Oper am Rhein/Siegfried/ Siegfried (Michael Weinius), Mime (Cornel Frey) FOTO: Hans Jörg Michel

DER RING AM RHEIN: 3:0 FÜR DUISBURG / Richard Wagner’s Siegfried – Premiere am 7.4.2018

Deutsche Oper am Rhein/Siegfried/ Siegfried (Michael Weinius), Mime (Cornel Frey) FOTO: Hans Jörg Michel
Deutsche Oper am Rhein/Siegfried/ Siegfried (Michael Weinius), Mime (Cornel Frey) FOTO: Hans Jörg Michel

ICH LIEBE SIEGFRIED! Diesen Satz hört man heutzutage relativ selten. Das hat verschiedene Ursachen. Erstens: Namen wie DUSTIN oder CHANTALL sind heute häufiger vertreten. Zweitens: Selbst unter Wagnerianern wird SIEGFRIED oft nicht besonders geschätzt. Man erlebt es immer wieder, dass man unter „Eingeweihten“ zu Beginn der ersten Pause freundlich gefragt wird: “Und, gut geschlafen?“ 

 

 

Den ersten Akt verschläft man. Das ist alles unter unserem Niveau.
 
Natürlich ist das nicht ganz ernst gemeint. Aber ein bisschen doch!!!
EIN SCHWERT WIRD GESCHMIEDET, EIN DRACHE GETÖTET, EINE JUNGFRAU GERETTET! So eine gängige Kurzfassung der Oper (gemeint ist hier selbstverständlich: MUSIKDRAMA). Und bevor dieses Schwert am Ende des ersten Aktes geschmiedet wird, erfahren wir nicht nur äußerst viel über die Beziehung zwischen SIEGFRIED und seinen Stiefvater MIME, sondern wir erhalten auch noch Besuch von einem WANDERER, den der Opernkenner natürlich als Gott WOTAN, den Vater von SIEGMUND und damit Großvater von SIEGFRIED problemlos identifiziert.
 
Im Verlauf der Fragespiels, dass sich zwischen dem WANDERER und MIME entwickelt, werden mehr oder weniger die Inhalte der beiden voraus gegangenen Opern (Sorry: MUSIKDRAMEN) wiederholt, die ja eh schon jeder kennt. Zum Gähnen also!
 
NATÜRLICH NICHT. Und das weiß auch jeder! Die Wiederholungen dienen bei Wagner dazu, seine spezielle Kompositionstechnik erlebbar zu machen. Die sog. LEITMOTIVE (Wagner hat noch von ERINNERUNGSMOTIVEN gesprochen). Jede Person, zahlreiche Dinge und wichtige Ideen werden musikalisch durch eigene Motive ausgedrückt. Das Orchester erzählt die Handlung, die wir auf der Bühne sehen. Manchmal behauptet das Orchester etwas Anderes, als wir es auf der Bühne sehen, bzw. hören. Das Orchester hat in solchen Fällen immer Recht. Schließlich sehen wir gerade ein MUSIKDRAMA!
 
In keinem seiner 13 überlieferten Bühnenwerken erleben wir Wagner so persönlich, wie in SIEGFRIED. Die Brüche, die wir in diesem 3. Teil der Tetralogie erleben, sind Brüche, die durch die Person des Komponisten verlaufen. 
 
Oper am Rhein/Siegfried/ Siegfried (Michael Weinius), Mime (Cornel Frey) FOTO: Hans Jörg Michel
Oper am Rhein/Siegfried/ Siegfried (Michael Weinius), Mime (Cornel Frey) FOTO: Hans Jörg Michel

Wagner wusste nicht, woher er kam. Und er wusste folglich nicht so genau, wer er war.

Es gab ein Ahnen; ein Spüren. Ein Sehnen und ein Suchen.
Und alle diese Anteile finden wir in SIEGFRIED wieder.
Ein junger, starker Mann auf Identitätssuche. Sich eher dessen bewusst, was er nicht ist (Ein Sohn dieses lieblosen MIME), als dass er hätte angeben können, was, bzw. wer er ist.
 
WAGNER WAR ALLES. Er war ein sehr kleiner Mann („Zwerg“). Er war sich seiner schöpferischen Grösse sehr bewusst („Riese“). Er war ein Genie („Gott“). Er war Frau (bzw. Transvestit (s. „Briefe an eine Putzmacherin“)). Er war ein Mensch; und aus Liebe zu den Tieren (weswegen er zeitlebens Vegetarier war), war er im seinem Herzen auch KREATUR (i.S. des Tieres). Wagner war alles! NUR KEIN HELD!
 
Und in diesem Spannungsfeld bewegt sich SIEGFRIED. Dass wir es neben den bereits erwähnten musikalischen Höhepunkten (Schmiedeliedern; Siegfried-Idyll; Drachentötung und Jungfrauenerweckung) mit einem tölpelhaften Helden, einem regelrechten SCHLAGETOT zu tun haben, sollte uns besonders berühren. An keiner Stelle seines recht umfangreichen Werkes begegnen wir Wagner so persönlich, so menschlich.
 
