Nabucco – große Oper auf der Festung Ehrenbreitstein

Theater Koblenz/NABUCCO/Ensemble/B. Everink/Foto @ Matthias Baus 

Mit dieser Inszenierung von Verdis Oper Nabucco steht die Festung Ehrenbreitstein in einer Reihe mit der Arena von Verona und den Bregenzer Seefestspielen. Intendant Markus Dietze nutzt mit einem klugen Hygienekonzept die Möglichkeiten der Location und präsentiert ganz große Oper. (Rezension der besuchten Vorstellung v. 11.7.2020)

 

„Weil wir als Theater kulturelle Daseinsvorsorge betreiben und nicht zu unserem Privatvergnügen spielen, haben wir die Pflicht, alles so lange zu tun, wie es rechtlich möglich und künstlerisch sinnvoll ist,“ so der Intendant im Interview mit Margot Weber im Theaterblog.

Er hat die Herausforderung angenommen und die Möglichkeiten der riesigen Spielstätte auf der Festung Ehrenbreitstein genutzt. Es gibt einen hervorragenden großen Chor (Choreinstudierung Aki Schmitt), und es gibt ein richtiges Opernorchester, das zwar von 60 auf 39 Musiker reduziert ist, aber unter der musikalischen Leitung von Mino Marani hinter der Bühne Funken aus Verdis Partitur schlägt. Der Chor singt von der Mauer hoch über den Zuschauerreihen, auf der Bühne agieren die Solisten natürlich ohne und Statisten mit Mundschutz szenisch. Das Orchester wird, ebenso wie Chor und Solisten, elektronisch verstärkt. Der Sound kommt aus riesigen Lautsprechern rechts und links von der Bühne.

„Dass ‚Nabucco‘ trotz Corona stattfinden kann liegt zum Großteil daran, dass wir mit der Festung Ehrenbreitstein eine unfassbar gut geeignete Location haben. Nur deshalb können wir spielen. Die extreme Weitläufigkeit dieser Anlage ist unser großes Glück. Wir haben sowohl Backstage als auch im Zuschauerbereich riesige Flächen zur Verfügung. Es gibt unzählige Eingänge. Außerdem finden dort, wo unsere Bühne steht, oft Veranstaltungen für zwei- bis fünftausend Menschen statt. Da haben die 350, die uns besuchen dürfen, wirklich ausreichend Platz“, so Intendant Markus Dietze.

Theater Koblenz/NABUCCO/Ensemble/ Foto @ Matthias Baus

Regisseurin Anja Nicklich hat ein Corona-taugliches Regiekonzept entwickelt, das den Darstellern ermöglicht, den Mindestabstand von zwei Metern auf der Bühne einzuhalten. So entstehen lebende Bilder, bei denen zum Beispiel die gefangene Fenena nicht festgehalten, sondern an einem Seil geführt wird. Vieles muss mit ausladenden Armbewegungen ausgedrückt werden. Aber man hat den Eindruck, dass es von Vorteil ist, dass sich die Regisseurin auf die Körpersprache der Statisten und vor allem der hervorragenden Solisten konzentrieren kann und nicht noch 60 Chorsänger positionieren muss.

Bühnen- und Kostümbildnerin Antonia Mautner Markhof hat auf einer großen Treppenanlage mit wenigen suggestiven Requisiten, zum Beispiel mit der umstrittenen Krone, einem toten Pferd und einem Königsthron und mit aussagekräftigen Kostümen, die mit Kleidern aus der Entstehungszeit, aber auch mit Gewändern aus der vorchristlichen Zeit keinen Zweifel daran lassen, wer welche Position bekleidet und wer entmachtet und wer wahnsinnig wird, eine auch für Nichtkenner der Oper verständliche Form gefunden. Sehr hilfreich ist auch, dass auf den Plätzen ganz großartig bebilderte Programmhefte ausgelegt sind, in der die Handlung und die historischen Hintergründe dargestellt sind. Außerdem werden gut lesbare Übertitel eingeblendet. Die Inszenierung trägt der Tatsache Rechnung, dass auch Besucher auf die Festung Ehrenbreitstein kommen, die sonst eher wenig Opern sehen. Schon die Ouvertüre ist bebildert mit der Vorgeschichte, die von Statisten szenisch umgesetzt wird.

