat nach dem eigentlichen Ende der gesungenen Oper noch Ballettmusik Mozarts zu „Idomeneo“ angefügt und die Rahmenhandlung zu Ende erzählt (Choreographie: Pim Veulings). Idamante und Ilia besuchen Idomeneo mit ihrem Sohn in der Klinik und setzen ihn am endgültigen Ende in Ehren bei.

Oper Köln/IDOMENEO/Foto © Sandra Then

Mitunter verwirrt allerdings die Fülle der Bilder. So geht zum Beispiel der junge Idomeneo mit seinem Sohn Idamante am selben Strand schwimmen, an dem sie sich zehn Jahre später nach seiner Rückkehr treffen. Da muss man schon sehr mit der Handlung vertraut sein, um diese Szene einzuordnen. Die Personenführung ist jedoch in jedem Takt durchchoreographiert, schon deshalb, weil sich die Protagonisten auf dem zerklüfteten Felsmassiv sicher bewegen müssen, und ihre Körpersprache ist ungeheuer ausdrucksstark.

Die Vorstellung dauert mehr als dreieinhalb Stunden, die Pause ist erst nach zwei Stunden. Einige Zuschauer sind in der Pause gegangen und haben das Beste verpasst, nämlich den dritten Akt, beginnend mit Ilias Arie „Zeffiretti lusinghieri“ und dem Liebesduett „S´io non moro a questi accenti“, und die Auflösung des Konflikts. Das mag daran liegen, dass die Nummern der Oper, die vor Idomeneos Ankunft spielen, sehr sopranlastig sind, und dass das wahre Drama erst mit seiner Ankunft beginnt. Andererseits kann man so die Personenkonstellation besser verstehen. Ilia, Tochter des trojanischen Königs Priamos und Elettra, Tochter des griechischen Königs Agamemnon, landen mit einer Gruppe Kriegsgefangener auf Kreta.  Idomeneo, der kretische König, ist verschollen, man glaubt ihn tot, und Idamante, sein Sohn, amnestiert die Kriegsgefangenen und verliebt sich in Ilia. Elettra ist erzürnt, will sie doch Königin auf Kreta werden. Klassische Konstellation: der Mann zwischen zwei Frauen.

»Idomeneo« schildert die Geschichte des traumatisierten Kriegsheimkehrers Idomeneo, König von Kreta, der in Seenot Neptun, dem Gott des Meeres, gelobt hat, den ersten Menschen zu opfern, dem er bei seiner Rückkehr begegnet, und das ist sein Sohn Idamante. Der tragische Konflikt besteht darin, dass er zu spät erkennt, dass diese Höherwertung des eigenen Lebens gegenüber einem anderen das zentrale Problem ist. Idomeneo singt zwar „Ungerechte Götter, schreckliche Opferung!“, aber er nutzt Finten und Tricks, um sich aus der tragischen Situation herauszuwinden. So verheiratet er den widerstrebenden Idamante mit Elettra und will ihn außer Landes schicken. Erst, als er merkt, dass er das Opfer Idamantes, der bereit ist, sein Leben für den Vater hinzugeben, nicht annehmen kann, und Ilia sich für Idamante opfern will, erklingt als Lieto fine die Stimme des Orakels, die seine Abdankung fordert und Ilia und Idamante als neues Herrscherpaar einsetzt. Amor vincit omnia! Idomeneo überlebt in geistiger Umnachtung. Das Verdienst des Regisseurs ist, dass er die Handlung in die Gegenwart holt und trotzdem plausibel macht, dass sich Idomeneo verpflichtet fühlt, seinen Schwur zu erfüllen, den ja auch sein Berater Arbace und der Gran Sacerdote ernst nehmen.

Ein großes Lob gebührt dem Chor der Oper Köln, der unter der Leitung von Rustam Samedov Kriegsgefangene in orangefarbenen Overalls, Soldaten in Felduniform und das Volk verkörpert und die dramatische Wucht der Kriegswirren darstellt. Das vor der Bühne platzierte Gürzenich-Orchester spielt auf modernen Instrumenten einen filigranen Mozartklang mit dramatischen Effekten unter der einfühlsamen Leitung von Rubén DubrowskyBradley Wood begleitet die Rezitative am Hammerflügel.