Die Stimmung in Düsseldorf am gestrigen Nachmittag war mehr als erregt. Aufgrund des ersten Sommertags des Jahres war die Stadt überfüllt, die Straßen hoffnungsvoll verstopft. Stau. Das Opernhaus war kaum erreichbar. Viele Zuschauer sind erst in der letzten Minute eingetroffen, die eigentlich das Vorgefühl und die Einführungsveranstaltung gerne genossen hätten. Der Grüne Hügel am Rhein. Bayreuthstimmung in der überhitzten Innenstadt. So muss es sein.
 
In der Einführungsveranstaltung wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Waldvogel nicht durch eine Frau auf der Bühne dargestellt werden würde. Die Sängerin würde aus dem Orchestergraben singen. Auf der Bühne würden wir als Waldvogel einen Vogel sehen. Das müsse so sein. Denn wenn die Sängerin auf der Bühne singen würde, wäre sie ja bereits die erste Frau, die Siegfried gesehen hätte. Und das dürfe ja nicht sein. Sonst wäre Brünnhilde ja nicht die erste Frau, die Siegfried sieht, und der der Satz „Das ist kein Mann“ würde keinen Sinn machen.
  • Hier ist nachgedacht worden. Man ist bemüht. 
Vor sich öffnendem Vorhang beginnt der bayreutherfahrene Axel Kober, der seit 2009 als GMD an der Deutschen Oper am Rhein arbeitet, mit seinem Dirigat der Düsseldorfer Symphoniker. Die Deutsche Oper am Rhein wird gebildet durch die Opernhäuser Düsseldorf und Duisburg. Die Opernbühnen der Städte haben die gleiche Größe. Deswegen bot sich das an. Sehr viel mehr Gemeinsamkeiten dürften zwischen diesen beiden Städten aber kaum bestehen.
 
Auf der Bühne sehen wir Schienen. Die kennen wir bereits aus dem Rheingold. Wir sehen einen Kohle-Küchenherd. Den kennen wir aus der Walküre. Wir sehen den Varietee-haften, mit bunten Lämpchen bestückten Lichterbogen, der zwischen uns und dem Handlungsgeschehen aufgebaut ist. Den kennen wir aus beiden voraus gegangenen Stücken. Und im Verlauf des Fragespiels zwischen dem Wanderer und Mime sehen wir ein witziges Machtspiel der beiden Konkurrenten, ausgetragen auf zwei mit Hubvorrichtung versehenen Friseurstühlen, mit denen man sich größer machen kann, als sein Gegenüber. Das kennen wir aus dem Film „Der große Diktator“ von Charlie Chaplin.
 
Wie in den zwei vorausgegangenen Teilen des RINGs sehen wir einen Raum. Sonst nichts. Hilsdorf bleibt sich treu. Da hebt sich nichts. Da senkt sich nichts. Da dreht sich nichts. Da fliegt nichts ein. Die Enge dieser kammerspielartigen Aufführung wird zwischendurch nur noch gesteigert, wenn der Eiserne Vorhang herab gelassen wird, und auf dem schmalen Rand davor weiter gespielt wird. Weite erleben wir nicht. Eher Bedrückung.
 
Zentrale Partien sind mit Rollendebütanten besetzt. Michael Weinius als Siegfried; Cornel Frey als Mime, Simon Neal als Wanderer; Elena Sancho Pereg als Waldvogel.
Der Begriff des „Rollendebütanten“ ist sehr vornehm. Etwas weniger vornehm würde man sagen: „Bis Gestern haben die das nicht gekonnt.“ – Hoffentlich können sie es heute!?!
 
Deutsche Oper am Rhein/Siegfried/ Mime (Cornel Frey) FOTO: Hans Jörg Michel
Deutsche Oper am Rhein/Siegfried/ Mime (Cornel Frey) FOTO: Hans Jörg Michel

Für Cornel Frey, den ich seit seiner unvergesslichen Rolle als Wahrsager im GOLDENEN HAHN  immer noch im Ohr habe, war dieser Mime wohl eine besondere Herausforderung. Geplant als Rollenbesetzung für die Premiere in Duisburg wurde ihm aus Krankheitsgründen eines Kollegen angetragen, bereits die Partie in Düsseldorf zu singen. Sich einer solchen Rolle auch noch unter zeitlichen Beschränkungen zu nähern – und es dürfte sich um eine der grössten Tenorrollen handeln, bei der der Sänger weit über eine Stunde am Stück agiert und singt – würde für viele unleistbar sein. Cornel Frey, in eher Nosferatuartiger Erscheinung, meistert diese Rolle mit Bravour! Toll gemacht!

 
Ähnliches gilt für Michael Weinius. Auch er hat sich der Rolle mehr als gewachsen gezeigt. Natürlich ist da noch Entwicklungspotential. Aber grundsätzlich hat er persönlich und stimmlich das Zeug dazu.
Aber er kann einem schon leid tun, wenn er nach 4 1/2 Stunden Schwertarbeit einer taufrischen Brünnhilde gegeüber steht. Auch hier: Ein gelungenes Rollendebüt.
 
