
Die Bebilderung der Ouvertüre mit einer erotischen Szene, in der eine Gruppe von zehn leicht bekleideten Frauen und Männern mit Don Giovanni und Leporello eine Orgie im römischen Stil feiert, zeigt, dass Regisseurin Cecilia Ligorio Mozarts „Don Giovanni“ als Männlichkeitsmythos interpretiert. Tomas Netopil erzeugt mit dem Gürzenich-Orchester einen filigranen transparenten Mozartklang. Die Kölner Oper hat mit einem jungen, attraktiven Ensemble mit drei Gästen (Seth Carico als Don Giovanni, Adrian Sâmpetrean als Leporello und Valentina Mastrangelo als Donna Elvira) und mit einer zehnköpfigen Tanztruppe in der Choreografie von Daisy Ranson Phillips die rastlose Getriebenheit des Titelhelden ausgedrückt, der ständig der Befriedigung seiner Lust nachjagt und dabei die betroffenen Frauen ins Unglück stürzt. (Rezension der Premiere v. 9.3.2025)
Wie keine andere Oper hat das am 17. Oktober 1787 in Prag uraufgeführte Dramma giocoso in zwei Akten, das Mozart als Auftragskomposition der Prager Oper nach einem Libretto Lorenzo da Pontes schrieb, den Archetypus des Männlichkeitsmythos definiert und die Kulturgeschichte beeinflusst. „Chi son io, tu non saprai“- „Wer ich bin, wirst du nicht erfahren.“ So geht es auch dem Publikum. Don Giovanni kristallisiert sich in der Champagnerarie, einem Minutenwirbel über Wein und Frauen, die im Nu vorbei ist. Rastlos jagt er seinen Ausschweifungen hinterher und kommt nie zur Ruhe. Das Ständchen an Elviras Zofe und die Anstiftung zur Jagd auf den Verführer singt er in der Verkleidung als Leporello, der nicht nur sein Diener, sondern auch der Chronist seiner Ausschweifungen und sein Gewissen ist.
Don Giovannis Rastlosigkeit drückt Bühnenbildner Gregorio Zurla mit Hilfe der Drehbühne aus, die mit variablen Versatzstücken Räume, Türen und Durchgänge zeigt und rasche Szenenwechsel ermöglicht. Während die Kulisse sich dreht wird gesungen und agiert. Don Giovanni ist immer in Bewegung, und er stellt sich tollkühn allen Herausforderungen. Ihm wäre es nie eingefallen, vor dem Commendatore zu fliehen, er stellt sich dem Kampf und tötet den Widersacher, der ihn an der Erfüllung seines Triebs hindert.
Der Commendatore verkörpert als Bass die irdische Gerechtigkeit, der Chor die himmlische Gerechtigkeit. Don Giovanni stellt sich über irdisches Recht und stört mit seiner frechen Einladung der Statue auf dem Friedhof die Totenruhe. Dass der Commendatore wirklich tot ist zeigt die Beisetzungsszene mit der trauernden Donna Anna.

Wie bei allen Vertonungen des Stoffs tritt Don Giovanni auf als der Maskierte- sehr sinnfällig mit einem Stierkopf-, der Donna Anna in ihrem Schlafzimmer überfallen hat und von ihrem Vater gestellt wird. Sein Diener Leporello macht ihm Vorwürfe, aber er bändelt gleich mit der nächsten Dame, Donna Elvira, an, die ihm begegnet. Es stellt sich heraus, dass dies seine Ehefrau ist, die er kürzlich verlassen hat. Er überlässt es seinem Diener Leporello, sie darüber aufzuklären, dass sein Herr allein in Spanien 1003 Frauen verführt hat. Elvira ist bestürzt und wütend auf den Kerl, der sie verlassen hat, und schwört Rache.
