Metamorphosen – Barockoper „La Calisto“ in Bonn ein Publikumsrenner

Oper Bonn/La Calisto/Giorgos Kanaris (MERCURIO); Lada Bočková (CALISTO); Tobias Schabel (GIOVE)/Foto @ Thilo Beu

Karten für „La Calisto“ sind nicht mehr zu haben. Nach dem großen Erfolg der Premiere am 2. Oktober 2020 ist der Markt leergefegt. Corona-bedingt mit nur 330 Plätzen im Bonner Opernhaus sind die Vorstellungen bis 1. November ausverkauft. „Trotz Minimalbesetzung gelingt Kapellmeister Hermes Helfricht im Verein mit dem Opernensemble ein packender Opernabend“, so Bernhard Hartmann im Bonner Generalanzeiger. – Einzelkarten können kurzfristig noch verfügbar sein -.  (Besuchte Vorstellung: 11.10.20)

 

La Calisto, eine Waldnymphe, erlebt am eigenen Leib die Gretchen-Tragödie. Allerdings ist der Verführer nicht Faust, sondern Göttervater Jupiter, der sich in der Gestalt seiner Tochter Diana an ihr vergeht. Aus Eifersucht verwandelt Juno, tugendsame Ehefrau des Jupiter, die Geschändete in einen Bären.

Als Arcas, der gemeinsame Sohn, um ein Haar seine Mutter Calisto erschießt, weil er sie nicht erkennt, setzt Jupiter ihr am Sternenhimmel ein Denkmal, indem er den Bären in das Sternbild des Großen Bären verwandelt.

Diese Geschichte aus Ovids Metamorphosen hat Francesco Cavalli mit seinem Textdichter Giovanni Faustino aufgegriffen und eine der ersten Barockopern komponiert, die 1651 im Teatro San Apollinaire in Venedig mit sechs Instrumentalisten uraufgeführt wurde.

Oper Bonn/La Calisto/Lada Bočková (CALISTO)/Foto @ Thilo Beu

Die Oper wäre immer noch vergessen, hätte nicht Raymond Leppard am 26. Mai 1970 beim Glyndebourne Festival mit einer von ihm für Opernorchester gesetzten Fassung einen sensationellen Erfolg gehabt, der zu einer nicht endenden Aufführungsserie, auch in historischer Aufführungspraxis und mit wechselnden Besetzungen des Orchesters, führte.

So hat Barockspezialist René Jacobs 1996 am Theatre La Monnaie in Brüssel eine historisch korrekte Fassung mit 27 Originalinstrumenten in der Regie von Helmut Wernicke herausgebracht, die einen weiteren Siegeszug auslöste und die auf CD und auf DVD vorliegt.

Die Originalfassung von Cavalli notiert lediglich die Gesangsmelodie und das Basso Continuo, die Aufführenden sind also sehr frei in der Besetzung des Orchesters und in der Ausgestaltung der Gesangspartien. Es gibt noch keine Trennung von Rezitativ und Arie und keinen Chor, allerdings schon sehr ausgereifte Ensembles.

Auch die von Kapellmeister Hermes Helfricht instrumentierte und auf 90 Minuten gekürzte Bonner Fassung lässt erkennen, dass die musikalische und dramatische Substanz des Stücks mehr als opulent ist. Und er konnte den Solisten die Partien auf den Leib schreiben.

Dass es ein packender Opernabend wird liegt am hervorragenden Bonner Ensemble, am Bühnenbild von Momme Hinrichs und Torgen Møller von fettFilm, an der Lichtregie von Max Karbe und an den zeitlosen Kostümen von Verena Polkowski.

Regisseur Jens Kerbel hat auf dem gewaltigen Felsmassiv, das auf der Drehbühne errichtet ist und dessen Rückseite an einen Betonbunker erinnert, viel Platz, die Sängerinnen und Sänger agieren zu lassen. Die Einschränkungen durch die Corona-bedingten Abstandsregeln – zwischen je zwei Sängern muss ein Abstand von zwei Metern eingehalten werden – werden nicht als störend empfunden, denn die Video-Projektionen, die auf eine Leinwand und auf das Felsmassiv gespielt werden, sind eine Augenweide. Sie ermöglichen auch optisch die tollsten Metamorphosen.

