Premiere von Verdis „Maskenball“ in Köln frenetisch bejubelt

Oper Köln/MASKENBALL/Simone del Savio, Gaston Rivero/Foto © Sandra Then

Mit dieser Produktion von Verdis „Maskenball“ hat die Kölner Oper einen Volltreffer gelandet. Die Ausstattung des in die Entstehungszeit verlegten Melodammas ist atemberaubend, die musikalische Umsetzung mit dem italienischen Verdi-Experten Giuliano Carella am Pult, der das Gürzenich-Orchester und das erlesene Ensemble souverän durch die süffige Partitur dirigierte, überzeugte auf der ganzen Linie. Großer Applaus und stehende Ovationen des Premierenpublikums für einen opulenten Opernabend! (Rezension der Premiere vom 14.04.2024)

 

Grundlage des Librettos ist Eugéne Sribes Textbuch zu Aubers „Gustave III ou Le bal masqué“, in dem er die Ermordung des sehr kunstsinnigen schwedischen Königs im Jahr 1792 durch den jungen Adeligen Johan Anckarström auf einem Maskenball verarbeitete. Für Verdi verfasste Antonio Somma eine stark verdichtete Fassung, Aufführungsdauer einschließlich Pause drei Stunden. Alle Erwartungen an einen saftigen Verdi der mittleren Schaffensperiode mit zahlreichen anspruchsvollen Arien und Ensembles, die in opulenten Schlussszenen gipfeln, werden erfüllt. Thema ist die Maskerade als Modell für soziale Rollen, aus denen die Protagonisten ausbrechen. Besonderes Augenmerk richtet Regisseur Jan Philipp Gloger auf die Verschwörer, deren musikalisches Thema bereits in der Ouvertüre als Fuge vorkommt. Verdi nimmt damit Bezug auf politische Konstellationen seiner Zeit, als Italien sich 1861 nach der verhassten Herrschaft der Habsburger als Königreich konstituierte. Verschwörer waren allgegenwärtig und rekrutierten sich aus der Hofgesellschaft.

Riccardo hält seine Morgenaudienz ab und freut sich sehr über ein Schriftstück, das den Namen „Amelia“ enthält. Er ist offenbar von dieser Dame fasziniert. Der Gatte dieser Dame, sein Sekretär Renato, warnt ihn vor einer Verschwörung, die gegen Riccardo geplant sei. Der oberste Richter  erscheint und verlangt vom Herrscher, die Wahrsagerin Ulrica zu verbannen, weil sie das Volk in Unruhe versetze. Der Page Oscar, Mittler zwischen Herrscher und Volk, spricht dagegen, indem er sich übertreibend über sie lustig macht. Riccardo bestellt die Hofgesellschaft zum Lokaltermin bei Ulrica ein. Man möge verkleidet und verschleiert bei ihrer Hütte erscheinen, er wolle sich selbst ein Bild machen.

Oper Köln/MASKENBALL/Chor der Oper Köln/ Foto © Sandra Then

Ulrica beschwört den Teufel und prophezeit dem jungen Soldaten Silvano ein Wunder, das sich mit Riccardos Hilfe prompt erfüllt. Als Amelias Diener Ulrica um eine Unterredung bittet, versteckt sich Riccardo und belauscht, dass Amelia Heilung von einer verbotenen Liebesleidenschaft sucht. Ulrica empfiehlt ihr ein Vergessenskraut, das Amelia in einer Mondnacht an der Hinrichtungsstätte pflücken müsse. Als die Hofgesellschaft wieder hereindringt mischt sich der verkleidete Riccardo darunter und lässt sich von Ulrica unerkannt aus der Hand lesen. Sie prophezeit ihm den nahen Tod von der Hand der Person, die ihm als nächste die Hand gebe. Als dies Renato, sein Freund ist, gibt er nichts auf diese Prophezeiung.

An der gruseligen Hinrichtungsstätte sucht Amelia nach dem geheimen Kraut, Riccardo stößt dazu und umwirbt sie leidenschaftlich. Die Konstellation Primadonna und Spinto-Tenor blüht in einem hinreißenden Liebesduett auf. Sie wirft das Vergessenskraut weg, denn sie hat sich ernsthaft in Riccardo verliebt. Die Hofgesellschaft mit Renato ist aber Riccardo gefolgt. Renato übergibt Riccardo seinen Mantel, damit sich dieser unerkannt entfernen könne, denn die Verschwörer seien ihm auf den Fersen. Riccardo will Amelia nicht kompromittieren. Er übergibt sie Renatos Schutz und beschwört beide, ihr Inkognito durch den Schleier, den sie trägt, zu wahren.

