„West Side Story“- große Emotionen auf der Festung Ehrenbreitstein

Theater Koblenz/WEST SIDE STORY/Foto: Matthias Baus für das Theater Koblenz

Intendant Markus Dietze nutzt mit einem klugen Hygienekonzept auf der Festung Ehrenbreitstein die Möglichkeiten der Location für „West Side Story“, Leonard Bernsteins Meisterwerk. Er nimmt die 24. Corona-Schutzverordnung ernst und präsentiert mit seinen Tänzer*innen und seinem Sänger*innenensemble die zeitlose Adaption von „Romeo und Julia“.(Rezension der Premiere vom 3. Juli 2021)

 

Anja Nicklich inszeniert Leonard Bernsteins unsterbliches Musical in einer umwerfenden Choreographie von Luches Huddleston jr.  mit dem hauseigenen Ballett und dem beeindruckenden Orchestersound der Rheinischen Philharmonie unter der Leitung von Daniel Spogis. Herausragende Darsteller sind Markus Schneider als Tony, Lea Kirn als Anita und Virginia Blanco als Maria.

Antonia Mautner-Markhof (Bühnenbild und Kostüme) lässt die Gangs in Jeans und Petticoats im Stil der 50-er Jahre in einem Universal-Bühnenbild mit Docs Laden in der Mitte und je fünf universell nutzbaren Türen an beiden Seiten und davor einer Tanzfläche agieren. Über dieser Ebene ist ein Balkon, auf dem sich wichtige Szenen abspielen. Die Schneiderwerkstatt, in der Maria arbeitet, wird durch hereingetragene Schneiderpuppen mit Braut- und Gesellschaftskleidung angedeutet.

Die rivalisierenden Jugendgangs der Jets (in Amerika geborene Teenager), und Sharks (puertoricanische Einwanderer der ersten Generation) kämpfen um das Revier der Jets, und es kommt immer wieder zu Konflikten und Schlägereien, die mit spannend choreographierten Tänzen und dramatischer Musik verdeutlicht werden. Für Police Officer Krupke (David Prosenc) sind diese Jugendgangs Stammkunden mit ihrer Kleinkriminalität.

Theater Koblenz/WEST SIDE STORY/Foto: Matthias Baus für das Theater Koblenz

Die Musik greift neben Opernelementen auch auf Populärmusik zurück – den Jets ordnet Bernstein sehr rhythmischen progressiven Jazz der 50-er Jahre zu, den Sharks lateinamerikanische Elemente – und dies wird von der Rheinischen Philharmonie unter Daniel Spogis brillant  gespielt.

Maria, die junge Puertoricanerin, die von ihrem Bruder Bernardo nach New York geholt wurde und mit Ihrer Freundin Anita in einer Schneiderei arbeitet, verliebt sich bei einem Abend in der Tanzhalle Hals über Kopf in Tony, einen jungen Amerikaner, der eigentlich den Jugendgangs entwachsen ist. Die Liebe ist gegenseitig, „Maria“ ist einer der erfolgreichsten Schlager geworden, ebenso das Duett „Tonight“, das die erwachende Liebe der beiden Protagonisten illustriert.

Tonys Versuch, die Rivalität der beiden Gangs im Interesse ihrer Liebe zu schlichten, geht gründlich schief.

Der erste Akt endet mit zwei Toten: Marias Bruder Bernardo zückt plötzlich ein Messer, mit dem er Riff, den Anführer der Jets, ersticht und mit dem er dann selbst von Tony erstochen wird.

Der zweite Akt beginnt mit „I feel pretty“, Maria ahnt noch nichts. Sie kann später Tony die Affekttat verzeihen und will mit ihm fliehen.

Die Aktualität dieses Stücks ist mit den Händen zu greifen und kann mit den Mitteln der Musik und des Tanzes am besten ausgedrückt werden. Die Hoffnung der Einwanderer auf ein besseres Leben, die Frustration der abgehängten Einheimischen über die Zuwanderer, die mit ihnen um knappen Raum konkurrieren, die ständig aufflammenden Schlägereien zwischen den Gangs, die Eskalation der Gewalt beim geplanten Zweikampf, das sind alles brillante soziologische Studien. Besser als mit Bernsteins Musik und mit der Choreographie von Luches Huddleston jr. kann man diese Phänomene nicht illustrieren. Bernsteins Musik ist zu Recht Weltmusik geworden.

