Am zweiten Advent (06.12.2020 um 18 Uhr) brachte die Oper Leipzig eine kleine Nikolausüberraschung für ihr Publikum, die Live-Übertragung der auf eineinhalb Stunden gekürzten Premiere des Dramma lirico in vier Teilen „Il trovatore“ von Giuseppe Verdi, nach einem Text von Salvadore Cammarano und Leone Emmanuele Bardare nach „El trovador“ von Antonio Garcia Gutiérrez, in italienischer Sprache mit deutschen Untertiteln.
Im ersten Akt rächt Azucena den Tod ihrer Mutter mit dem Raub des Grafensohnes, den sie töten will, verbrennt aber versehentlich den eigenen Sohn. Eine verstrickte Liebesgeschichte um eine Frau mit tödlichem Ausgang entbrennt: Leonore liebt den Troubadour Manrico, aber Graf Luna liebt Leonore. Es kommt zur Verwechslung der Liebhaber: Leonore wirft sich versehentlich in Graf Lunas Arme. Folge ist ein Kampf der Kontrahenten, in dem Manrico Graf Luna besiegt, aber nicht tötet. Im zweiten Akt erfährt Manrico von seiner vermeintlichen Mutter Azucena, deren Geheimnis. Auf dem Schlachtfeld kämpft Manrico gegen Luna und vernimmt, dass Leonore glaube, er sei längst gestorben und nun ins Kloster wolle. Graf Luna will Leonore entführen, doch wird dies von Manrico vereitelt. Im dritten Akt wird Azucena von Graf Luna gefangengenommen, Manrico will sie retten, doch auch er wird festgehalten. Im vierten Akt bittet Leonore Graf Luna um Gnade für Manrico und Azucena. Als Luna ihre Hingabe als Gegenleistung verlangt, trinkt Leonore Gift. Als sie Manrico befreien will, erkennt Graf Luna ihr Liebesopfer und lässt Manrico hinrichten. Nach vollendetem Mord erfährt er von Azucena, dass Manrico sein Bruder war.
Das Orchester unter Federführung von Antonino Fogliani saß zur Einhaltung der pandemiebedingten Abstände auf der Bühne, hinter den Solisten, was den beschwingt-dramatischen Klang des homogen muszierenden Gewandhausorchesters nicht beeinflusste. Das spärliche schwarze Bühnenbild (Bühne: Markus Meyer) zeigte einen schwarzen Müllhaufen als Scheiterhaufen mit Absperrband. Nach der schwungvoll-akzentuierten Ouvertüre, erklang der Chor aus dem Off „All’erta, all’erta!“, hervorragend interpretiert vom Opernchor Leipzig (Choreinstudierung: Thomas Eitler-de Lint). Die russische Mezzosopranistin Marina Prudenskaya, seit 2013 Ensemblemitglied der Berliner Staatsoper, als Zigeunerin Azucena, zerriss im roten Mantel (Kostüme: Sven Bindseil) das Absperrband, klagte mit dunklem, warm-herbem Mezzosopran, voller Dramatik, in carmenhaft voluminösen Klängen, ihre Vorgeschichte. Eine Statistin mit Maske verdeutlichte das Gesungene als Mutter der Azucena in rotem Kleid auf dem Scheiterhaufen. Mezzosopranistin Sandra Maxheimer als Inez, seit 2015/16 Ensemblemitglied, in weißem Hemd mit schwarzem Binder und schwarzer Hose interagierte mit der italienischen Sopranistin Roberta Mantegna als Leonore, Gräfin von Sargasto und Dame des Palastes, im schwarzen Kleid.
