Staatsoper Hamburg: „OTELLO“ – „Die Liebe ist nicht immer eine Himmelsmacht…“

Staatsoper Hamburg/Otello/ Foto © 2017 / Hans Jörg Michel

Die Staatsoper Hamburg beschreibt es in ihrer Einführung so: „Otello wird an sich selbst irre. Er muss sich zwar Neid, Feindschaft und Bedrohung erwehren – das könnte er, wäre er bei Sinnen, leicht schaffen. Nicht umsonst hat er im Staat seinen Weg nach oben gemacht, gegen Konkurrenz war er bestimmt nicht zimperlich. Er ist aber angeschlagen, und was ihn fundamental erschüttert, ist die Einsamkeit des Eifersüchtigen und die Einsamkeit des Betrogenen. Er glaubt sich betrogen von seiner Frau, in Wahrheit ist er betrogen über diesen Betrug. Dass ausgerechnet er das Opfer der Intrige wurde, mag damit zu tun haben, dass er einer Minderheit angehört, also für andere der soziale Blitzableiter ist. Das ist aber nicht entscheidend. Boito und Verdi erzählen die Geschichte eines in den Zustand der Ausweglosigkeit Vertriebenen. Er kann nicht mehr konsistent und folgerichtig handeln. Er ist an sich selbst irre geworden.“ (Rezension der besuchten Vorstellung am 11.10.2019 – Premiere war am 08.01.2017)

 

Die Handlung: Otello, der Befehlshaber der venezianischen Flotte, hat nicht Jago, sondern Cassio zum Hauptmann befördert – weshalb Jago beschließt, Otello zu vernichten. Jago startet eine perfide Intrige und weckt Otellos Eifersucht. Bewußt zerstört er das Glück des Feldherrn mit seiner geliebten Ehefrau Desdemona. Otello, der gefeierte „Löwe von Venedig“, zerbricht an seiner quälenden Eifersucht: Er erwürgt Desdemona und tötet sich anschließend selbst mit einem Dolch. Ursprünglich sollte die Oper „Jago“ heißen, Verdi fand den Titel dann doch unangemessen: „Er ist der Dämon, der alles bewegt, aber Otello ist der, der handelt – er liebt, ist eifersüchtig, tötet und tötet sich selbst.“ (Uraufführung 1887 am Mailänder Teatro alla Scala

Max Frisch schrieb in seinem Tagebuch 1946/49 eine Anmerkung zum Othello – Mohr von Venedig: „Was uns an Othello erschüttert, ist nicht seine Eifersucht als solche, sondern sein Irrtum: Er mordet ein Weib, das ihn über alles liebt. Und wenn dieser Irrtum nicht wäre, wenn seine Eifersucht stimmte und seine Frau es wirklich mit dem venezianischen Offizier hätte, fiele seine ganze Raserei unweigerlich ins Komische; er wäre ein Hahnrei, nichts weiter – lächerlich mitsamt seinem Mord.“

Dazu muss man bedenken, das der eigentlich erdachte Otello ein Mohr auf der Bühne war. Noch dazu ein erfolgreicher Geschäftsmann seiner Zeit und stolz darauf. Das sich eine so wunderschöne und erotische Frau völlig in ihn verliebt und ihm auch noch von Herzen treu ist, kann er dann nicht mehr glauben, wenn Neider (Jason) ihm Lügen über sie einflüstern. Als „Minderheiten“ sind auch heute noch Menschen anderer Hautfarben aktueller als je zuvor. Otello ist damit konfrontiert und vertraut seinem falschen Freund, erkennt die Realität nicht.

Staatsoper Hamburg/Otello/ Foto © 2017 / Hans Jörg Michel

Die Szenerie auf der Bühne (Inszenierung: Calixto Bieito/Bühnenbild: Susanne Gschwender) zeigt einerseits die hinter Stacheldraht schwelenden Gefühle und Emotionen, die gehenkte Wahrheit. Jago agiert perfide im eigenen Sinne und stachelt seinen Herrn an, Unrecht zu tun, sich seines Lebensinhaltes – die Liebe seiner Frau Desdemona – durch eigene Hand zu entledigen, Otello zu vernichten! Auch Jago ist der Eifersucht verfallen – die auf den erfolgreichen Otello, er missgönnt ihm seinen Erfolg bis ins tiefste Innere. Damit trifft er auf Roderigo, der heimlich verliebt ist in Desdemona, die natürlich gar keinen Blick für ihn hat – sie liebt ihren Gatten abgöttisch!