Die Verschwörer stellen sich jedoch Renato in den Weg, denn sie wollen das Inkognito der Unbekannten lüften. Um Renato nicht in Gefahr zu bringen, entschleiert sich Amelia und kompromittiert sich dadurch als Ehebrecherin und Renato als betrogenen Ehemann. Die Verschwörer spotten nicht schlecht, und Renato ist schwer erzürnt. Zunächst weist er Amelia zurecht und droht ihr, sie umzubringen. Als sie das Zimmer verlassen hat, besinnt er sich anders: der Verführer muss büßen! Er schließt sich den Verschwörern an, und die drei losen aus, dass Renato Riccardo töten soll. Oscar tritt ein und überbringt Renato und Amelia die Einladung zu einem Maskenball – die beste Gelegenheit, die Tat unerkannt auszuführen. Amelia ahnt den Plan ihres betrogenen Gatten und warnt Riccardo vor dem bevorstehenden Anschlag. Der hat beschlossen, seiner Liebe zu Amelia zu entsagen und Renato mit seiner Frau nach England zu entsenden.

Auf dem Maskenball treffen die Verschwörer zusammen, und Amelia warnt Riccardo erneut vor der Gefahr, in der er schwebt. Oscar verrät Renato, in welcher Maske Riccardo steckt. Als Riccardo mit der maskierten Amelia tanzt, ersticht Renato den Maskenträger. Der tödlich verletzte Riccardo singt die mehr als fünf Minuten lange Arie des sterbenden Herrschers, die in einer Generalamnestie gipfelt, und übergibt Renato die Urkunde über dessen Entsendung nach England. Die Hofgesellschaft ist bestürzt, und auch als Zuschauer ist man tief betroffen.

Musikalisch ist „Un ballo in maschera“ eine typische große Oper in der Tradition der „Grand opéra“, aber dramatisch stark verdichtet. In zweieinhalb Stunden Aufführungsdauer mit einer Pause treffen typische Operngestalten aufeinander, und vor allem haben sie Gelegenheit, große Gefühle in populären Arien auszudrücken. In Köln wird hervorragend gesungen und musiziert, vor allem vom Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Giuliano Carella, dem hervorragenden Opernchor, der immer wieder mit den Arien verwoben ist, unter der Leitung von Rustam Samedow, und dem typgerechten Ensemble. Man hat sogar acht als Harlekins kostümierte Tänzerinnen und Tänzer rekrutiert.

Oper Köln/MASKENBALL/Chor der Oper Köln, Tänzer*innen/Foto © Sandra Then

Die Ausstattung ist, überwiegend in Lila- und Rosa-Tönen mit viel Schwarz, sehr aufwändig, die Kostüme Amelias ausgesprochen stylish. Sibylle Wallum hat jedem Chorsänger und jeder Chorsängerin individuelle Kostüme und fantastische Masken gegeben. Dass es nicht zum Äußersten zwischen Riccardo und Amelia gekommen ist, wird im 2. Akt in der Liebesszene gezeigt: Es dauert so lange, ihr das bis zum Hals zugeknöpfte Kleid auszuziehen, dass die Liebenden im Freien von der Hofgesellschaft überrascht werden und Amelia im Unterkleid mit einem Schleier in Renatos Begleitung flieht. Das Kleid symbolisiert ihre Rolle als treue Ehefrau und bleibt am Boden zurück.

Das Einheitsbühnenbild von Ben Baur, das im ersten Bild und im Schlusstableau hervorragend passt, nämlich ein etwas plüschiger Empfangssaal eines repräsentativen Hofs, erfordert in den weiteren Szenen, vor allem in der Wahrsage-Szene Ulricas in ihrer Hütte im Wald und im zweiten Akt, der um Mitternacht an der gruseligen Hinrichtungsstätte spielt, ein hohes Vorstellungsvermögen des Zuschauers. Vorteil ist, dass der Ablauf nicht durch Umbaupausen unterbrochen wird, Nachteil ist, dass man weder durch ein entsprechendes Bühnenbild noch durch dramatische Beleuchtung auf den mysteriösen Charakter Ulricas als Magierin oder Hexe hingewiesen wird – sie ist als Arbeiterfrau kostümiert. Noch krasser ist das Problem im zweiten Akt, der um Mitternacht an der Hinrichtungsstätte spielt: selbst die Suggestion der Glockenschläge verpufft, wenn sich Amelia und Riccardo scheinbar im Empfangssaal statt an der düsteren Hinrichtungsstätte begegnen.

