– Besuchte und rezensierte Vorstellung v. 2. Mai 2017 –„Dialogues des Carmélites“ist, was man allgemein hin als „schwere Kost“ bezeichnet und selten auf den Opernbühnen dieser Welt zu finden. So kommt Nikolaus Lehnhoffs (Regie) und Raimund Bauers (Bühnenbild) durch schnörkellose Schlichtheit bestechende und von Olaf Freese bildmalerisch ausgeleuchtete Inszenierung auf bisher gerade einmal 29 Aufführungen seit der Premiere im Januar 2003.
Poulencs Auftragswerk für die Mailänder Scala, wurde 1957 zuerst dort erfolgreich in italienischer Sprache und dann später im selben Jahr auf Französisch an der Opéra de Paris aufgeführt und behandelt das seit jeher brisante, stets aktuelle Thema: Religion und Glaube.
Der Komponist verfasste auch das Libretto, das auf dem gleichnamigen Bühnenstück von Georges Bernanos beruht, welches seinen Ursprung in Gertrud von Le Forts Novelle „Die Letzte am Schafott“, hat. Erzählt wird die Geschichte von Blanche, einer jungen Adeligen, die, um der eigenen Todesangst zu entkommen, in Zeiten der Französischen Revolution von 1794 Schutz in dem Karmelitinnen-Kloster von Compiègne sucht. Doch die Revolutionäre sehen die neue Freiheit fürs Volk auch durch die Instutution Kloster bedroht und nehmen den Nonnen erst die Freiheit und dann das Leben. Von einer anderen gedeckt, entscheidet sich Blanche unerkannt als einzige gegen das gemeinsame Martyrium und besiegelt so das Schicksal aller. Zunächst gelingt es ihr zurück ins Elternhaus zu fliehen, in buchstäblich letzter Sekunde jedoch entschließt sie sich, sich und ihrem Glauben treu zu bleiben und dem Schicksal ihrer Glaubensschwestern anzuschließen.

Männer haben in dieser Oper zwar kurz die Macht über das Geschick der Frauen zu entscheiden, aber ansonsten weder viel zu singen noch zu sagen. Einzig Marc Borrard als Blanches Vater Marquise de la Force oder Dovlet Nurgeldiyev, als ihr Bruder der Chevalier, haben die Möglichkeit in einer und in Nurgeldiyevs Fall in zwei Szenen stimmlich wie darstellerisch zu berühren und zu überzeugen.
Ansonsten gehört die Bühne im übertragenen, wie auch im wörtlichen, Sinne ganz den Frauen. Die beeindruckendste unter ihnen war Doris Soffel als Priorin Madame de Croissy. So bald sie sie betritt, gehört ihr die Bühne. Sei es, wenn sie der um Eintritt ins Kloster bittenden Blanche über die strengen Regeln aufklärt und ihr im Abgang eher harsch Gottes Segen mit auf den Weg gibt oder wenn sie qualvoll stirbt. Dabei gehen ihre Schmerzenschreie durch Mark und Bein, ebenso wie ihr Gesang. Sie zieht alle Register von Piano bis Forte, von ihrer Stimmlage entsprechender Höhe, bis zur vollen Tiefe, sprachlich stets verständlich. Hayoung Lee als Blanche wirkt leider nicht nur neben der sehr erfahrenen Kollegin darstellerisch blass. Ihr Gesang, klingt so schön wie die manchmal disharmonische Musik es verlangt und doch … Sie bleibt ihrer Rolle und dem Publikum eine spürbare Entwicklung von behüteten Mädchen zur, ihre sie beherrschende Todesangst überwindende und freiwillig sterbende Frau weitgehend schuldig. Anders Christina Gansch als Novizin Constance. Sie wird von dem auf erfrischend unschuldige Art von ihrem Glauben überzeugten Mädchen glaubhaft zu der Frau, die Verantwortung für sich selbst und auch die Tat der Freundin Blanche übernimmt. Mit glockenhellem Sopran, manchmal der Musik geschuldeten, ein wenig harten Spitzentönen, überzeugt und berührt sie. Auch Emma Bell als Madame Lidoine, der neuen Priorin, imponiert und zeigt eine beeindruckende Leistung: Sie vermittelt Töchter, wie sie ihre Mitschwestern nennt, Kraft, stärkt deren Glauben. Ihre Stimme, mit wunderbar variable Nuancen in Klang und Farbe, geht auf angenehme Weise unter die Haut. Überhaupt geht alles an dieser Vorstellung auf die eine oder andere Art unter die Haut. Tief und mit Nachhall. Es sei mir verziehen, dass ich alle die anderen an dem Erfolg dieses Abends beteiligten nicht namentlich erwähne.
