Die Hornistin Marie-Luise Neunecke und Andrea Bischof sowie Erich Höbarth an der Violine sind nur stellvertretend für all die zahlreichen Kammermusiker und angesehenen Instrumentalsolisten zu nennen, welche die „Cappella Andrea Barca“ formen, jenes herausragende Festspielorchester des Pianisten Sir András Schiff. Zu der Festwoche anlässlich des Geburtstages des in Salzburg geborenen Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart gastierte das Ensemble in Begleitung ausgelesener Sängerinnen und Sängern zu zwei konzertanten Aufführungen der Oper „Le nozze di Figaro“ in der Felsenreitschule. Das Motto dieser Festspiele: „Mozart lebt!“ (Rezension der besuchten Vorstellung am 26.1.2020)
Der Intendant der Mozartwoche und selbst versierter Mozart-Sänger Rolando Villazón verantwortet die szenische Einrichtung dieser konzertanten Aufführung. Obgleich die Solisten in Abendgarderobe auftraten, brachte er das Werk unter Einsatz einer dezenten Personenregie und diversen Requisiten auf die Bühne. Die Solisten und der Chor traten und verließen die weit ausschweifende Bühne der Felsenreitschule Salzburg von allen Seiten und sangen stellenweise aus der Mitte des Orchesters oder gar im Wechselspiel mit dem Dirigenten. Denn dieser war sich nicht zu schade, selbst an den Scherzen dieses „Tollen Tages“ teilzunehmen. So trank Schiff zur Erheiterung der Zuschauer ebenfalls einen Schluck aus der Weinflasche des stets betrunkenen Gärtners Antonio und musste höchstpersönlich einmal schlichtend in den Streit zwischen den Figuren der Oper eingreifen. Villazón wusste durch gezielte Emotionen auch die Doppeldeutigkeit und Bösartigkeit des Mozartschen Humors zu verdeutlichen. Exemplarisch dazu die Arie von Figaro, „Non più andrai“: Cherubino erfährt im Liebeskummer von seiner Abberufung zum Militärdienst. Nervös und überfordert wird ihm von Figaro eine Waffe in die Hand gedrückt. Der überforderte Cherubino wirkt mit dem Gewehr entblößt und überfordert gleichermaßen während sich das Publikum dabei amüsiert. Bei genauerer Betrachtung sollte dem Zuschauer jedoch das Lachen über den panischen Gesichtsausdruck des Pagen Cherubino, von Angela Brower eindringlich mit klangschöner, jugendlich-natürlicher Stimme dargestellt, im Halse stecken bleiben. Denn was vordergründig lustig erscheint, kann eine ganz schmerzliche Tiefe in der Psyche des Pagen erreichen.
Bei Florian Boeschs stimmlich erotischer Darstellung des Grafen Almaviva – unvergleichlich, wie er die Rezitative formte – ist es nur verständlich, dass Susanna fast seinen Avancen zu erliegen schien und in seiner Anwesenheit immerzu in Ohnmacht fiel. Regula Mühlemann kam mit agilen Koloraturen, herrischer Bühnenpräsenz und einfühlsamen Klang der Idealdarstellung einer Susanna gleich. Als verdienter Preisträger zahlreicher Gesangswettbewerbe wurde Julien Van Mellaerts in der Titelrolle des Figaros gewissermaßen der Shootingstar des Abends. Auf der Opernbühne ist der junge Neuseeländer noch unbekannt, stand in seiner Ausstrahlung und stimmlicher Eleganz dem Grafen von Florian Boesch jedoch in nichts nach. Christiane Kargs edelmutige, mit Grandesse die Stimme ausfüllende Gräfin, schwebte klanglich über dem Ensemble. Mittels spärlichen, aufs Äußerste bedachter Bewegungen verlieh sie ihrer Rolle eine natürliche Autorität und Distanz. Die prächtig klangvolle Stimme von Julia Lezhneva in der kleinen Rolle der Barbarina war schließlich der Feinschliff eines ausgelesenen Sängerensembles.