Dazu kommt eine der rührendsten Liebesgeschichten der Weltliteratur von der blutjungen und romantischen Maria, die ihre Träume vom besseren Leben in Amerika zunächst verwirklicht sieht, die aber wegen des Hasses der Gangs am Ende nicht nur ihren Bruder, sondern auch ihren Geliebten verliert. Gaststar Virginia Blanco gibt dieser musikalisch als tragische Opernheldin angelegten Figur mit ihrer mädchenhaften Ausstrahlung und ihrer strahlenden Stimme die notwendige gestalterische Tiefe.

Gaststar Markus Schneider gestaltet Tony mit seinem Musical-Tenor als jugendlichen Idealisten und Romantiker, der kurz bevor er von einem Mitglied der Sharks erschossen wird, noch hören muss, Maria sei tot, und der schließlich in ihren Armen stirbt.

Lea Kirn als Anita verkörpert zunächst die optimistische Einwanderin („I want to be in America“), als sie aber von den Jets fast vergewaltigt wird führt sie die tragische Wendung herbei.

Theater Koblenz/WEST SIDE STORY/Foto: Matthias Baus für das Theater Koblenz

Das Tanzensemble überzeugt mit halbstarkentypischer Körpersprache und akrobatischen Kampfszenen. Die lateinamerikanischen Tänze in der Tanzhalle variieren die lyrischen Melodien. Das aus 20 Personen bestehende Tanzensemble überzeugt durchgehend in perfekt choreographierten Tanzszenen und in individueller Personenzeichnung. Die Regisseurin hat die Dialoge auf ein Minimum reduziert und arbeitet stattdessen mit Körpersprache. Wie die anderen Tänzer*innen die Liebesszene zwischen Tony und Maria vervielfachen und wie Gangmitglieder der Jets und der Sharks gemeinsam den toten Tony durch den Mittelgang tragen ist ganz großes Theater und rührt zu Tränen.

Intendant Markus Dietze hat die Herausforderung angenommen und die Möglichkeiten der riesigen Spielstätte auf der Festung Ehrenbreitstein genutzt. Die rheinische Philharmonie ist ein richtiges Opernorchester, das das unter der musikalischen Leitung von Daniel Spogis hinter der Bühne aus Bernsteins Partitur Funken schlägt.

Das Orchester wird, ebenso wie die Sängerinnen und Sänger, elektronisch verstärkt. Der Sound kommt aus riesigen Lautsprechern rechts und links von der Bühne. Regisseurin Anja Nicklich konnte dank der Tatsache, dass alle Beteiligten geimpft bzw. getestet waren, ein ganz normales Regiekonzept entwickeln. Sie erzählt die Geschichte mit deutschen Dialogen und englischen Songs mit deutschen Übertiteln, in das sich die Tanzszenen organisch einfügen. Es gibt noch weitere Vorstellungen, die letzte am 12. Juli 2021.

Theater Koblenz/WEST SIDE STORY/Foto: Matthias Baus für das Theater Koblenz

Die Abreise der Besucher wurde vom Intendanten reihenweise so organisiert, dass nicht alle Besucher auf einmal die Seilbahn und die Parkplätze stürmten. Es war Teil des Hygienekonzepts, und dafür spielte Dietze den Komiker. Die Seilbahn fährt nur bis 23.00 Uhr, und es sollte sichergestellt werden, dass alle Besucher rechtzeitig von der Festung kamen.

Es war ein Open-Air-Festspielerlebnis der besonderen Art und ein wundervoller Ferientag. Nur wurde es im Lauf des Abends etwas kühl, so dass wir froh waren, eine Decke dabei zu haben. Die ersten 12 Reihen sind überdacht.

Ein Besuch des Musicals mit Besichtigung der Festung Ehrenbreitstein lohnt sich auf jeden Fall. Mehr zur Festung Ehrenbreitstein: LINK

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Theater Koblenz / Stückeseite
  • Titelfoto: Theater Koblenz/WEST SIDE STORY/Foto: Matthias Baus für das Theater Koblenz 
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