
Unterhaltung auf Kosten der Oper
Das werdende Staatstheater Regensburg beginnt seine Opernsaison mit Richard Strauss‘ Ariadne auf Naxos. Zum Spielzeitmotto „Identitäten“ passt dieses Sujet ausgezeichnet, schließlich werden in der Oper nicht nur verschiedene künstlerische und menschliche Persönlichkeiten, sondern auch die Identität der Gattung Oper selbst verhandelt. Diese Chance, einen für die Saison wegweisenden Abend zu schaffen, wird bedauernswerterweise aber nicht genutzt. Die Inszenierung von Joan Anton Rechi verliert sich in Slapstick und Persiflage, sodass ausgerechnet das Kernthema der Ariadne in Regensburg verloren geht. (Rezension der Vorstellung v. 23.09.2023)
In Richard Strauss‘ Oper Ariadne auf Naxos treffen zwei auf den ersten Blick völlig gegensätzliche Kunstformen aufeinander: Auf der einen Seite steht die heroische Oper, die wie das Gesamtwerk auch den Titel Ariadne auf Naxos trägt, auf der anderen das improvisationsreiche Lustspiel Die ungetreue Zerbinetta und ihre vier Liebhaber. Auf der Bühne wird im gesungenen Dialog und in Form eines für alle Beteiligten unfreiwilligen Experiments – wegen einer Laune des Gastgebers müssen beide Werke gleichzeitig aufgeführt werden – die Frage diskutiert, was mehr wert ist: Ernsthafte, schwere Oper oder doch leichtes Unterhaltungstheater? Regisseur Joan Anton Rechi will diesen Konflikt noch verschärfen: Während Richard Strauss und sein kongenialer Textdichter Hugo von Hofmannsthal vor allem mit Elementen der italienischen Theatertradition arbeiten, indem sie Ariadne als eine opera seria betiteln und die Tanztruppe um Zerbinetta an die Figuren der Commedia dell’Arte anlehnen, stellt Rechi der wagnerianischen, Bayreuther Operntradition eine spanische Flamenco-Truppe gegenüber.
Konkret bezieht er sich auf die Tänzerin Imperio Argentina und verlegt die Handlung von Strauss‘ Oper in die 1930er Jahre, die er im Programmheft beschreibt als „eine Zeit, in der kulturelle Vorurteile gesellschaftlich tief verankert waren.“ Das ist eine sicherlich nicht falsche, aber doch reichlich harmlose Umschreibung für die Zeit des Nationalsozialismus. Davon abgesehen stellt sich die Frage, ob Strauss‘ Ariadne auf Naxos diese zusätzliche Ebene überhaupt benötigt, oder ob nicht die Gegensätze zwischen den beiden präsentierten Kunstformen und der Primadonnen Ariadne und Zerbinetta schon genug Material bieten. Nach der Premiere der Inszenierung Rechis tendiert man zu letzterem, denn es gelingt dem Regisseur nicht, die gewählte Zeit sinnvoll in die Handlung einzubinden. Die 30er Jahre bleiben Kulisse und Vorlage für den ein oder anderen Gag, etwa wenn der Musiklehrer motorisch am Hitlergruß scheitert.

Den Gags, so scheint es, gilt sowieso das Hauptinteresse der Regie. So bleibt Zerbinettas Rock in der Hose des Offiziers (würdevoll-beschämt: Michael Daub) hängen, was ihn dazu zwingt, ihr während des Vorspiels – also der ganzen ersten Hälfte der Oper – hinterherzulaufen und sich schließlich der Hose zu entledigen. Beim Publikum sorgt dieses Spiel für herzhaftes Lachen. Auch die Angst aller Bühnenfiguren vor dem von Michael Heuberger mit herrlicher Boshaftigkeit gespielten Haushofmeister kommt gut an. Obwohl die Gagdichte des Vorspiels fast schon zu hoch ist und damit ein wenig ermüdend wirkt, funktioniert diese Hälfte des Werks noch recht gut. Dazu trägt auch das mit fünf Türen versehene Bühnenbild Gabriel Insignares Caballeros bei, mit dessen Hilfe das Chaos einer entstehenden Theaterproduktion wunderbar dargestellt wird.
