Der Oper Köln ist mit der „Lustigen Witwe“ eine Tanz-Operette gelungen, bei der der Chor, das Gürzenich-Orchester unter Andrea Sanguineti und ein illustres Ensemble für Stimmung sorgten. Den besonderen Pfiff bekam die Produktion durch das achtköpfige Ballettensemble, das zu fast allen Musiknummern tanzte. (Gesehene Vorstellung am 7. Dezember 2023)
In der „Lustigen Witwe“ geht es um Liebe, (diplomatische) Affären und um Geld. Franz Lehár hat nach dem Libretto von Victor Léon und Leo Stein mit seiner am 30. Dezember 1905 im Theater an der Wien uraufgeführten Komödie eine der erfolgreichsten Operetten aller Zeiten geschrieben, in der sich Walzerseligkeit, Romantik und frivole Affären mit der Parodie diplomatischer Gepflogenheiten verbinden. Das mit großer Besetzung aufgefahrene Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Andrea Sanguinetti entfachte eine Klangwelt, die mit ihrer Instrumentierung und der Vielfalt der Tänze vom langsamen Walzer bis zur Mazurka, aber auch Cakewalk, Kolo und Polonaise, erheblich über das bei Operetten übliche hinausging. Die Textbearbeitung von Bernd Mottl, der auch die Inszenierung besorgte, nahm die Probleme der Fertigstellung der Kölner Oper – stagnierende Baufortschritte und eskalierende Kosten – ziemlich konkret aufs Korn. Der pontevedrinische Esel, der Dukaten auswirft symbolisiert die Segnungen der Milliarden der Witwe. Mit der Devise: „Erst planen, dann Bauen“, die die kesse Witwe formuliert, legt sie den Finger in die Kölner Wunde, aber die Oper wartet heute noch.
Es ist der Prototyp einer erotisch aufgeladenen Operette, und man hält den Besuchern und Besucherinnen den Spiegel vor. Wie im „Rosenkavalier“ von Richard Strauss sind es die Frauen, die sich herausnehmen, was sie mögen und es den Männern zeigen. Konsequent singen die Männer: „Ja, das Studium der Weiber ist schwer“. Musikalisch reiht sich ein Hit an den anderen, beschwingt und gut gelaunt verlässt man die Oper. Die Inszenierung von Bernd Mottl streicht den Revue-Charakter dieser Operette heraus. Man kann getrost sagen, es ist eine Kölner Weiterentwicklung des Sujets.
Es ist eine Satire über den Mief der Spießigkeit. Pontevedro ist das kleine Balkanland, in dessen Pariser Botschaft die Handlung spielt. Der Staatsbankrott droht, der Putz rieselt von der Decke, und Botschafter Baron Mirko Zeta fordert im Auftrag seiner Regierung die pontevedrischen Männer auf, dafür zu sorgen, dass die milliardenschwere Witwe Hanna Glawari keinen Franzosen heiratet, sondern einen Bürger Pontevedros. Graf Danilo, sein Attaché, will die reiche Witwe nicht heiraten, obwohl er sie liebt, weil er sich eben nicht verkaufen möchte. Erst als er hört, dass sie arm sein soll, drückt er seine Liebe voll aus. Es ist der Sieg der Liebe über den Materialismus im Gewand der Operette. Daneben steht die deftige Buffo-Handlung des Seitensprungs hinter den verschlossenen Türen des Pavillons (Figaros Hochzeit lässt grüßen!), bei der Hanna Glawari verhindert, dass Valencienne, die junge Gattin des ältlichen Botschafters, kompromittiert wird, indem sie behauptet, sie selbst sei mit Graf Camille de Rosillon im Pavillon gewesen. Nebennutzen: sie macht Danilo eifersüchtig.
Die Kostüme von Alfred Mayerhofer zitieren zunächst die 60-er Jahre. Der Chor tritt als Festgäste in züchtig hochgeschlossenen langen Kleidern in gedeckten Farben auf, die Herren in grauen Anzügen mit Schlips und Kragen, wobei Valencienne in blaulila, Rosillon in lila und Vicomte Cascada in tiefblau erscheinen, was sie gleich aus der Masse heraushebt. Im dritten Akt tragen alle schwarze Fetisch-Kleidung -Lack, Leder, Seide, und das Ballett viel nackte Haut. Gender-Grenzen sind aufgehoben, denn auch die Tänzer treten in Rosa Chiffonkleidern als Ballsirenen oder in cremefarbenen Kittelschürzen als Putzfrauen auf. Ganz entzückend übrigens der Volkstanz in Balkan-Kostümen! Das Bühnenbild von Friedrich Egert verdeutlicht die erstaunliche Wirkung einiger von Hanna Glawari eingesetzter Millionen: binnen sieben Tagen, hier während der Pause, mutiert das baufällige Botschaftsgebäude zum folkloristischen Prachtbau mit Mosaiken im sozialistischen Realismus, und der verwandelt sich mittels schwarzer Draperien in einen Fetisch-Club, in dem Valencienne als kesse Domina mit hüfthohen Stiefeln die Peitsche schwingt. Von zentraler Bedeutung ist die Choreografie von Christoph Jonas, der sämtliche Musikszenen für das diverse Tanzensemble durchchoreografiert hat.