Roberta Mantegna sang zart, dunkel und warm nach vorne, leider ohne großen szenischen oder mimischen Ausdruck, der insgesamt allen Interpreten fehlte. Leonore gestand in ihrer Cavatine „Tacea la notte placida“ ihre Liebe zum Troubadour Manrico, gesungen voll liebender Empfindung, mit tadellosen Koloraturen, während Azucena liebevoll mit dem Schädel des toten Knaben spielt und zwei Männer, wohl Engel, mit Flügeln gegeneinander kämpfen. Der uruguayische Bariton Alvaro Zambrano als Graf Luna im schwarzen Mantel mit silbernem Muster, singt eindrucksvoll um Leonore werbend mit voluminöser, kerniger Stimme von großer Tiefe. Der uruguayische Tenor Gaston Rivero als Manrico offenbart in seiner Romanze „Deserto sulla terra“, in brillantem Legato seine leuchtende Klangfarbe. Im Terzett „Qual voce! … Ah, dalle tenebre“ von Manrico, Graf Luna und Leonore, erkennt Leonore die vorangegangene Verwechslung ihres Liebsten, durch die sich die beiden Männer eifersüchtig gegenübertreten, während Leonore in der Mitte versucht, die mit Schwertern Kämpfenden zu beschwichtigen. Manrico besiegt Graf Luna, lässt ihn aber leben. Prudenskaya als Azucena berichtete ihrem vermeintlichen Sohn Manrico langsam und dramatisch ihre Vorgeschichte, in warmer dunkler Tiefe, doch mit vom Singen angestrengter Mimik. Wieder taucht die Statistin im roten Kleid, die Mutter verkörpernd, mit schwarzer Puppe auf und wirft das Kind auf den vermeintlichen Scheiterhaufen, den schwarzen „Müllberg“. An die Wand wird ein Kindergesicht, während Azucenas dramatischem Ausbruch, projiziert, die nahe am Wahnsinn „Mi vendica! Mi vendica!“, also „Räche mich“, in Erinnerung an die Bitte ihrer Mutter herausschleudert, den Totenkopf, möglicherweise den Kopf ihrer Mutter symbolisierend, umfassend. Manrico ist entgeistert, voll entsetzter Blicke. Ein Bote führt Manrico in den Krieg, seine vermeintliche Mutter Azucena will ihn nicht ziehen lassen. Während der koreanische Bass Sejong Chang, seit 2012/13 Ensemblemitglied, als Ferrando und Graf Luna im zweiten Bild des zweiten Aktes interagieren, schiebt Azucena einen Kinderwagen über die Bühne, als erneute Anspielung auf das getötete Baby. Eine Statistin mit Maske, Skeletthandschuhen und Totenschädel schreitet vorüber. „Ardita, e qual furente amore“ von Graf Luna tönt intensiv, voller Stimmgewalt. Der Nonnenchor „Ah! se l’error t’ingombra“, gesungen von den Frauen des Opernchors, erklingt homogen aus dem Off. Inez bringt Leonore ein Kissen, damit sie darauf knien kann und legt einen weißen Brautschleier um sie, deren „O dolci amiche“ und „E deggio e posso crederlo?“ mit hoher, warmer Sopranstimme innig vorgetragen wird. Dazu treten Manrico, Graf Luna und Inez, ein Quartett von völligem Wohlklang, in gutem Zusammenklang der Stimmen. Manrico nimmt sein Schwert, Graf Luna steht auf dem schwarzen Müllberg, auf dem die Reichsinsignien prangen. Im dritten Akt herrscht zwischen Leonore und Manrico düstere Stimmung, wobei Rivero als Manrico teilweise etwas angestrengt in der Höhe klingt.