Ganz anders sieht es in der zweiten Hälfte aus, in der die beiden so verschiedenen Werke endlich aufgeführt werden. Die humoristischen Elemente des Vorspiels werden nämlich nicht nur für Zerbinettas Darbietungen beibehalten, sondern finden auch Eingang in die ernste Oper und erdrücken diese völlig. Die drei Nymphen, von Kostümbildnerin Sandra Münchow als eine Mischung aus Rheintöchtern und Walküren gestaltet, zeigen eine absichtlich fehlerhaft ausgeführte Choreographie, und auch Ariadne und Bacchus bieten keine makellose oder zumindest schöne Performance, sondern stolzieren vielmehr in ihren barocken Roben nachempfundenen Kostümen über die Bühne. Sie sind keinesfalls die mythologischen Figuren, sondern die Primadonna und der Tenor aus dem Vorspiel, denen es nicht um Kunst, sondern um Selbstdarstellung geht. Diese Gestaltung der ernsten Oper wirkt wie eine schlechte Persiflage. Schlecht, weil sie scheinbar ohne Wertschätzung für das nicht-komische Theater ausgeführt wird. Die Oper wird gezeigt als eine Kunst, die so verstaubt ist, dass nicht einmal die Sänger darauf Lust haben. Dabei ist immer wieder unklar, was davon von der Regie beabsichtigt ist und was nicht, was ebenfalls kaum für eine liebevoll gemachte, hochwertige Parodie spricht.
Diese Umsetzung wird dem Kunstwerk Strauss‘ und Hofmannsthals nicht gerecht. Ariadne auf Naxos ist von der Wertschätzung gegenüber beiden Kunstformen geprägt. Die beiden Primadonnen, Zerbinetta und Ariadne, bekommen gleichermaßen kunstvolle Texte und ausdrucksstarke Musik. Und während man bei Rechi den Eindruck hat, das komische Theater um Zerbinetta müsse die ernste Oper vor der Langweiligkeit ihrer Sujets und ihren inkompetenten, gefallsüchtigen Akteuren „retten“, gelingt bei Strauss eine wahre Synthese aus Ernstem und Lustigen; es entsteht ein neues, wunderbares Werk. Indem Rechi der Handlung um Ariadne und Bacchus und der Kunst, die sie repräsentiert, offensichtlich so wenig Sympathie entgegenbringt, inszeniert er am Kern von Strauss‘ Oper vorbei.

Immerhin, die Figur der Zerbinetta wird in Rechis Inszenierung erfreulich ernst genommen. Kirsten Labonte darf die menschliche, verletzliche Seite der Rolle voll ausspielen. Wenn sie dann ins Lustige, Unterhaltende zurückkehrt, geschieht das nicht, weil lange nicht mehr gelacht wurde, vielmehr versteht man, dass Zerbinetta gewissermaßen gefangen ist in ihrer Rolle als untreue Liebhaberin und ihren Kummer darüber überspielt. Auch gesanglich beeindruckt Labonte. Sowohl die Dialoge als auch die berüchtigte Arie „Großmächtige Prinzessin“ gehen ihr scheinbar mühelos von den Lippen. Dem Rest der Flamenco tanzenden Komödientruppe fehlt diese Tiefe, man vermisst sie aber auch nicht. Auf jeden Fall singen und tanzen Carlos Moreno Pelizari, Benedikt Eder und Jonas Atwood als Scaramuccio, Harlekin und Truffaldin sowohl solistisch als auch im Kollektiv sehr überzeugend. Das Highlight der Truppe und des Abends ist aber Paul Kmetsch, der Brighella und den Tanzmeister als eine Doppelrolle absolviert. Szenisch macht das wenig Sinn. Die Entscheidung, beide Figuren vom selben Sänger darstellen zu lassen, wirkt wie aus der Not des Tenormangels geboren und wird kaum ausgearbeitet. Und doch ist sie nur zu begrüßen, denn Kmetsch nur eine Hälfte der Oper singen zu lassen wäre schlichtweg Verschwendung. Sowohl als Tanzmeister als auch als Brighella begeistert er mit klarem, durchschlagenden Charaktertenor und macht Lust darauf, in diesem Fach noch viel mehr von ihm zu hören.