Die großen Umzüge, die auf Freiluftbühnen mit Riesenchor szenisch Eindruck machen, gehen um die Zuschauerreihen herum und nutzen das weitläufige Gelände, denn die Bühne ist relativ klein.

„Nabucco“ ist der erste richtig große Publikumserfolg Giuseppe Verdis, die Uraufführung war am 9. März 1842 in Mailand. Danach wurde die Oper europaweit gespielt. Im Rahmen der Verdi-Renaissance der 1920-er Jahre wurde sie eine der am häufigsten gespielten Verdi-Opern, da sie mit ihren gewaltigen Chören, großen dramatischen Konflikten und der relativ eingängigen Melodik eine hochgradig emotionalisierende Kraft entfaltet.

Der Chor der geknechteten Hebräer: „Va, pensiero, sull’ ali dorate”, steht bis heute im Rang einer inoffiziellen Nationalhymne Italiens, er wurde spätestens 1878 zum Bekenntnis Verdis zum Risorgimento, zur nationalen Einheit Italiens, stilisiert. Die zahlreichen anspruchsvollen Chöre werden nicht nur dazu genutzt, um Lokalkolorit zu erzeugen, sondern auch, um die Handlung voran zu treiben. „Nabucco“ ist eine Nummernoper, die Arien und Ensembles mit Einwürfen des Chors dramatisch steigert und gesanglich und darstellerisch höchste Anforderungen an Chor und Solisten stellt. Folgerichtig enden die Szenen alle mit großem Beifall, obwohl nur 350 Zuschauer zugelassen sind.

Der babylonische König Nabucco hat 587 vor Christus Jerusalem erobert. Doch die Hebräer unter Führung ihres Hohepriesters Zaccaria sind zum Widerstand entschlossen, zumal sie Nabuccos jüngere Tochter Fenena als Geisel in ihrer Hand haben. Fenena jedoch wird von Ismaele beschützt, einem Hebräer, der sie liebt, seit diese ihn aus babylonischer Gefangenschaft befreit hat.

Abigaille, die ältere, aber von einer Sklavin abstammende Tochter Nabuccos, ist die aktive Gestalt des Dramas. Ismaele, der junge Hebräer, hat sie abgewiesen und liebt stattdessen ihre Halbschwester Fenena. Und Nabucco bevorzugt die jüngere Fenena, weil sie seine legitime Tochter ist.

Theater Koblenz/NABUCCO/B.Everink u. G. Mouhlen/ Foto @ Matthias Baus

Abigaille schwört der Schwester, dem Vater und allen Hebräern mit halsbrecherischen Koloraturen, Intervallsprüngen und Spitzentönen Rache. Gabrielle Mouhlen bleibt dieser großen Partie nichts schuldig, sie ist auch schauspielerisch eine Offenbarung, die sich mit ihrer unschuldig-lieben Schwester Fenena (Danielle Rohr) einen Kampf um die Liebe Ismaeles (Tobias Hacks) und die Zuneigung ihres Vaters liefert.

Nabuccos Gegenspieler, der Hohepriester Zaccaria (Jongmin Lim mit einer sehr gut geführten balsamischen tiefen Bassstimme) ist der besonnene Anführer, dem es gelingt, die unterjochten Hebräer aus der Unterdrückung durch die Babylonier unter Nabucco zu befreien.

Der Hebräer Ismaele, (Tenor Tobias Haaks), der Oberpriester des Baal (Nico Wouterse), Abdallo (Junho Lee) und Anna (Theresa Dittmar) können sich in kleinere Rollen neben den starken Protagonisten gut behaupten.

Unbestrittener Star des Ensembles ist Bastiaan Everink als erfolgreicher Feldherr Nabucco, der sich nicht nur zum König, sondern in seiner Selbstüberschätzung auch zum Gott erklärt. Die Szene, in der ihn der Blitz trifft, wird mit großem Theaterdonner ganz großartig umgesetzt. Auch die szenische Realisierung von Nabuccos geistiger Umnachtung und dem Verfall seiner Autorität ist absolut bildstark und wird von Everink anrührend umgesetzt. Seine Stimme ist nicht nur groß, sondern auch schön, und er bringt alles mit, was ein Heldenbariton an Autorität braucht.