Doch die eigentlichen Stars der Hamburger Aufführung sind und bleiben die Produktion und auch die Musik, mag diese auch für Verdi und Puccini umschmeichelte Ohren ungewöhnlich klingen. Sie zieht in den Bann, fasziniert, obwohl sie nur selten als schön bezeichnet werden kann. Sie hat Dissonanzen und starke Züge von Programmmusik: Bei Blanches Einkleidung beginnt die Musik zart, beinahe, auch für Laien singbar melodisch, wird immer lauter, mächtiger, bis sie einer Messe ähnelt. Sowieso wird jeder Hörer, der sich auf die Wirrung einlässt sich oft immer wieder an die Musik von Monumental- oder auch Stummfilmen erinnert fühlen und so mitgerissen werden von Stimmung und Geschehen. Stefan Blunier am Pult und das Philharmonisches Staatsorchester Hamburg ist an dieser Stelle ebenfalls zu danken

Das berühmte i-Tüpfelchen jedoch liegt nicht im Akustischen, sondern im Visuellen. Dass die Kostüme es an Farbe vermissen lassen liegt am Sujet an sich und nicht an Andrea Schmidt-Futterer Nonnen tragen nun mal Schwarz und darunter Weiß. Aber genau das kommt Lehnhoff, Bauer und Freese zu Gute. Ersterer versteht es meisterhaft, die Personen so zu arrangieren oder so agieren zu lassen, dass der Eindruck eines Standbildes, oder dank Freeses kunstvoller Beleuchtung, eines Gemäldes, entsteht. Bauers Bühnenbild ist grafisch streng. Es besteht auf allen drei Seiten der Bühne aus immer in Türöffnunsgbreite von einander getrennten vom Boden bis in den Bühnenhimmel reichenden Elementen. Sind die Zwischenräume offen, entsteht der Eindruck eines Käfigs, am Ende sogar eines, nach allen Seiten hin geschlossenem. Schwarze Stoffbahnen dazwischen machen aus dem „Käfig“ einen geschlossenen Raum. Oder nehmen, die Bahnen im Bühnenhintergrund diagonal unterschiedlich hochgezogen, das Ende – die Guillotine – vorweg.
Nehmen Darstellung, Gesang, Musik und Inszenierung dem Zuschauer schon spätestens wenn, Blanche wie im raumlosen Nebel im ersten Akt dasteht, den Atem, so macht die letzte Szene dann das Publikum „endgültig fertig“. Das „Salve Regina“ auf den Lippen drehten die Nonnen einzeln an den Bühnenrand, wo die oben beschriebenen Elemente den nun geschlossenen Käfig bilden. Sobald eine den Rand erreicht hat, fällt ein Beil, schneidet Bild und Ton der Betreffenden ab, bis alle Öffnungen geschlossen, alle Stimmen verstummt sind. Dies ist ergreifend und verursacht selbst, jetzt im Nachgang, eine leichte Gänsehaut.
Auch vor Ort ist die letzte Szene sicherlich nicht nur vor der Bühne eine Zitterpartie, denn eine solche schlicht perfekte Produktion, verlangt eine ebensolche, leider manchmal in stillen Momenten, unüberhörbare Technik, die nicht immer so will wie gedacht. in dieser Vorstellung lief alles glatt und selbst wenn nicht: Dialogues des Carmélites in Hamburg hat mehr Aufmerksamkeit verdient, als sie bekommt.
*Gastrezension von Birgit Kleinfeld, Hamburg, besuchte Vorstellung am 2.5.2017
*Weitere Informationen auf www.staatsoper-hamburg.de
*Titelfoto und alle weiteren Fotos: Staatsoper Hamburg/Dialogues des Carmelites / Foto @ Brinkhoff-Mögenburg