Das Gefühl der Minderwertigkeit Otellos zeigen so auch die Kulisse der Gefangenen „Minderheiten“ mit gebundenen Händen im Hintergrund, die teilweise nach Emotion in den Vordergrund treten. Nach erfolgreicher Einflüsterung der Schande seiner Frau meint man auch die aufgegebene Liebe zu Desdemona hängend am Galgen zu erkennen. Zur Schau gestellt, mit Schmach und für alle sichtbar sieht man so den vergangenen Stolz des Otello in aller Öffentlichkeit, so ist es von dem Verräter Jago gewollt! Der Grund, Hauptmann Cassio, ist nur eine Schachbrettfigur im Spiel von Jago. Auch er nur ausgenutzt und ohne Schuld, durchschaut er nicht den eigentlichen Sinn, er hat ja kein Interesse an Desdemona als Frau. Am Ende verteidigt er nur noch sein Leben gegen Rodrigo, der ihn beseitigen soll im Auftrag von Jago.

Zeugen sind nicht gewünscht, die Wahrheit soll schweigen für immer – so ist es geplant!

 

Musikalisch überzeugend!

Staatsoper Hamburg/Otello/ Marco Berti, Nadezhda Karyazina/Foto © 2017 / Hans Jörg Michel

Marco Berti (Otello) singt seine Partie mit vollem und kraftvollen Tenor und ungemein präsent. Die Szenen zusammen mit seiner Partnerin Guanqun Yu (Desdemona) sind ein harmonisierender Hochgenuß in dieser Inszenierung! In italienischer Sprache zeigte sich die ganze Stimmgewalt des Tenors, ergreifend begleitet vom Spiel und Mimik des Sängers.

Die chinesische Sopranistin Guanqun Yu, besonders für ihr “ „Canzone del salice“, das Lied von der Weide mit anschliessendem „Gebet Ave Maria“ gefeiert, zeigte ihre wunderbar klare und ausdauernde Stimme in allen Facetten. Ein Spiegel ihrer Gefühle als Desdemona und ihr Unverständnis für die Handlungen des Gatten Otello waren in ihrem Gesicht abzulesen!

Marco Vratogna (Jago) ins rechte düstere Licht gesetzt, bot seine dämonische Bühnenseite, ein verruchter und schlechter Mensch, dem sein Charakter bewusst ist. Ausdrucksvoll ertönt sein tiefer Bariton mit voller Macht und er singt sein Trinklied mit Rodrigo um Cassio betrunken zu machen und sein böses Werk voranzutreiben. Seine Darstellung sehr nah auch an der heutigen Zeit, gewollt – mit allen politischen und menschlichen Schicksalen die ebenso auf der Bühne angedeutet waren (Kulisse).

Nur Nadezhda Karyazina (Emilia, Jagos Gattin), kennt seinen wahren Charakter und verrät ihn am Ende an Otello, der sich daraufhin verzweifelt das Leben nimmt. Ihre starke Stimme kam leider nur wenig zum tragen, man hätte ihr mehr Soli-Text gewünscht…

Oleksiy Palchykov (Cassio) und auch in seiner Rolle absolut überzeugend, zeigte einen degradierten Hauptmann, der dem Champagner seinen Abstieg zu verdanken hatte und der den üblen Spielen des Jago ausgeliefert war. Nichtsahnend versuchte er doch nur über Desdemonas Fürsprache seinen Posten wieder zu bekommen…. und fand sich am Ende in einer Auseinandersetzung mit Rodrigo wieder, in der er ihn schliesslich aus Notwehr selbst ums Leben bringen musste. Eine bewegende Rolle im Spiel mit viel Stimme.

Staatsoper Hamburg/Otello/ Foto © 2017 / Hans Jörg Michel

(Rodrigo) Peter Galliard, (Lodovico) Tigran Martirossian (Montano) Hubert Kowalczyk und (Un Arald) Michael Kunze zeigten in dieser Tragödie eine deutliche Bühnenpräsenz und bekamen einen wiederholten Applaus für ihre Leistung auf der Bühne. Ebenso auch der wunderbare Chor der Staatsoper Hamburg im Hintergrund, nicht nur für den Gesang, auch für die Gesamtkulisse die dargeboten wurde!

Das Philharmonisches Staatsorchester Hamburg und der Dirigent und Musikalische Leiter des Abends, Paolo Carignani, waren musikalisch in Hochform, jede Note saß. Die Dramaturgie und Stimmung zur Aufführung passte hervorragend, was der Schlußapplaus lautstark zeigte. Im gut ausverkauften Haus gab es langanhaltenden Beifall für diese schwierige und doch so gut verständliche – wenn auch deutlich aktuell politische – Inszenierung .

 

 

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