Zu „Amor, sublime amore“ nimmt Manrico mit großer Stimmgewalt und gewaltigem Atemvolumen, an Pavarotti erinnernd, ein Kinderbild zur Hand. Azucena wird festgenommen, Manrico mit Schwert, sich stimmlich mühelos gegen das Orchester durchsetzend, den Mantel anziehend, will sie mit „Ah, vili! Il rio spettacolo“ retten. Der Opernchor mit „All’armi! All’armi!“ zeigt eine ausgezeichnete musikalische Qualität. Zwei Tote liegen auf der Bühne. Leonore erscheint mit Tenor Alvaro Zambrano als Vertrautem Manricos, Ruiz, seit 2019/20 Ensemblemitglied, und will Manrico befreien, in „Vanne… lasciami“ beweist Mantegna eine sanfte, zarte Höhe und gibt ihren Emotionen gefühlvoll nuancierend Ausdruck. Zwei Statisten mit silbern-glänzendem Mundschutz streicheln die Engelflügel. Die Mönche, die Herren des Opernchors, brillieren hinter der Bühne mit „Miserere d’un’alma già vicina“, woraufhin Leonore mit „Quel suon, quelle preci“ mit akzentuierter Orchesterbegleitung einfällt, ein Sarg in der Bühnenmitte. Manrico sitzt auf einem Hochstand, eine schwarze Puppe mit weißem Schleier erscheint. Leonore legt den weißen Schleier über den Sarg und fällt darauf nieder. Im vierten Akt will Graf Luna seinen Rivalen Manrico töten, sein voluminöser Bariton vereint sich mit Leonore im Duett. Im Hintergrund wird eine weiße Gräberwand, weiß als Farbe der Unschuld, sichtbar. Leonore bittet um Graf Lunas Gnade, dieser öffnet den Sarg mit der Gewissheit, dass die Rache umso größer ist, je mehr sie ihn liebt. Leonore bietet sich als Liebesopfer an, um Manrico zu retten, als Graf Luna der Bitte nachkommt, nimmt Leonore jubelnd Gift. Die Mäntel fallen sinnbildlich zu Boden. Dann erscheinen Azucena, die in ihrer Vision bald wahnsinnig wird vor Angst, und Manrico, der sie beruhigt, im Kerker. Wieder läuft eine Statistin mit schwarzer Babypuppe über die Bühne. Azucena legt sich in den geöffneten Sarg, eine Statistin setzt sich als Mutter mit der schwarzen Babypuppe an den Sargrand. Als Leonore Manrico retten will, kommt sein Misstrauen durch, bis Leonore stirbt und sterbend berichtet, was ihr geschehen ist. Das Missverständnis klärt sich auf, doch Graf Luna hat alles belauscht, so lässt er, wiederum aus verletztem Stolz, Manrico hinrichten. Als Azucena hinzutritt ist Manrico bereits tot. Sie berichtet Graf Luna, dass Manrico sein Bruder war, ihre Rache ist geglückt.
Die Inszenierung von Jakob Peters-Messer, sofern man wegen äußerst geringer Interaktion und Mimik, nicht eher von konzertanter szenischer Aufführung sprechen sollte, war durch eine fast leere Bühne und wenig Darstellungskraft geprägt. Meist wurden die Ausschnitte der Oper so gewählt, dass jeweils ein Solist auf der Bühne war, wobei im Falle mehrerer Solisten versucht wurde, die Abstände, durch die Kameraeinblendungen der Videoübertragung zu überbrücken, was ausgezeichnet gelang. Die schwarze Kleidung der Mitwirkenden war im schwarzen Bühnenbild mehr als suboptimal, da sich die Solisten kaum vom Hintergrund abhoben. Eine musikalisch ausgezeichnete Premiere, mit hervorragenden Leistungen von Roberta Mantegna und Gaston Rivero sowie, trotz einiger merklicher Anstrengung, Marina Prudenskaya.
Schade, dass diese großartigen Leistungen nicht durch Applaus gekrönt werden konnten, doch wird das hoffentlich bald, wenn die Theater wieder öffnen dürfen, nachgeholt werden.
- Rezension von Dr. Claudia Behn / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Oper Leipzig / Stückeseite
- Titelfoto: Oper Leipzig/Il trovatore/M. Prudenkaya, Gaston Rivero/ (c) Oper Leipzig/ Kirsten Nijhof
Ich verstehe nicht, wieso auf der Website der Oper Leipzig als Conte di Luna Dario Solari genannt wird, dieser bei Ihnen gar nicht vorkommt. Vielmehr lassen Sie Alvaro Zambrano mal als Ruiz = Tenor und mal als Luna = Bariton singen.
Im Übrigen fand ich die Aufführung sängerisch sehr gut (Roberta Mantegna eine Entdeckung) – ausser der sonst geschätzten, hier aber unzulänglichen Marina Prudenskaya.