Am Ende hat sie ausgeträumt. Denn immer dann, wenn sich die Reinigungskraft im altägyptischen Museum ihren Tagträumen zwischen den Wechseln ihrer Wischmops hingibt, wird sie zu AIDA. Nicht wirklich, nur in ihrem Traum, aber dafür sehr intensiv. Zu gern lässt sie dabei einen Putzlappen fallen, immer dann, wenn der junge, gutaussehende Museumsmitarbeiter gerade „zufällig“ an ihr vorbeikommt. Der, ganz Kavalier, hebt ihn jedesmal auf, reicht ihn ihr und wirft ihr danach einen Handkuss zu. Und jeder Handkuss bewirkt neue sehnsuchtsvolle Träume. Denn in diesen wird der junge Angestellte zu Radames und sie zur stolzen und schönen Aida. Die Detmolder AIDA-Inszenierung spielt auch mit der nicht ganz so neuen Aida/Putzfrau-Idee. Aber es sind die kleinen Dinge, die Gesten, die Blicke der Darsteller auf der Bühne, die diese Regiearbeit von Joan Anton Rechi sich dann doch von anderen unterscheiden lässt. Besonders die Szenen zwischen Aida und Amneris – und auch dann, wenn beide nicht singen – knistern vor Rivalität, Enttäuschung und Wut. Mit Megan Marie Hart und Maria Riccarda Wesseling standen sich in der besuchten Vorstellung v. 18.9. zwei ganz besondere Rivalinnen um den begehrten Radames gegenüber. (Rezension der zweiten AIDA-Vorstellung v. 18.9.19)
Während des Vorspiels zur Oper beginnt bereits die Handlung der Geschichte mit dem Auftritt einer Reinigungskraft, gekleidet in einem typischen blauen Arbeitsanzug (Kostüme: Mercé Paloma), die gelangweilt vor sich hin wischt. So richtig bei der Sache scheint sie nicht zu sein. Ihre Blicke schweifen immer ab auf die altägyptischen Kunstwerke, die sie im Hintergrund erkennen kann. So träumt sie sich einfach das Putzen schön und verfällt immer wieder in romantische Träume. Sie wird dann zu Aida, der äthiopischen Königstochter, die von den Ägyptern gefangen genommen und versklavt wurde. Wenn sie gerade nicht Teil der traumhaften Geschichte ist, trägt sie ihren blauen Arbeitsanzug, während alle anderen um sie herum in goldfarbenen Gewändern umhergehen und sie – die Putzfrau aus dem Museum – nicht wahrnehmen. Aber immer dann, wenn sie aktiv wird in ihren Träumen und wenn es um sie als dann erträumte Aida geht, trägt sie einen goldfarbenen Anzug und ihre Körperhaltung bekommt etwas Stolzes. Schnelle Kostümwechsel sind da vonnöten. Nicht nur für Aida. Denn auch ihre Vorgesetzten und Mitarbeiter, und sogar die Museumsbesucher, werden in ihren Träumen Teil der Geschichte.
Klingt kompliziert? Nein, ist eigentlich sehr schnell erkennbar. Regisseur Joan Anton Rechi spielt natürlich auf diese Weise mit den für Verdi wichtigen Aussagen seiner Oper. Wie in den meisten seiner Musikwerken, zeigt der Komponist gesellschaftliche Missstände auf, beschreibt Ungerechtigkeiten, Intoleranzen und Überheblichkeiten, zu denen Menschen fähig sind. Insbesondere, wenn man ihnen scheinbare Macht verleiht. Und oft und geradezu sind es auch die jeweiligen Frauentypen in Verdis Oper, die zwar leidend und unterdrückt erscheinen, aber die doch bestimmend und stark sind. Auch im Leiden.
Da ist das Bild einer tagträumenden Putzfrau, umgeben von Kostbarkeiten aus längst vergangenen Zeiten, eines, das legitim erscheint um die Geschichte der Aida zu erzählen. Und Rechi garniert seine Regie mit eben den bereits von mir erwähnten kleinen Dingen und Gesten. Dazu gehören die scheuen Blicke der Aida ebenso, wie die traurigen, aber dann auch wieder teilweise triumphierenden Gesten der Amneris, wenn sie auf ihre vermeintliche Rivalin stösst. Das eher spärliche Bühnenbild (Gabriel Insignares),welches aus einer Art von Schauwand für Ausstellungsstücke besteht, bietet aber viel Raum für die großen Szenen , für die AIDA auch bekannt ist. Beim populären Triumphmarsch, der die Rückkehr des siegreiches Radames feiert, ist die Bühne voll. Aber gleichzeitig findet in all dem jubelnden Trubel der Ägypter auch das intime, fast kammerspielartige Drama von Aida, Amneris und Radames statt.
Vielleicht keine spektakuläre AIDA-Inszenierung großen Stils, aber dennoch eine, welche die Gefühle und Verflechtungen der handelnden Protagonisten aufzeigt, ohne dabei ins kitschige abzugleiten. Und eine, die stellenweise berührend menschlich war.