Mimes Schmiede ist schmutzig. Es riecht geradezu nach Maloche. Und auf der Bühne wird gewullacht. Die Sänger kämpfen; sie singen; sie arbeiten; sie schwitzen. Was bis gestern nicht geklappt hat, muss heute möglich werden. Sie leisten schwere Arbeit. Sie gehen bis an ihre Grenzen; vereinzelt auch weit darüber hinaus. In jeder Pause und zum Schlußapplaus werden sie begeistert bejubelt. Zu Recht! Sie haben persönliche Höchstleistungen vollbracht!!!
 
Der Clou des Abends: Der Drache Alberich fährt als Dampfpflug auf die Bühne. Das ist witzig. Und es passt in die rußige Arbeitsatmosphäre. Hinter vorgehaltener Hand wird getuschelt, die Idee sei aus der Neuverfilmung von Jim Knopf und dem Lokomotivführer. Die anderen kennen das also auch schon irgendwoher.
 
Dietrich W. Hilsdorf liebt den RING nach eigenen Angaben nicht besonders. Der bunte Lichterbogen, der uns vermutlich zu allen vier Abenden begleiten wird, soll uns vor Augen führen, dass auch diese Arbeit Wagners letztlich auch nur ein musikalisches Bühnenstück ist. Wie jedes andere auch. Und dann kann es eben auch von jedem guten Sänger gesungen werden. – Und da oben stehen gute Sänger!!! – Wie bei jeder anderen Oper auch.
 
Aber es funktioniert nicht. Das karge Bühnenbild (ob man es „minimalistisch“ oder „einfallslos“ nennen möchte, entscheide bitte jeder für sich selbst) in Kombination mit sehr guten Sängern, die aber keine Wagner-Stimmen sind, lassen den Gesamteindruck einer Schüleraufführung auf höchsten Niveau entstehen.
 
Deutsche Oper am Rhein/Siegfried/Brünnhilde (Linda Watson), Siegfried (Michael Weinius) FOTO: Hans Jörg Michel
Deutsche Oper am Rhein/Siegfried/Brünnhilde (Linda Watson), Siegfried (Michael Weinius) FOTO: Hans Jörg Michel

Gibt es überhaupt „Wagner-Stimmen“? Über dieses Frage konnte man 4 1/2 Stunden in aller Ruhe nachdenken. Aber wenn Linda Watson dann aufwacht! (Ich meine natürlich Brünnhilde, die von Linda Watson gesungen wird.) Also, wenn Linda Watson dann aufwacht und singt, dann ist diese Frage beantwortet! Es gibt Wagner-Stimmen. Und Linda Watson hat eine. Mit dieser Brünnhilde löst sich das Unbehagen, dass einen den ganzen Abend begleitet hat, und gegen das auch Axel Kober und die Düsseldorfer Symphoniker nicht anspielen konnten. Man spürt plötzlich Wagner. Man spürt den RING.

 
Sehr gute gesangliche Leistungen auch von Jürgen Linn als Alberich; Thorsten Grümbel als Fafner; Okka von der Damerau als Erda.
 
Es ist ja auch nicht wirklich schlecht, was wir da zu sehen und zu hören bekommen haben. Wenn das alles gut eingespielt ist; wenn die Sänger in die Rollen hinein gewachsen – und eben keine Rollendebütanten mehr sind; wenn diese Inszenierung, die das proletarische, das einfache, arbeitsreiche und schmutzigen Leben der Menschen in einer von Industrialisierung bestimmten Welt darstellt, vom mondänen Düsseldorf zum industriell geprägten Duisburg wechselt, und sich damit in der Umgebung befindet, in die es hinein passt, wird manches anders aussehen.
 
Außer den Maßen der Opernbühne haben Düsseldorf und Duisburg nicht viel gemeinsam. Für Düsseldorf ist dieser Ring zu klein. Für Duisburg könnte er gerade richtig sein. Und dass, obwohl die Maße der Bühnen identisch sind?
  • Dat soll mal einer verstehen! 
Ich persönlich liebe SIEGFRIED jedenfalls.
Und ich freue mich jetzt schon auf Duisburg.
 
Großer Jubel und Schlussapplaus vor ausverkauftem Haus für die Sänger, Axel Kober und die Düsseldorfer Symphoniker.
Ein Buh-Sturm für das Produktionsteam.
 
Inszenierung: Dietrich W. Hilsdorf
Bühne: Dieter Richter
Kostüme: Renate Schmitzer
Licht: Volker Weinhart
Mitarbeit Regie: Ilaria Lanzino, Dorian Dreher
Dramaturgie: Bernhard F. Loges 
 
Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg
SIEGFRIED von Richard Wagner
Zweiter Tag des Bühnenfestspiels
„Der Ring des Nibelungen“
Libretto vom Komponisten
Uraufführung am 16. August 1876
im Festspielhaus Bayreuth
 
Premiere Samstag, 07. April 2018 – Opernhaus Düsseldorf
 
 
Rezension von Ingo Hamacher
 
 
* Titelfoto: Oper am Rhein/Siegfried/ Siegfried (Michael Weinius), Mime (Cornel Frey) FOTO: Hans Jörg Michel
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