Wagners Dichtung als musikalische Erzählung – Christian Thielemanns Interpretation der WALKÜRE in Berlin

Staatsoper Berlin/WALKÜRE/ Michael Volle (Wotan), Anja Kampe (Brünnhilde)/Foto: @ Monika Rittershaus

Der Staatsoper Berlin gelingt es wie keinem anderen Opernhaus neben neuen, jüngeren Künstler*innen immer wieder die ganz großen Namen für Opernaufführungen an das Pult der Staatskapelle zu locken: Mit Sir Simon Rattle für Janáček, Antonio Pappano für Puccini oder Zubin Mehta für die Werke von Strauss und Verdi sind neben dem breit gefächertem Repertoire von Daniel Barenboim selbst („Chefdirigent auf Lebenszeit“) auch die Wiederaufnahmen des Hauses nur in den Händen der besten und versiertesten Dirigent*innen. Lediglich ein Gastauftritt von Christian Thielemann hat an der Staatsoper all die Jahre terminlich nie so richtig passen sollen. Umso überraschender, dass nun gerade jenes Einspringen Thielemanns für die musikalische Leitung des „Ring des Nibelungen“ alles bislang an der Staatsoper Berlin erlebte – Barenboim möge diese Anerkennung hoffentlich verzeihen – in den Schatten stellte. Über die Inszenierung von Dmitri Tcherniakov wird an anderer Stelle noch zu sprechen sein, zuvörderst soll in dieser Kritik die musikalisch Interpretation von Christian Thielemann ausführlich gewürdigt werden. (Rezension der Vorstellung v. 04.10.2022) 

 

Streng genommen waren die Voraussetzungen für das Einspringen von Christian Thielemann denkbar schlecht: Eine knapp-bemessene Probezeit, in welcher der Dirigent parallel auch eine lang geplante Orchestertour mit den „Dresdnern“ unternahm. Dazu das ihm fast fremde Orchester bei einem Hausdebüt im Orchestergraben direkt mit allen vier Teilen des Ring-Zyklus. Und trotz (oder gerade wegen?) dieser Anspannungen waren Thielemanns musikalischen Ergebnisse selbst für seine hohen Ansprüche schlichtweg überragend!

Besonders die Wahl seiner äußerst langsamen Tempi  überraschte zunächst. „Das Rheingold“ geriet mit einer Aufführungsdauer von knapp 2:45 h über 20 Minuten länger als die durchschnittliche Spieldauer. Thielemann schien dabei keine Kommunikations- oder Eingewöhnungsprobleme mit der Akustik und seinen Musiker*innen zu fühlen. Sein Klangbild im Orchester führte er stets schlank, zugleich mit Präzision, während er im Zusammenspiel mit dem Ensemble auf der Bühne eine üblich vorbildliche Stimmführung bewies. Thielemann dirigierte dabei stets die Dichtung des Librettos betonend, freilich ohne die Staatskapelle als Begleitung zu wähnen. Vielmehr drängte er mit dem Orchester fortwährend in das dramatische Geschehen der Gesangsstimmen ein. Thielemanns Gespür für die musikdramatische Dichtkunst gab dadurch dem Libretto Wagners den ihm gebührenden Ausdruck. Beispielsweise verzögerte der Dirigent im ersten Aufzug bei den neugierigen Erkundigungen Sieglindes den Melodiefluss des Orchesters mit einem leichten Rubato: Als Sieglinde am Satzende mit der Stimme leicht in die Höhe ging, ließ Thielemann die Staatskapelle kurz innehalten um die mit Spannung erwartete Erwiderung Siegmunds just hinauszuzögern. Diese brach dann nach einem Moment des spürbaren, zugleich unhörbaren Pochens, impulsiv, mittels gekonnt gesetzter Blechbläserakzente, in den Stimmfluss des Tenors ein. Musikdramatisch schlichtweg extrem aufwühlend!