In der von mir besuchten Vorstellung, der Folgeaufführung nach der Premiere vom 13.9.19, waren einige Partien neu besetzt und teilweise waren auch beachtliche Rollendebüts darunter.
Megan Marie Hart hatte am gestrigen Abend ihr Debüt als AIDA. Die Sopranistin, Mitglied des Detmolder Ensembles, hatte bereits vor wenigen Monaten erst glanzvoll ihre erste LUISA MILLER an gleicher Stelle präsentiert. Und schon da fiel sie durch ihre ungemein warme Stimmfärbung, bis in die Tiefen ihres Soprans gehend, so überaus angenehm auf. Und diesen Eindruck wiederholte sie in ihrem persönlichen Rollendebüt als AIDA auf höchst eindrucksvolle Weise. Eine Stimme, geradezu wie erschaffen für diese speziellen Verdipartien und von hohem Wiedererkennungswert. Dazu mit einem Stimmvolumen, welches die tückischen Höhen ebenso wie die Tiefen dieser Partie erreicht und ausfüllt und dabei ist Frau Hart jederzeit in der Lage, mit ihrem Gesang die Emotionen der äthiopischen Königstochter dem Publikum so spürbar zu vermitteln. Neben dem gesanglichen Teil ihrer Rolle punktet sie aber auch mit ihrer sensiblen Darstellung dieser in vielerlei Hinsicht anspruchsvollen Partie. Ihr wundervoll gesungenes „Numi pieta del mio soffrir“ aus dem I. Akt soll hier stellvertretend für den ganzen Abend genannt werden, an dem sie mit sehr viel Gefühl und großer Stimme ihr glänzendes Aida-Debüt feiern durfte. Das Publikum sah dies ebenso. Großer Beifall für diese besondere Künstlerin! Opernfans sollten ihre AIDA nicht verpassen!
Großen Beifall auch für die zweite Debütantin des Abends:
Maria Riccarda Wesseling sang zum ersten Male auf der Bühne die Amneris. Mit all ihrer Erfahrung und ihrem kraftvollen Mezzosopran wurde sie zur idealen Gegenspielerin Aidas. Darstellerisch ganz die mächtige Pharaonentochter, die es Aida auch spüren liess, wer von beiden auf dem Thron sitzt, konnte sie aber auch die verletzte, zutiefst gekränkte und liebende Frau spielen, die Amneris nun mal auch ist. Großartig in der eindrucksvollen Szene im 4. Akt, in welcher der geliebte Radames sich den Priestern gegenüber rechtfertigen soll und von denen zum Tode verurteilt wird. Hier begeisterte Maria Riccarda Wesseling das Publikum besonders und ihr abschließendes „Empia razza! anatema su voi!“ war voll tiefer Verachtung für die Priester und voll von großem Abschiedsschmerz um den Geliebten. Ein tolles Debüt!
Der Radames, gesungen von Ji-Woon Kim, ist zwischen diesen beiden starken Frauen ein zerrissener Mann, der zwischen Liebe zu Aida und Treue zu seinem Pharao ständig schwankt. Letztlich entscheidet er sich für die Liebe und damit für seinen Tod. Kim gestaltete diese Rolle, die ziemlich schnell mit einer durchaus nicht gerade leicht zu singenden Arie beginnt, auf souveräne Weise. Höhensicher im Gesang meisterte er diese Partie und trug damit auch zum großen Erfolg dieses Abends bei.
Dem König gab der georgische Bass Irakli Atanelishvili viel sängerisches und kräftiges Format. das gilt auch für Seungweon Lee, der den Ramphis mit starker Stimme und sehr überzeugend darstellte. Benjamin Lewis, der in dieser Aufführung den Amonasro sang, wusste sich im Laufe des Abends eindrucksvoll zu steigern und konnte gerade in der Nilszene mit Aida sehr überzeugen. Aufhorchen liess das Ensemblemitglied Rebecca Oh, die eine wundervoll gesungene Leistung als Erste Priesterin ablieferte.
Der Opernchor des Landestheaters Detmold unter der Leitung von Francesco Damiani hatte erwartungsgemäß in dieser Oper ein großes Programm zu absolvieren. Und das war wieder einmal aller Ehren wert. Ein wirklich stimmgewaltiger Chor, bestens und präzise einstudiert. Was will der Opernfan noch mehr?
Lutz Rademacher leitete das Symphonische Orchester durch die Partitur, wusste an den entsprechenden Stellen die kraftvolle Dramatik dieser Verdioper herauszustellen, ohne dabei die beinah still zu nennenden Passagen dieser Oper außer acht zu lassen. Auch für ihn und sein Orchester großer und verdienter Applaus des bestens besuchten Hauses.
- Rezension von Detlef Obens / DAS OPERNMAGAZIN
- Landestheater Detmold / Stückeseite
- Titelfoto: LT Detmold/AIDA/ Ji-Woon Kim (Radames), Megan Marie Hart (Aida)/Foto @ Landestheater / A.T. Schaefer
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