Traurig fängt es an: Vor einer schwarzen Draperie der Bühne aufgebahrt ist ein weißer Sarg. Man fragt sich beim Warten auf die Ouvertüre, wer denn gestorben ist. Es ist der mit den pontevedrinischen Landesfarben dekorierte Sarg des verstorbenen Finanzmagnaten Glawari. Ein Trauerzug – die Witwe und das Ballett tiefschwarz verschleiert – versammelt sich zu getragener Musik am Sarg, der versenkt wird, ein paar Schluchzer, und dann platzt die schmissige Ouvertüre herein und alle werfen die schwarzen Klamotten ab und stehen da in schillernd bunten Kostümen. Die Szene geht nahtlos über in den Empfang in der baufälligen pontevedrinischen Botschaft, wo eine erzkonservative Festgesellschaft den Geburtstag des Landesfürsten feiert. Hier wird die mit einer schwarzen Ledercorsage über einem züchtigen schwarzen Ballkleid bekleidete Witwe umgehend von heiratswilligen Junggesellen umringt. Sie hat ausnahmsweise als Frau das Heft in der Hand, weil sie von ihrem nach acht Tagen Ehe verstorbenen Gatten 20 Milliarden (inflationsbedingt von Millionen geändert) geerbt hat, und schafft es mit großem Geschick, ihren Traum von der Ehe mit Graf Danilo, der sie früher aus Standesgründen nicht heiraten konnte, zu realisieren. Elissa Huber in der Titelrolle merkt man an, dass sie vor ihrer klassischen Opernausbildung als Musical-Star aktiv war, denn sie tanzt alles mit. Auch als Sängerin und Schauspielerin bleibt sie ihrer Rolle nichts schuldig. Mottl lässt sie wie ein Kind aus dem Volk reden, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Sie erreicht mit großem diplomatischem Geschick ihr Ziel: dass ihre Jugendliebe Danilo seinem Motto: „Verliebe dich oft, verlobe dich selten, heirate nie“ untreu wird.
Mit dem Hit „Dann geh ich zum Maxim“ führt sich Graf Danilo als Womanizer par excellence ein und bedient nebenbei das Klischee eines faulen Beamten. Er kommt nach einer durchzechten Nacht verkatert und derangiert auf die Bühne und singt: „die Akten häufen sich bei mir, ich find´ es gibt zu viel Papier.“ Adrian Eröd gibt diesem Danilo eine enorme darstellerische Tiefe, und tanzen kann er auch. Sein Thema ist der Übergang von der Liebe als Zeitvertreib („Da geh´ ich zu Maxim“) zur Liebe als Schicksal („Lippen schweigen, ´s flüstern Geigen“). Schon beim ersten Treffen zeigt er in ein paar Walzertakten mit Hanna, dass es bei ihm gefunkt hat.
Rebecca Nelsen als Valencienne und Maximilian Mayer als Graf Camille de Rosillon sind das jugendliche Traumpaar. Valenciennes Körpersprache verrät, dass sie ihre Rolle als „anständige Frau“ sehr frei interpretiert. Wenn sie singt, erscheinen acht pinkfarbene Teufelchen und tanzen dazu. Dass sie es faustdick hinter den Ohren hat, zeigt sie im dritten Akt als Peitsche schwingende Domina. Der lyrische Tenor Maximilian Mayer hat als Camille de Rosillon die schönsten Lieder („Wie eine Rosenknospe …, Komm in den kleinen Pavillon …“) und gibt mit den berückendsten Kantilenen den verliebten Jüngling. Allerdings kommt er nicht ganz so temperamentvoll rüber wie seine Valencienne.
Für dieses Paar geht die Sache ebenfalls gut aus, denn Valenciennes Ehemann, der Botschafter Baron Mirko Zeta, merkt bis zum Schluss nicht, dass er der betrogene Ehemann ist. Die Affäre kann also ungebremst so weiter gehen. Ralf Lukas als Baron Zeta hat die Lacher auf seiner Seite, wenn er die Tugend seiner viel jüngeren Frau preist.
Musicaldarsteller Ralph Morgenstern als Njegus, Kanzlist und eigentlicher Geschäftsführer der Botschaft, bürgerliches Alter Ego des Grafen Danilo, fungierte als Strippenzieher hinter den Kulissen. Die Umbaupause vor dem dritten Akt nutzte er zu einem kurzweiligen Couplet im Zuschauerraum, in dem er sein Schicksal als Bauernkind aus Pontevedro beklagt, dem adeligen Danilo im Maxim´s zuschauen zu müssen. Die Tänzerinnen und Tänzer des Balletts sangen den Refrain.
Im dritten Akt veranstaltet Hanna Glawari eine Fetisch-Party in den Räumen der Botschaft mit dem Ballett, diesmal mit viel nackter Haut und Szene-Kleidung: glitzernde Leibchen, Strapse und Ledercorsagen. Alles in Schwarz -Gold. Hier kommt Stimmung auf, man möchte gleich weiter feiern. Der fulminanten Steigerung von der miefigen sozialistischen Baustelle über den Prachtbau mit folkloristischen Mosaiken hin zu einem chicen Fetisch-Club entsprachen immer schmissigere Tänze und Ensembles. Ein Muss für Liebhaber der frivolen Revue-Operette! Die letzte Vorstellung ist Silvester.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Oper Köln / Stückeseite
- Titelfoto: Oper Köln/DIE LUSTIGE WITWE/Ensemble/Foto © Matthias Jung