Die Kostüme (Gideon Davey) sind zeitlos stilisiert – Idomeneo in Kampfuniform, später in Ausgehuniform, mit Kopfverband, der Gran Sacerdote mit Priesterkragen, Ilia in schlichtem Schwarz – und stellen die soziale Position der Personen dar.

Mozarts große Choroper ist eine Studie über eine auseinandergeborstene Weltordnung, in der Naturgewalten und Kriege unter großen Entbehrungen überstanden werden müssen. Die alte Generation, verkörpert durch Idomeneo, muss abtreten, um den Hoffnungsträgern, der Trojanerin Ilia und dem Kreter Idamante Platz zu machen, die nach zehn Jahren Krieg die Feindschaft ihrer Völker überwinden und den Hass begraben. Die am Schluss neben der griechischen Flagge aufgehängte türkische Fahne ist dafür ein starkes Bild.

Oper Köln/IDOMENEO/Anna Lucia Richter, Kathrin Zukowski, Sebastian Kohlhepp/Foto © Sandra Then

Es ist eine überragende Ensembleleistung mit Rollendebuts in den vier Hauptpartien, die alle sängerische und schauspielerische Spitzenleistungen zeigen, angefangen mit Sebastian Kohlhepp als Idomeneo, der die endlosen Koloraturen der Partie mit seinem erlesenen Tenor souverän meistert und auch schauspielerisch die Gefühle des gescheiterten Monarchen, der sich mit seinem Schwur selbst in die tragische Situation gebracht hat, seinen geliebten Sohn opfern zu müssen, deutlich macht.

Kathrin Zukowski als Ilia, die bereit ist, ihr eigenes Leben für ihren geliebten Idamante hinzugeben, bezaubert auch hier wieder durch besonders filigrane und erlesene Verzierungen. Ihre Stimme trägt auch im zartesten Piano.  Perfekt harmoniert sie mit Anna Lucia Richter in der Hosenrolle des Idamante. Bei den Liebesduetten der beiden bleibt die Welt stehen. Ana Maria Labin ist Elettra, die exaltierte Tochter des Agamemnon, die eigentlich auf eine Hochzeit mit Idomeneo spekuliert, aber ohne weiteres Idamante heiratet, als ihr das von Idomeneo angetragen wird. Als mitten im Opferungsritual aus dem Off das Orakel Idomeneo entlastet und ihm auferlegt, die Herrschaft in die Hände seines Sohnes und Ilias zu legen, stürzt sie sich mit der Bravourarie: „D´Oreste, d´Ajace“ in die Fluten des Meers. Das Orakel (Lucas Singer) und der Priester (John Heuzenroeder) sind aus dem Ensemble opulent besetzt, und Anicio Zorzi Giustiniani gibt einen wendigen Arbace.

„Idomeneo“ steht noch in der Tradition der Opern Händels, ist aber wegen seiner dramatischen Chorszenen und des zentralen Konflikts heute noch relevant. Während in der literarischen Vorlage: „Abenteuer des Telemach“ von Francois de Salignac de la Mothe-Fénelon, (1651-1715) der König seinen Sohn tatsächlich opfert und sich dem Volkszorn nur durch Flucht entziehen kann, finden Mozart und sein Librettist Varesco die bessere Lösung: Als Ilia sich bereit erklärt, sich selbst aus Liebe für Idamante zu opfern, spricht das Orakel als „Deus ex Machina“. Es ist ein typisches „Lieto fine“, das zur Barockoper gehört, aber ganz im Sinne des aufgeklärten Humanisten Mozart. „Idomeneo“ ist ein spannendes Lehrstück realistischer Friedenspolitik mit der anspruchsvollen Musik Mozarts, die noch mehr aussagt als das Libretto. Ein großer Opernabend für Mozartfreunde!

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Köln / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Köln/IDOMENEO/Sebastian Kohlhepp/Foto © Sandra Then
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