Der konzertanten Festspielaufführung ist es zu verdanken, dass die sonst aus dramaturgischen Gründen gestrichenen Arien Marcellinas „Il capro e la capretta“ und Basilios „In quegli anni in cui val poco“ zu Gehör kamen. Obgleich diese Arien zwar musikalisch aus dem Konzept der Oper fallen, dienen sie einer Charakterisierung und Vertiefung beider Figuren. Gerade aufgrund einer unvergleichlichen Darstellung von Angelo Pollak und Marie McLaughlin waren beide Arien auch nichtsdestominder hörenswert. Auch die ruhigen Tempi des Dirigenten Sir András Schiff trugen zu einer Aufführungsdauer dieser ungestrichenen Fassung der Oper von knapp vier Stunden bei. Aufgrund einer unvergleichlich expressiven Musikalität jedes einzelnen Orchestermitglieds blieb der Spannungsbogen stets gespannt. Pointiert und markant erklangen dabei auch die – in dieser Oper sehr kurzen – Passagen des Arnold Schoenberg Chors aus Wien.
Sir András Schiff erlangte als Pianist durch seine unzähligen Auftritte während der Mozartwoche großen Ruhm, so dass es für ihn Ehrensache schien, höchstpersönlich stehend am Hammerklavier die Continuo-Begleitung zusätzlich zum Dirigat der Oper zu übernehmen. Im Gegensatz zu manch zeitgenössischer, „radikaler“ Neuauffassung der Werke Mozarts, blieb Schiff mit langsamen Tempi ohne selbstdarstellerische Ausschweifungen bei einer sehr konventionellen Herangehensweise zu Mozart. Denn Schiff ist als Pianist kein Dirigent im herkömmlichen Sinne. Er hielt die Musiker lediglich grob zusammen und überliess die Interpretation des Werks jeder Instrumentengruppe selbst. Schiff erreichte dabei durchaus exzellente Ergebnisse, ließ sich jedoch immer wieder von den Geschehnissen auf der Bühne ablenken, so dass das Zusammenspiel zwischen Orchester, Solisten und Chor stellenweise auseinanderzubrechen drohte. Aufgrund der hohen Musikalität jedes einzelnen Darstellers und Orchestermusiker fand das Ensemble stets wieder zueinander und der positive Gesamteindruck blieb ungetrübt.
Diese Aufführung der „Le nozze di Figaro“ war lediglich der Auftakt eines Da-Ponte-Zyklus unter Sir András Schiff und seiner exzellenten Cappella Andrea Barca in den Jahren 2021 und 2022 zur Mozartwoche Salzburg. Damit bildet die Mozartwoche einen eindrücklichen Kontrast zu dem exzentrischen Dirigenten Teodor Currentzis, welcher in Begleitung seiner MusicAeterna bei den Salzburger Festspielen jeden Sommer eine andere Mozart-Oper in radikaler Form musikalisch neu interpretiert – im Sommer 2020 folgt „Don Giovanni“, „Mozart lebt“!
LE NOZZE DI FIGARO KV 492
OPER KONZERTANT
CAPPELLA ANDREA BARCA
ARNOLD SCHOENBERG CHOR
KÜNSTLERISCHER LEITER ERWIN ORTNER
DIRIGENT SIR ANDRÁS SCHIFF CONTINUO (HAMMERFLÜGEL „ROSENBERGER“)
ROLANDO VILLAZÓN SZENISCHE EINRICHTUNG
DAVY CUNNINGHAM LICHT
FLORIAN BOESCH, CONTE DI ALMAVIVA (BARITON)
CHRISTIANE KARG, CONTESSA DI ALMAVIVA (SOPRAN)
REGULA MÜHLEMANN, SUSANNA (SOPRAN)
JULIEN VAN MELLAERTS, FIGARO (BARITON)
ANGELA BROWER, CHERUBINO (MEZZOSOPRAN)
MARIE McLAUGHLIN, MARCELLINA (SOPRAN)
ANGELO POLLAK, DON BASILIO, DON CURZIO (TENOR)
MAURIZIO MURARO, DON BARTOLO, ANTONIO (BASS)
JULIA LEZHNEVA, BARBARINA (SOPRAN)
- Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Mozartwoche 2020 Salzburg
- Titelfoto: Mozartwoche 2020 Salzburg/Le Nozze di Figaro/Foto @ Wolfgang Lienbacher