Abigaille, die daraufhin die Krone ergreift, lässt ihren Vater gefangen nehmen und ihre Schwester zum Tode verurteilen.

In seiner Not und Angst um seine Tochter Fenena betet Nabucco zu Jehova, dem Gott der Hebräer. Es gelingt ihm, seine Getreuen zu sammeln, und er kann auch Fenena und die mit ihr Verurteilten retten. Nabucco lässt die Hebräer frei und ergreift von neuem die Macht. Das goldene Kalb wird vom Blitz zerstört, der Glaube an Jehova triumphiert.

Foto @ U. Hartlapp-Lindemeyer

Man empfiehlt den Besuchern die Anreise mit der Seilbahn von der Koblenzer Altstadt über den Rhein nach Ehrenbreitstein. Es gibt zwar an der Festung Parkplätze, aber wer mit der Bahn anreist oder anschließend in Koblenz übernachtet, hat mit der Seilbahnfahrt, die im Kartenpreis inbegriffen ist, noch ein weiteres tolles Ferienerlebnis.

Auch die Aussicht von der Festung auf das Rheintal und das „Deutsche Eck“ in Koblenz ist unbezahlbar. In der Koblenzer Altstadt war nach der Vorstellung noch viel Betrieb, man hätte den Abend auch dort ausklingen lassen können. Vor der Vorstellung konnte man auf der Terrasse der Festung etwas essen, in der Pause bot das Café Hahn Brezeln und Getränke an, die man auch mit auf den Platz nehmen konnte.

Anfang Juni 2020 hat man mit den Proben begonnen, Chor und Orchester mussten wegen der Abstandsregeln in eigens angemieteten Großhallen proben. Die Theaterkasse musste die logistische Meisterleistung vollbringen, alle bereits verkauften Karten wieder einzusammeln und durch andere oder durch Gutscheine für „West Side Story“ 2021 zu ersetzen, weil man nicht 1000 Plätze besetzen konnte, sondern nur 350. Alle Besucher mussten sich im Vorfeld mit Namen und Kontaktdaten registrieren. Es wurde nur jede zweite Reihe aufgebaut, und wie in Köln und Bonn bleiben zwischen je zwei Besuchern aus verschiedenen Haushalten zwei Plätze frei. Auf dem Gelände musste ein Mundschutz getragen werden, den man am Platz abnehmen konnte.

Foto @ Ursula Hartlapp-Lindemeyer

Die Abreise der 350 Besucher wurde vom Intendanten reihenweise so organisiert, dass nicht alle 350 Besucher auf einmal die Seilbahn und die Parkplätze stürmten. Es war Teil des Hygienekonzepts, und dafür brach Dietze sogar die verdienten lebhaften stehenden Ovationen ab. Die Seilbahn fährt nur bis 23.00 Uhr, und es sollte sichergestellt werden, dass alle Besucher rechtzeitig von der Festung kamen.

Es war ein Open-Air-Festspielerlebnis der besonderen Art und ein wundervoller Ferientag. Nur wurde es im Lauf des Abends etwas kühl, 15°, und windig, so dass wir froh waren, Kissen und Decken dabei zu haben.

Mehr zum „Making of“ unter DIESEM LINK.

Interview des SWR2 mit Markus Dietze: LINK 

Alle Vorstellungen waren schon im Vorfeld so gut gebucht, dass die wenigen Eintrittskarten nur an Besucher, die bereits Karten gekauft hatten, vergeben werden konnten. Im nicht überdachten Bereich kann es eventuell noch einzelne Restkarten geben.

Termine: 12.7., 14.7., 16.7., 17.7., 18.7. und 19.7.2020. 

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Theater Koblenz / Stückeseite
  • Titelfoto: Theater Koblen/NABUCCO/Ensemble/ Matthias Baus für das Theater Koblenz

 

 

 

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