Staatsoper Hamburg/ LA TRAVIATA/ Foto @ Monika Rittershaus

Staatsoper Hamburg: Verdi’s „La Traviata“ – Ein Jahrmarkt der Eitelkeiten

Staatsoper Hamburg/ LA TRAVIATA/ Foto @ Monika Rittershaus
Staatsoper Hamburg/ LA TRAVIATA/ Foto @ Monika Rittershaus

Vom Traum des verlorenen Lebens auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten. 

Ach, wie oft erklingen doch im Radio Melodien wie „Brindisi“, „É strano“ oder auch „Parigi o cara“, jene bekannten Melodien aus Verdis „La Traviata“. Melodien, die sofort ins zum Mitsummen verführen und an opulente Produktionen à la Zeffirelli erinnern, an verruchte Champagnerseligkeit, wahre Liebe und tragischen Tod.

(Rezension der Vorstellung vom 22. März 2018 in der Staatsoper Hamburg)


Bei ihrer Uraufführung am 6. März 1853 im Teatro La Fenice in Venedig fiel die Oper, die auf Alexandre Dumas‘ Kameliendame beruht, noch durch. Heute ist die Geschichte der „vom Wege abgekommenen“ eine der beliebtesten Opern überhaupt.
In seiner Produktion, die am 17.02.2013 an der Staatsoper Hamburg Premiere hatte, scheint eher Regisseur Johannes Erath jener, der vom Wege einer neuen und verständlichen Interpretation abkam. Auch das Bühnenbild von Annette Kurz: verschiebbare, rote,  gelbe und blaue Autoscooter, die je nach Bedarf über der Bühne hängen oder auf ihr stehen und nicht selten die Zuschauer mit allzu hellem Licht blenden, helfen beim leichten Verständnis. 
Kostümbildner Herbert Murauer entwarf für Violetta ein altrosa farbenen weit schweifenden Federrock. Er wirkt wie das Symbol, für federleichtes buntes Leben, den oder dass, sich später dann auch Violettas Kollegin Flora überstreift. Alfredo und Vater tragen, normale sprechende Anzüge in den alltagstaglichen Farben grau, braun oder creme, ganz die brave Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts. Ansonsten herrschen Fracks und schwarze Abendkleider vor, die nicht immer geschlechtergerecht getragen werden. Warum zum Beispiel Flora anfangs an George Sand erinnert, erschließt sich nur, bedenkt man, dass Sand und Duma sich Briefe schrieben. Überhaupt zieht Erath viele – zu viele?- Parallelen zu Alexander Dumas Roman, anstatt sich auf das Libretto von Francesco Maria Piave und Giuseppe Verdis Musik zu beziehen und zu verlassen.

Angelehnt an den Roman von Alexander Dumas, bringt Erath die Oper als Retrospektive auf die Bühne. Zu den Klängen eines Akkordeons, einer Pariser Musette, betritt Alfredo noch vor den ersten Takten der Ouvertüre die Bühne und bricht an dem, aus herbstbunten Blättern bestehenden Grab zusammen. Im Hintergrund ist, nur mit Unterhemd bekleidet, Violetta zu sehen, die sich in einen prachtvollen Federrock kleidet. Damit die Geschichte beginnen kann. Von nun an wird alles zu einem Traum. Doch sind es nicht die Erinnerungen von Alfredo, sondern Violettas. Aber es funktioniert nicht, erschließt sich dem Publikum nicht wirklich. Besonders am Schluss, wenn folgerichtig zum Konzept, Violetta stirbt, bevor der Geliebte sie wieder in die Arme nehmen kann: Sie läuft, wenn er erscheint, sozusagen durch ihn durch, legt ihm später aber eine Kette um den Hals.
Es gibt noch viele Ungereimtheiten mehr und es bedarf auch schon einigen Interpretationswillens des oder das Lesen des Programmheftes, um einen Sinn darin zu sehen, dass die gesamte Handlung auf einem Autoscooter stattfindet. Gut, es gibt Berichte dass, die ursprüngliche Kameliendame Marie Duplessis ihre Kindheit bei einer Art Wanderzirkus oder Rummel verbrachte.
Gut, Autoscooter ist heutzutage der Treffpunkt für Jugendliche auf einem Jahrmarkt und der Autoscooter bewegt sich, aber immer im Kreis ohne sich wirklich fortzubewegen und ein festes Ziel zu haben. Und, ja vielleicht hat Erath recht, wenn er sagt, „dass die Musik fast immer eine Drehbewegung beschriebe“ um zu zeigen „dass Violetta aus einer inneren Mitte ausbrechen wolle, doch immer wieder in sie hineingezogen werde.“