So verwandelt Jupiter (Tobias Schabel), der mit Merkur (Giorgos Kanaris) das verwüstete Arkadien, in dem sich die Geschichte abspielt, besucht, in eine blühende Landschaft, um die scheue, zur Jungfräulichkeit verpflichtete naive Waldnymphe Calisto (Lada Bočková) zu beeindrucken.

Oper Bonn/La Calisto/Kieran Carrel (LINFEA); Charlotte Quadt (DIANA)/Foto @ Thilo Beu

Schon im Prolog wird von den drei allegorischen Figuren Ewigkeit (Susanne Blattert), Natur (Charlotte Quadt) und Schicksal (Marie Heeschen) das Schicksal der armen von Jupiter geschwängerten und verlassenen Nymphe aus dem Gefolge der Jagdgöttin Diana diskutiert. Eine Warnung für alle Zuschauerinnen, sich auf Verführer einzulassen! Die Videoprojektion zeigt die drei in einem an ein Riesenauge erinnernden abstrakten Raum.

Marie Heeschen übernimmt dann die Rolle der Ehefrau Juno, die sich mit ihren Rechten gegen die Geliebte durchsetzt, Charlotte Quadt ist die Jagdgöttin Diana, die auch den in Diana verwandelten Jupiter spielt. Der Zuschauer erkennt das am silbernen bzw. goldenen Schulterstück und an der Körpersprache. So wird Jupiter durch einen Bassbariton und eine Mezzosopranistin verkörpert. Musikalisch erkennt man diese Person an der Begleitung durch die Orgel (Miho Mach).

Ein Spiel mit Genderzuordnungen, denn der in Diana verliebte Hirte Endimione (Benno Schachtner) ist Countertenor, die über Dianas Keuschheit wachende Linfea (Kieran Carrel) ist Tenor. Die wird vom jungen Satyr (Ava Gesell, Sopran) sexuell bedrängt.

Nur Silvano (Martin Tzonev) und Merkur (Giorgos Kanaris) und natürlich der unverwandelte Jupiter (Tobias Schabel) sind Bassbarritone, die Männer darstellen.

Ein Fazit der Geschichte wird von Merkur ausgesprochen, während Jupiter in der Gestalt seiner Tochter Calisto umgarnt: „Wer zu betrügen weiß wird immer siegen“.

Einer der Höhepunkte der Oper ist das Liebesduett Dianas (Charlotte Quadt, Mezzospran) mit Endimione (Benno Schachtner, Countertenor) in dem sich die beiden sehr ähnlichen Stimmen in größter Harmonie vereinigen.

Oper Bonn/La Calisto/Lada Bočková (CALISTO)/Foto @ Thilo Beu

Die Seelenqualen Calistos werden von Lada Bočková ergreifend ausgedrückt. Mit ihrem elegant geführten Sopran ist sie das Opfer der Zudringlichkeit Jupiters, den sie als Mann abweist, dem sie aber in seiner Rolle als Diana, die sie nicht von der echten Diana unterscheiden kann, erliegt. Ihre Verwirrung, nachdem die echte Diana sie schroff abweist und aus ihrem Gefolge ausstößt ist herzergreifend.

Nach der Geburt ihres Sohnes Arcas wird sie sozial ausgegrenzt, indem sie von Juno in einen Bären verwandelt wird, und es nutzt ihr nicht viel, dass dieser Bär schließlich durch Jupiters Macht im Sternbild des großen Bären verewigt wird. Eine zeitlose Moritat!

Im halb hoch gefahrenen Orchestergraben sitzen Pauli Jämsä und Dirigent Hermes Helfricht an zwei Cembali, es gibt eine Theorbe (Sören Leupold), die barocke Originalklang-Elemente beisteuert, und acht Streicher des Beethoven-Orchesters.

Dirigent Hermes Helfricht schafft mit dieser kleinen Besetzung italienischem Barockklang und eine packende Begleitung der großartig agierenden Sängerinnen und Sänger. Die Zuschauer sind vom zeitlosen Konflikt ergriffen und applaudieren begeistert.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Bonn / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Bonn/La Calisto/Ensemble/Foto @ Thilo Beu

 

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