Derweil pirscht sich Don Giovanni an Zerlinas Brautgesellschaft heran. Er ist entzückt von dem jungen Bauernmädchen und lädt die jungen Leute zum Feiern auf sein Schloss ein. Elvira überrascht ihn beim Versuch, Zerlina zu umgarnen, und warnt diese. Donna Anna und Don Ottavio kommen dazu und bitten Don Giovanni, bei der Suche nach dem Mörder des Commendatore zu helfen, da fällt es Donna Anna wie Schuppen von den Augen: Don Giovanni ist der Mörder ihres Vaters! Auch sie schwört Rache. Maskiert treffen Don Ottavio, Donna Anna und Donna Elvira in Don Giovannis Schloss ein, wo drei Kapellen gleichzeitig aufspielen. Nicht nur in dieser Ballszene wird das zehnköpfige Ballett eingesetzt. Als Zerlina um Hilfe schreit wird Don Giovanni gestellt. Vergebens versucht er, den Verdacht auf Leporello zu lenken. Er entkommt jedoch seinen Verfolgern. Der erste Akt zeigt die Aufdeckung der Identität des Vergewaltigers.
Der zweite Akt gipfelt in einer weiteren frivolen Party in Don Giovannis Palast, bei der Don Giovanni auch mit einem jungen Mann schäkert. Der Commendatore, den Don Giovanni als „steinernen Gast“ auf dem Friedhof zum Abendessen eingeladen hat, erscheint und fordert ihn siebenmal zur Reue und Besserung auf, aber Don Giovanni gibt nicht nach. Als er dem Commendatore die Hand reicht erleidet er einen tödlichen Panikanfall. Der Chor singt dazu von der Sühne seiner Schuld und Vergeltung seiner Taten in der Hölle. Der zweite Akt zeigt den Weg zur Bestrafung des Amoralischen, allerdings nicht mit irdischen Mitteln.
Mozart hat in seiner Vertonung des „Don Giovanni“-Stoffs ein Kunstwerk geschaffen, das weit über das Libretto hinausgeht. Die Musik sagt viel mehr aus als der Text, und sie charakterisiert die Protagonisten in unnachahmlicher Weise. Im 19. und 20. Jahrhundert wurde die Oper nicht so oft aufgeführt wie andere – harmlosere – Werke Mozarts, weil man den Typ des amoralischen Libertins, der „Viva la liberta“ singt und auslebt, nicht auf die Bühne bringen wollte. Im katholischen Wien wurde die Oper auf Wunsch des Kaisers 1788 aufgeführt, aber schon nach 15 Vorstellungen abgesetzt.
Das Libretto lässt zahlreiche Deutungen zu. Das Regieteam setzt auf Verdeutlichung durch TänzerInnen und StatistInnen, nicht nur in den Tanzszenen, und auf ständige Bewegung. Don Giovanni sitzt nicht allein beim Abendessen, sondern er hat mehrere junge Frauen und Männer eingeladen, mit denen Leporello und er schäkern. In Zeiten von Tinder ist Promiskuität kein Tabu mehr. Als der steinerne Gast sich mit polternden Akkorden ankündigt verschwinden sie, und es bleiben nur der Commendatore, Leporello und Don Giovanni auf der Bühne. Die typgerechten eleganten Kostüme von Vera Pierantoni Giua verorten die Handlung in einer zeitlosen Gegenwart.
Es ist eine perfekte Ensembleleistung auf sehr hohem Niveau, bei der das Dirigat von Tomáš Netopil die Sänger und Sängerinnen auf Händen trägt. Seth Carico als Don Giovanni nimmt mit seiner blendenden Erscheinung und seinem durch die Musik ausgedrückten Charme alle für sich ein. Mit seinem kraftvollen Bariton strahlte er die Autorität des privilegierten Adeligen aus, er hat aber auch mit zuckersüßen Kantilenen Zerlina und das Publikum für sich eingenommen. Don Giovanni ist eben sehr attraktiv und eloquent, was es besonders schwer macht, ihn zu bezichtigen und verurteilen.