Aber ist das wirklich mehr als Pariser Lebensart oder der Strudel der Liebe? Und wenn, ja, gibt es keine anderen, vielleicht mehr der Oper, als dem Intellekt des Regisseurs, gerechtwerdenden Mittel, um Violettas Inneres zu zeigen? Ein Rätsel, dass sich, wenn überhaupt, nur nach mehrmaligem Sehen erschließt. Aber es gibt ja neben der Handlung noch einen weiteren Aspekt. Vielleicht den, stimmt es optisch nicht, einzig wichtigen: die Musik und den Gesang.

Staatsoper Hamburg/ LA TRAVIATA/ Foto @ Monika Rittershaus
Staatsoper Hamburg/ LA TRAVIATA/ Foto @ Monika Rittershaus

Dinara Alieva, als Violetta, darf einen voluminösen und wohltönenden Sopran ihr Eigen nennen, der überrascht. Denn ihre Stimme ist eher dem jugendlich dramatischen Fach, dem Spinto, zuzuordnen. Besonders durch Katerina Tretyakova, die in der letzten Zeit oft diese Rolle an der Staatsoper Hamburg sang, erwartet das Publikum eher eine hellere Stimme in dieser Partie, die ja besonders im Finale des ersten Aktes beim „É strano“, Koloraturen und Spitzentöne verlangt. Bleiben die ganz hohen Töne auch aus, so gelingt es Frau Alieva doch, zu begeistern. Passend zu ihrer Stimme sind auch ihre Gesten eher groß, als verhalten. Ihre Violetta ist eine Kämpferin. Allein der Szene mit Vater Germont (Markus Brück), mit dessen warmen und zu besonders zarten Tönen fähigen Bariton, ihr Sopran wunderbar harmoniert, fehlt es ihr ein wenig an Durchsetzungskraft und Vehemenz. Dinara Alieva hat jedes Bravo, jede Begeisterung, verdient, auch durch ihr besonderes Timbre in ihrer Stimme.
Auch
Markus Brück wurde umjubelt. Auch er überraschte. Noch niemals ist es in Hamburg einem Bariton gelungen, seine Arie „Di Provenza il mar, il suol“ so klingen zu lassen, die Stimme so zu modellieren, dass väterliche Sorge und Zärtlichkeit beinahe körperlich spürbar waren. Darstellerisch gehört er eher zu den Sängern der kleinen, doch intensiven, Gesten. Erath sieht, laut eigener Aussage, Germont als „Mann, der den Wert des Geldes kennt“. Brück jedoch ist Violetta gegenüber eher jemand, der zwischen Verpflichtung der Familie einerseits, und tief verschütteten Verständnis für Sohn und Geliebte anderseits, schwankt. Bei aller Zärtlichkeit zeigt er in der Caballetta doch kraftvolle Entschlossenheit, die das hohe b am Ende, beinahe herauf beschwört, das jedoch leider ausbleibt. Das jedoch wäre einfach nur das „Schmankerl“ einer ohnehin hervorragenden Leistung gewesen.

Einer wundervollen Leistung, in einer Vorstellung die auch den kleineren Rollen mehr darstellerische Flexibilität als gewöhnlich abverlangte, da es eine, krankheitsbedingte kurzfristige Umbesetzung in der Rolle des Alfredos gab. Stehen sie doch alle immer wieder in Interaktion mit ihm. Doch Vincenzo Costanzo, der erst 27 jährige Italiener, sprang buchstäblich „von heute auf morgen“ für den erkrankten Dovlet Nurgeldiyev ein. So fiel die, sowieso eher unpassende und anrüchige Szene mit Flora Bervoix, Violettas Freundin und auch Konkurrentin, weniger intensiv als gewöhnlich aus. Doch dank Dorottya Láng, fiel dies- wenn überhaupt – nur jenen auf, die diese Inszenierung nicht zum ersten Mal sahen. Dorottya Láng zog aber auch stimmlich wieder in ihren Bann, soweit dies in einer zwar tragenden doch nicht sehr umfangreichen Rolle möglich ist.