Staatsoper Berlin/WALKÜRE/Robert Watson (Siegmund), Vida Miknevičiūtė (Sieglinde), Mika Kares (Hunding)/Foto @ Monika Rittershaus

Während die meisten Partien dieses neuen Berliner Rings mit gestandenen Wagner-Größen besetzt wurden, bestach das Wälsungenpaar durch zwei Newcomer der großen Opernbühne: Nachdem sie das Ensemble des Staatstheater Mainz verließ, zündete Vida Miknevičiūtė schlagartig zu einer Weltkarriere. In ihren Rollendebüt als Sieglinde glänzte sie mit großer, zugleich präzise geführter Sopranstimme und leidenschaftlicher Gestik. Miknevičiūtės Stimme ist in allen Lagen mit einem leichten Vibrato ausgestattet, das obgleich stellenweise etwas schrill, direkt ins Mark des Publikums traf und dieses vereinnahmend sogleich zu großen Ovationen mitriss.

Robert Watson gab ihr gegenüber in der Partie des Siegmund ebenfalls sein Rollendebüt, war dabei leider weniger erfolgreich. Obgleich er in schönen, groß angelegten Bögen und in einem wunderbarem Legato sang, konnte er seinem Charakter kaum die notwendige Präsenz verleihen.  Zwar böte seine Tenorstimme durchaus Potential, nur führte Watson diese etwas zu eng und agierte auch szenisch arg zurückhaltend und zögerlich. Vielleicht sollte der Sänger die Partien Wagners zunächst an mittelgroßen Opernhäusern festigen, um im selbstsicheren Auftreten geübt etwas befreiter und souveräner eines Tages auch das Publikum an der Berliner Staatsoper mitreißen zu können.

Großgewachsen mit viel Stamina berührte der Bass Mika Kares das Publikum. Der Finne weiß mit ausdrucksstarker Gestaltung die Gesangstradition seiner Landsmänner Matti Salminen und Martti Talvela fortzuführen. Man ist fast geneigt zu tadeln, dass Kares Stimme zu rund und klangschön gefärbt ist, als dass sie dem misslichen Charakter eines Fasolt, Hundings oder Hagens entspräche. Nach seinem epochalen Rollendebüt als Marke an der Bayerischen Staatsoper ebnete Kares mit diesem Ring-Zyklus nun seine  Zukunft für eine ganz große Wagner-Karriere.

Michael Volle blühte als Wotan nun erst so richtig auf und wie Anja Kampe sich in ihren drei Brünnhilden schlagen wird, ist abschließend erst mit der Götterdämmerung zu bewerten.

Der gesamte Premierenzyklus wird derzeit live im Stream des RBB übertragen, ein TV-Mitschnitt ist im November bei ARTE geplant. Es bleibt zu hoffen, dass eine CD-Veröffentlichung vorgesehen ist – denn insbesondere aufgrund des Dirigats hätte sie direkt das Potential einer neuen Referenzaufnahme!

 

  • Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Staatsoper Berlin / Stückeseite
  • Titelfoto: Staatsoper Berlin/WALKÜRE/ Michael Volle (Wotan), Anja Kampe (Brünnhilde)/Foto: @ Monika Rittershaus
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3 Gedanken zu „Wagners Dichtung als musikalische Erzählung – Christian Thielemanns Interpretation der WALKÜRE in Berlin&8220;

  1. M.E. ist die Berliner Staatsoper Unter den Linden für eine Ring Inszenierung räumlich zu klein, um einer Spitzeninszenierung akustisch gerecht zu werden. (West-Berlin hat ja nun aber nach seiner Teilung in Charlottenburg ein großes Haus erbauen müssen, das auch akustisch die Qualität besitzt, wie sie für eine Ring Inszenierung unabdingbar ist) . Warum trägt man im „wiedervereinigten Berlin“ nicht diesem Faktum Rechnung?
    In Paris hat man sich neben seiner „Grande Opera“ auch noch eine moderne und auch akustisch erstklassige „Opera Bastille“ geleistet…

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