Adrian Sâmpetrean als Leporello wirkte etwas rustikaler, konnte aber in der Verkleidung als Don Giovanni ebenso überzeugen. Sein Vortrag der Registerarie als Komplize des Verführers war ein Kabinettstück eines guten Bassbaritons. Die Arien sind bebildert, so werden bei Leporellos „Registerarie“ verschiedene Frauen gezeigt, vom blutjungen Mädchen bis zur reifen Dame, die ihn umschwärmen. Der 1725 geborene Giacomo Casanova, ein venezianischer Adeliger, dessen 1797 erschienenen Memoiren mit der Beschreibung seiner zahlreichen Reisen und Amouren ein Allzeit-Hit der erotischen Literatur wurden, soll übrigens bei der Premiere in Prag anwesend gewesen sein. Vielleicht hat ihn die Register-Arie inspiriert?
Valentina Mastrangelo als Donna Elvira war eine ebenbürtige Gegenspielerin des Don Giovanni. Mit ihrem hochdramatischen Sopran machte sie Zorn und Verbitterung der Verlassenen, aber auch das Angebot, sein Leben zu teilen, falls er sich ändert, glaubhaft. Sie ist dem Verführer verfallen, denn sie beendet ihr Leben im Kloster.
Etwas verhaltener wirkte Katrin Zukowski in ihrem Rollendebut als Donna Anna, die das doppelte Trauma, in ihrem Haus von einem Maskierten überfallen worden zu sein und beim folgenden Duell ihren Vater verloren zu haben, verarbeiten muss. Ihre erlesenen Koloraturen zeigen sie als adelige Dame, die in jeder Lage Haltung bewahrt. Stimme der Vernunft ist Dimitry Ivanchey als ihr Verlobter Don Ottavio, der sie in der Verfolgung des ihr angetanen Unrechts umsichtig und tatkräftig unterstützt. Die für Wien komponierte Arie des Don Ottavio: „Dalla sua pace“ ist gestrichen, vermutlich, weil sie das Tempo der Inszenierung aufhalten würde.
Giulia Montanari als Zerlina, das Bauernmädchen, erliegt zwar kurzfristig den Flirtversuchen Don Giovannis, die ihrer Eitelkeit schmeicheln, kommt aber spätestens beim Vergewaltigungsversuch in Don Giovannis Palast zur Besinnung. Sie ist eine junge naive Frau, die sich bewusst entscheidet, auf ihren Masetto als Partner zu setzen. Ihr leichter flexibler Sopran harmoniert im Duett „La ci darem la mono“ ganz vorzüglich mit Don Giovannis Bariton, die drei Frauenstimmen unterscheiden sich deutlich voneinander. Der überschlanke Wolfgang Stefan Schwaiger ist ein sehr jugendlich wirkender Masetto, der in den Tanzszenen bella figura macht, aber Konflikte mit den Fäusten lösen will und dabei Prügel von Don Giovanni einsteckt.
Christoph Seidl als Commendatore vertritt als seriöser Bass die weltliche Ordnung, indem er sich Don Giovanni in den Weg stellt und das mit seinem Leben bezahlt. Als „steinerner Gast“ wurde er vom Höllenchor von der Seite aus dem Off mit gewaltiger Durchschlagskraft unterstützt und überhöhte Don Giovannis Tod dramatisch. Der Chor der Kölner Oper in der Einstudierung von Rustam Samedow verkörperte außerdem junges Landvolk und war in ständiger Bewegung.
Mozart hat „Don Giovanni“ als „Opera buffa“ in sein Werkverzeichnis eingetragen. Nach der düsteren „Höllenfahrt“ des Don Giovanni zeigt das Rondo am Schluss ein lieto fine: der Frevler, der die sechs Überlebenden zusammengeführt hat, ist tot, man kehrt zu Tagesordnung zurück. Die Paare bleiben zusammen, Donna Elvira geht ins Kloster, und Leporello sucht sich einen neuen Herrn.
Die dreieinhalb Stunden Aufführungsdauer einschließlich einer Pause vergingen wie im Fluge, denn die Szenen waren alle minutiös durchchoreographiert. Auch für Besucher, die „Don Giovanni“ zum ersten Mal sehen, war die Handlung klar bebildert. Musikalisch und szenisch ein großer Wurf!
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Oper Köln / Stückeseite
- Titelfoto: Oper Köln /DON GIOVANNI/Adrian Sâmpetrean, Seth Carico/Foto © Sandra Then