Die Titelrolle der Ariadne, das ernste Gegenstück zu Zerbinetta, singt und spielt Theodora Varga vorzüglich. In der ersten Hälfte ist sie eine wunderbar würdevolle und doch komische Diva, in der zweiten macht sie das Beste aus Rechis enttäuschenden Personenkonzept und schafft es, gleichzeitig Primadonna und Prinzessin zu sein. Musikalisch fällt vor allem die Vielseitigkeit ihrer Stimme auf, die vom scharfen Befehlston der Diva bis zur weichen Verletzlichkeit der trauernden Prinzessin reicht und gleichermaßen mit warmer Tiefe und bezaubernder Höhe glänzt. Der Bacchus von Hany Abdelzaher punktet leider vor allem mit Lautstärke, weniger mit Melodiösität, doch sein Schauspiel steht dem seiner Bühnenpartnerin in nichts nach. Die drei Nymphen, gesungen von Scarlett Pulwey, Selena Altar und Svetlana Krutschinin, überzeugen vor allem gemeinsam, liefern aber auch einzeln solide Leistungen.

Der Komponist, im Vorspiel eine der wichtigsten Figuren, ist optisch an den jungen Richard Strauss angelehnt. Ein Anachronismus: Der echte Strauss war in den 30er Jahren schon um die 70 Jahre alt. Das ist aber zu entschuldigen, denn durch seine markanten Locken har der junge Strauss ein wesentlich einprägsameres Äußeres als der alte. Außerdem ist der Komponist in der Ariadne ja so jung, dass er als Hosenrolle von einem Mezzosopran gesungen wird. In Regensburg übernimmt diese Aufgabe Patrizia Häusermann mit jugendlich-leichten Timbre, ein wenig zarter, als man es von der Partie des Komponisten gewohnt ist, aber kongruent mit der Charakterisierung der Rolle als einen jungen, unerfahrenen Künstler im Libretto. Einzig die schauspielerische Ausgestaltung der Partie lässt ein wenig Lebendigkeit und Bewegung vermissen. Den Musiklehrer gibt Seymur Karimov mit schlank geführtem, aber doch kräftigem Bariton. Auch darstellerisch begeistert er, wenn auch die Charakterisierung seiner Partie durch die Regie etwas zu sehr auf Gags und zu wenig auf eine dreidimensionale Figur ausgelegt ist. Abgerundet wird das Ensemble durch einen herrlich trockenen Lakaien, souverän gesungen von Roger Krebs.
Am Pult des Philharmonischen Orchesters Regensburg steht Generalmusikdirektor Stefan Veselka. Die Orchesterbesetzung der Ariadne ist recht klein und dürfte daher für die Regensburger Aufführung nicht reduziert worden sein, dennoch klingt das Orchester stellenweise merkwürdig dünn – vielleicht eine Schwäche der Akustik des Hauses. Darüber kann man jedoch hinwegsehen, denn Veselka präsentiert ein faszinierendes Spiel mit Dynamik und phrasiert die vielen Leitmotive ungewöhnlich klar heraus. Strauss-Liebhaber kommen ganz auf ihre Kosten. Musikalisch ist diese Ariadne also durchaus einen Besuch wert. Szenisch wird man auf jeden Fall amüsiert, vor lauter Humor lässt die Inszenierung allerdings viel Tiefgang und leider auch Verständnis für das ihr zugrundeliegende Werk missen.
- Rezension von Adele Bernhard / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Theater Regensburg / Stückeseite
- Titelfoto: Theater Regensburg/ARIADNE AUF NAXOS/Paul Kmetsch, Kirsten Labonte, Jonas Atwood, Theodora Varga, Benedikt Eder & Carlos Moreno Pelizari/Foto © Marie Liebig