Ähnliches gilt für das „Hamburger Urgestein“ den Tenor Peter Galliard (Gastone) und umso mehr für die beiden Mitglieder des internationalen Opernstudios. Das ist zum einen die russische Mezzosopranistin Ruzana Grigorian, als Violettas treue Dienerin Annina und zum anderen der Bariton Jóhann Kristinsson aus Island, der in den letzten Woche fast jeden Abend in einer anderen, die Protagonisten unterstützenden Rolle auf der Bühne stand. Beiden bleibt zu wünschen, dass ihnen genug Zeit und Unterstützung gegeben wird, ihre unüberseh- und unüberhörbaren Fähigkeiten bis zur Vollendung entwickeln und stabilisieren zu dürfen.

 

Staatsoper Hamburg/ LA TRAVIATA/ Foto @ Monika Rittershaus
Staatsoper Hamburg/ LA TRAVIATA/ Foto @ Monika Rittershaus

Dies scheint Vincenzo Costanzo nicht vergönnt gewesen zu sein. Er hat mit seiner Bereitschaft für Nurgeldiyev, der nicht nur  ein erklärter Publikumsliebling ist, sondern, sich neben seiner Rolle als Lenski in Tschaikowskis „Eugen Onegin“, unter anderem auch gerade als Alfredo einen Namen gemacht hat.  Dafür hat Costanzo mehr als bloße Anerkennung verdient und diese auch erhalten. Denn er hat wirklich sein bestes gegeben um Publikum, Kollegen und auch der ungewohnten Inszenierung, die es niemanden wirklich leicht macht, gerecht zu werden. Darstellerisch gelang ihm dies auch. Stimmlich jedoch, wirkt der junge Mann, der 2013, gerade 22 Jahre alt, in dieser Rolle am Guangzhou Opera House (China) debütierte, heillos überfordert. Er singt auf Kraft, nicht mit Kraft, presst, wo er stützen sollte und klingt einfach eng und unflexibel. Er hat weder die lyrische Klarheit eines Nurgeldiyev, noch den tenoralen Schmelz seiner erfahreneren Kollegen.
Und das ist der „Casus knacksus“: Erfahrung sammeln, sich entwickeln und beweisen
dürfen. Anstatt gleich nach dem Studium ganz oben mitspielen/singen zu müssen. Damit tut man niemanden einen Gefallen, am wenigsten dem jungen- nein, ich wage sogar zu sagen, dem jugendlichen, Künstler selbst. Dass es den, der vielleicht wirklich einst als Ausnahmetalent begann reizt, gleich so große Tenorpartien wie Pinkerton, Alfredo oder auch den Rodolfo aus Luisa Miller zu singen, ist mehr als verständlich. Und ich möchte meine Kritik und Enttäuschung an seine mich nicht überzeugenden Leistung auch in erster Linie als Kritik an unsere schnelllebige Gesellschaft und Opernindustrie verstanden wissen, die aus „höher schneller, weiter“ leider immer öfter ein „attraktiver, jünger, formbarer“ macht. Doch Costanzo ist noch jung genug und wer weiß, vielleicht ist mit vorsichtiger Rollen- und Spielstättenauswahl, sowie einem weitsichtigen Management, noch manches zu ändern.

Dass das Publikum, ihn trotz aller deutlichen Widrigkeiten ebenso umjubelte wie Brück und Alieva, ist irgendwie ein zweischneidiges Schwert. Ich möchte ihm die Anerkennung nicht aberkennen, gönne sie ihm. Doch es stellt sich mir die Frage, warum die Verantwortlichen und vielleicht auch die jungen Künstler selbst, etwas ändern sollen an dem Kräfte verschleißenden System, wenn das Publikum doch jubelt. Und vor allem zahlt. Doch möchte ich meinen Beitrag nicht mit diesem Zynismus schließen, denn es gibt viele Beispiele, auch hier in Hamburg, wo überdurchschnittliches Talent mit Verantwortungsgefühl behandelt und gefördert wird.

Außerdem soll auch, wie immer last but not least,  noch das Philharmonisches Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von Christoph Gedschold erwähnt werden. Die Damen und Herren sind oft die Stiefkinder einer Rezension, bekommen oft, – allen voran der Dirigent-, den schwarzen Peter zugeschoben, wenn etwas nicht stimmt. Bei dieser „Traviata“ aber, die sicher auch für das Orchester aufgrund der kurzfristigen Umbesetzung nicht leicht war,  ist es „Jammern auf höchsten Niveau“, wenn man sich wünscht, dass es hier und da etwas leichter, sinnlicher oder melancholischer hätte klingen dürfen.

 

*Rezension der besuchten Aufführung vom 22.3.2018 in der Staatsoper Hamburg von Birgit Kleinfeld

  • Titelfoto: Staatsoper Hamburg/ LA TRAVIATA/ Foto @ Monika Rittershaus
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