Oper Köln/MASKENBALL/Astrik Khanamiryan, Gaston Rivero/Foto © Sandra Then

Gaston Rivero als feuriger Liebhaber und unbekümmerter aufgeklärter Herrscher Riccardo, der alle Warnungen in den Wind schlägt, ist für mich die Identifikationsfigur. Dass er sich diese Wahrsagerin selbst ansehen möchte, bevor er sie auf Wunsch des obersten Richters verhaften lässt, zeigt seine Qualität als guter König.  Rivero ist einer der raren Spinto-Tenöre, der sichere Höhen mit lyrischem Schmelz und großer Virtuosität verbindet und ist an großen Häusern weltweit unterwegs. Er hat gerade als Otello in Darmstadt brilliert. Astrik Khanamiryan als Amelia ist die Primadonna, die Frau zwischen zwei Männern, die zwischen ihrer Liebe für Riccardo und der Treue zu ihrem Gatten schwankt. Sie gestaltet diesen Konflikt mit großartigen lyrischen Momenten und virtuosen Ausbrüchen und steigert sich am Schluss in die Rolle der von ihrem Mann bedrohten um Gnade flehenden Ehebrecherin hinein. Ihre Stimme ist mitunter etwas scharf, aber sie bringt die innere Zerrissenheit zwischen ihrer Rolle als Ehefrau und ihrer Leidenschaft als Geliebte sehr gut zum Ausdruck. In ihren Duetten mit Riccardo, aber auch mit Renato, sprühen die Funken. Die einzige Figur, die eine dramatische Entwicklung durchmacht und auch schauspielerisch überzeugend umsetzt, ist Verdi-Bariton Simone del Savio als Renato, der aus der Rolle des loyalen Freunds und Sekretärs fällt und sich zum rachsüchtigen gehörnten Ehemann und Mörder seines Herrn wandelt. Auch hier sieht man Sommas und Verdis Meisterschaft, denn Renato wird, als die Hofgesellschaft ihn mit der verschleierten Frau antrifft, schwer düpiert: als sie sich zu erkennen gibt, muss ihm klar werden, dass er von ihr und Riccardo betrogen wurde, und die Verschwörer intonieren mit dem Chor auch noch ein Spottlied dazu. Del Savio gestaltet den charakterlichen Umschwung mit stimmstarken Ausbrüchen. Ungewöhnlichste Figur in Verdis Schaffen ist die wunderbar leichtfüßige Hila Fahima mit ihrem flexiblen hohen Sopran als Page Oscar, eine Hosenrolle, wie sie bei Verdi sonst nicht vorkommt. Er erweist sich am Ende als Verbündeter der Verschwörer. Ungewöhnlich ist auch Agostina Smimmero als Ulrica, die die dämonische Wahrsagerin mit beeindruckenden, fast schon tenoralen Tiefen gestaltet und die ganze Handlung in ihrer Prophezeiung vorhersagt. Die Köpfe der Verschwörung, Christoph Seidl als Samuel und Lucas Singer als Tom sind großartige Bässe aus dem Ensemble, die schon im ersten Akt aus der Masse der Höflinge stimmlich hervorstechen. Die Maske macht aus Seidl einen schmierigen Typ um die 50, eine ganz große Leistung. Besondere Aufmerksamkeit verdient Wolfgang Stefan Schwaiger, der aus der kleinen Partie des Silvano, der in 15 Jahren im Dienst des Riccardo seine Gesundheit gelassen hat- er hinkte mit einer Krücke auf die Bühne – und der nie befördert wurde, eine Charakterstudie macht. Er führte mit enormer Bühnenpräsenz nach der Belohnung und Beförderung durch Riccardo einen Jubelchor des Volkes an.

Jan Philipp Gloger hat die politischen Aspekte der Oper hervorragend herausgearbeitet, konnte aber den Grusel-Faktor, den diese Oper auch hat, nicht bedienen, weil man sich für ein Einheits-Bühnenbild, das immer nur den Palast zeigt, entschieden hat. Der Besuch lohnt sich wegen der hervorragenden Gesangsleistungen und der fantasievollen Kostüme und Masken auf jeden Fall.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Köln / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Köln/MASKENBALL/Chor der Oper Köln, Gaston Rivero, Astrik Khanamiryan, Simone del Savio/Foto © Sandra Then

 

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Ein Gedanke zu „Premiere von Verdis „Maskenball“ in Köln frenetisch bejubelt

  1. “Frenetisch bejubelt”, “stehende Ovationen”…? Mir scheint, die Dame vom Opernmagazin war in einer anderen Vorstellung und auch die inhaltliche Kritik lässt für mich – wie die Inszenierung selbst – Sachverstand missen und hält sich an Belanglosigkeiten auf.
    Bei Verdi geht es weder um den Scheinwerfer für ein politisches Revolutions-Setting noch um Randfigurengeplenkel. Das Stück lebt einzig und allein von der Dreiecks-Konstellation der Hauptprotagonisten, was sämtliche Dramatik des Stücks birgt. Ulrika und Oskar sind dabei die dramaturgischen Antipole, die nur dazu da sind, die Dramatik in der unglückseligen Liebe der drei Hauptfiguren zu verstärken. Es ist -recht offensichtlich und unumstößlich – ein klassisches Beziehungsdrama.
    Gloger hat sich nicht nur in absoluten Nebenschauplätzen total verzettelt sondern überdies den eigentlichen Fokus des Stücks durch eine karikierende Personenregie bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt! Da kommt rein gar nichts mehr zur Geltung.
    Das schiefe Konzept hängt wie zäher Kleister über allem und färbt leider auch auf die Darstellung der Sänger ab, die ansonsten bisweilen sehr solide performt haben.
    Insgesamt blieb mir ein verstörendes Gefühl und Mitleid für alle, die hier vergeblich gute Arbeit unter einem total missglückten Regiekonzept geleistet haben.
    Da trifft die Kritik in der Besprechung des Deutschlandfunk den Nagel deutlich besser auf den Kopf-Enttäuschung.

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