„Schweig und Tanze“: Christine Goerke als Elektra an der Staatsoper Wien

Wiener Staatsoper/ foto: Jorge Franganillo, CC-BY 2.0

Ob als Brünnhilde in Richard Wagners Ring-Zyklus an der Lyric Opera in Chicago oder als Turandot an der Metropolitan Opera in New York City – Christine Goerke gilt als eine der angesehensten Sopranistinnen für das hochdramatische Fach. Sie konzentrierte sich bislang fast ausschließlich auf die US-amerikanischen Opernbühnen und gastierte lediglich vereinzelt in Europa. Im deutschsprachigen Raum ist sie praktisch unbekannt. Dies wird sich jedoch nun ändern, denn Christine Goerke gab ein bahnbrechendes Debüt am Haus am Ring, der Staatsoper Wien, in der dramatischsten aller Sopranrollen: Der Titelrolle in Richard Strauss brutalem Einakter „Elektra“. (Rezension der besuchten Vorstellung am 9.2.2020

 

Die zur Premiere viel kritisierte Inszenierung der „Elektra“ in der Regie von Uwe Eric Laufenberg steht nun seit fünf Jahren fest im Spielplan der Staatsoper Wien. Dabei ist die Produktion gar kein derartiges szenisches Fiasko, wie es das Feuilleton vermeldet hat. Bei genauem Hinsehen bleibt der Regisseur Laufenberg lediglich einer simplen Ästhetik treu, wie sie häufig für die Bühne für Richard Strauss „Elektra“ genutzt wird: Ein in grau-schwarz getönter, dunkler Hinterhof mit karg-ärmlicher Ausstattung. Der Regisseur folgt der Linie der eigentlichen Handlung des Librettos und setzt einzelne, recht harmlose wirkende, neue Denkanstöße. Das Drama wird in das frühe 20. Jahrhundert verlegt in welcher der Titelfigur Elektra neben dem Beil noch eine Pistole gereicht wird. Die sozialen Unterschiede innerhalb der Familienverhältnisse – Elektra als ausgestoßene Tochter im Hofe liegend, ihre Mutter Klytämnestra reist zu ihr von „oben herab“ mittels eines Paternosteraufzugs – verdeutlicht Laufenberg in gängiger und leicht begreifbarer Symbolik. Elektra trägt als Zeichen der Trauer und Tarnung schwarz, wohingegen ihre Schwester Chrysothemis in weißem Hochzeitskleid als Symbol der Unschuld in Erwartung einer Vermählung den Kontrast bildet.

Ein überraschender Plot Twist gelingt dem Regisseur in den letzten Minuten zum Finale der Oper: Während das durch Orest befreite Volk zu „schweigt und tanzet“ feiert und Elektra bejubelnd auf Händen davongetragen wird bleibt Chrysothemis in der dunklen Ecke allein zurück. Sie tanzt als einzige nicht, sondern klammert sich an ein im Winkel liegendes Beil. Ihr Blick verrät, dass sie über den Mord an ihrer Mutter und ihren Stiefvater doch nicht so erfreut zu sein scheint. Im Ruf nach ihrem Bruder Orest erwacht in Chrysothemis in diesen Augenblicken die Mordslust ihrer Schwester Elektra, die Geschichte scheint sich nun zu wiederholen.

Wiener Staatsoper/ELEKTRA/Foto @ Ashley Taylor

Die Besetzung dieser Wiederaufnahme ist bis in die kleinsten Rollen als durchweg exzellent zu loben: Christine Goerke zeigte in ihrem Hausdebüt eine ganz ungewöhnliche und einzigartige Darstellung der Elektra. Die Strapazen dieser hochdramatischen Partie waren ihrer Stimme nicht anzumerken, sie sang stets sauber, anstrengungslos und gar nicht so metallisch-fest, wie man es von anderen Sängerinnen dieser Partie gewohnt ist. Die erotische Klangfarbe ihrer in der Tiefe sehr voluminösen Stimme charakterisierte eine sanftmütige und leidenschaftliche Elektra.

Die kleine Schwester der Elektra, die Rolle der Chrysothemis, sang Simone Schneider. Als langjähriges Ensemblemitglied der Oper Stuttgart startete sie nach einem umjubelten Debüt als „Salome“ kürzlich ihre wohlverdiente Weltkarriere in zahlreichen dramatischen Partien. Seitdem ist sie regelmäßig an der Wiener Staatsoper u. A. als Sieglinde oder Leonore zu erleben. Ihre voluminös-klangvolle, in allen Registern runde Stimme verband sie mit einer eindringlich-zaghaften Schauspielkunst und unter einer deutlichen Aussprache zu einer Idealdarstellung der Chrysothemis.

Wiener Staatsoper/ELEKTRA/Foto @ Ashley Taylor

Waltraud Meier verkörperte als Klytämnestra nicht die dämonisch-hysterische Mutter Elektras, sondern vielmehr eine geerdete und verzweifelte, gleichsam reife und stolze Frau in deklamatorisch markerschütternder Intensität. Eindringlich raffte sich Meier im Zwiegespräch vom Rollstuhl auf, um ermüdet von ihren Wahnvorstellungen in vermeintlicher Vertrautheit zu ihrer Tochter doch noch ein Mittel zur Ruhe im Schlaf zu finden.

Zu den drei weiblichen Hauptrollen fügte sich dem jede Wortsilbe einen eigenen Ausdruck und eigener Klangfarbe gebender Orest von Michael Volle. Dieser Bariton wusste in den wenigen Minuten seines Auftritts jede Gefühlsregung des Bruders der Elektra gekonnt darzustellen. Abgerundet wurde das Ensemble durch den kurzen, prägnanten Auftritt von Norbert Ernst in der Rolle des Aegisth.

Semjon Bytschkow ist als Dirigent überwiegend in Sinfoniekonzerten zu erleben und leitet nur ausgewählte Opernproduktionen. Frei nach den Worten des Komponisten Richard Strauss: „Du sollst beim Dirigieren nicht schwitzen, nur das Publikum soll warm werden“, hielt sich Bytschkow als Dirigent dieser Elektra stark zurück und erreichte mit minimalen Bewegungen die größtmöglichen orchestralen Effekte. Dabei machte er es seinen Sängern aufgrund der hohen Lautstärke des Orchesters sicherlich nicht leicht. Das stark besetzte Staatsopernorchester erklang unter seiner Leitung außerordentlich voluminös und kraftvoll, gleichsam aber präzise mit markanten dynamischen Abstufungen.

Staatsoper Wien/ELEKTRA/ C. Goerke/ Foto @ Ashley Taylor

Dank dieser einzigartigen Sängerbesetzung und dem spannenden Dirigat von Semjon Bytschkow geriet diese Repertoirevorstellung unverhofft zu einer wahren Festaufführung der Staatsoper Wien! Die Messlatte für die mit zahlreichen Rollendebuts versehene Neuproduktion der „Elektra“ zu den anstehenden Salzburger Festspielen, bei dem die Musiker des Staatsopernorchesters als Wiener Philharmoniker fungieren, wurde damit hochgesteckt.

Im Sommer 2020 wird schließlich auch Christine Goerke zurück nach Europa kehren und in der Rolle der Brünnhilde zu den Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth debütieren. Spätestens dann wird die Sopranistin auch hierzulande die Herzen vieler Wagnerianer erobern!

 

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